Kapitel 3 Weg

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Solas blaue Augen bohrten sich weiter in meine, bis ich meinen Blick von ihr abwandte: „Ich weiß es nicht. Ich habe das gerade zum ersten Mal gesehen, weil Mama und Papa ja nicht da sind und das nicht kontrollieren können." In den Augen meiner Schwester blitzte ihre wilde Kreativität auf: „Ich habe eine Idee, aber lass uns vorher lieber die Chronik deiner Suche löschen, bevor wir uns das anschauen." Ich überließ Sola meinen Schreibtischstuhl und beobachtete wie sie meine Suche löschte und den Laptop herunterfuhr. „So", ihre Augen funkelten wild: „Jetzt kommen wir zu meiner Idee." Sie sprang auf und verließ mein Zimmer, verwirrt und ein wenig überfordert folgte ich ihr in ihres, wo Sola ihren Kleiderschrank aufriss.

„Zieh mal deinen Pulli und dein Shirt aus", wies sie mich an und drehte sich mit etwas in der Hand zu mir herum. Ich tat wie mir geheißen und stand nur noch im Unterhemd vor meiner großen Schwester: „Augen zu und Arme hoch." Etwas Weiches und ihre Hände berührten meine Unterarme, dann war wieder Stoff an meinen Armen und Sola streifte mir etwas ungeschickt etwas über den Kopf, das dann meinen Körper herunterfiel. An meinem Brustkorb war ein ungewohntes Gefühl, das ich nicht so recht zuordnen konnte. „Arme runter", ich ließ die Arme sinken und spürte prompt die Berührung meiner Schwester an meinen Schultern, sie führte mich ein Stück durch ihr Zimmer. „Jetzt Augen auf."

Als ich die Augen öffnete musste ich zum ersten Mal heftig blinzeln, ich stand vor Solas Spiegel, in ihrem Konfirmationskleid, um das ich sie letztes Jahr so sehr beneidet hatte, dass ihre Figur so unfassbar gut betonte. Die langen Ärmel waren etwas zu kurz für mich und der Rock verdeckte kaum die dreckigen Knie meiner Jeans, aber ich gefiel mir in dem Kleid. „Gefällt es dir?" Sola musterte mich neugierig und ich nickte heftig, so schön hatte ich mich lange nicht mehr gefühlt wie in dem Kleid meiner Schwester. „Das steht dir auch irgendwie", sie lief um mich herum: „Aber wenn es dir gefällt liegt noch ein steiniger Weg vor dir, du weißt wie Mama und Papa zu LGBTQ+ eingestellt sind." Ich nickte und seufzte: „Es wär irgendwie schon schön ein Mädchen sein zu können." „Meistens ist es das auch", Sola lief zu ihrem Kleiderschrank und zog ein paar Dinge hervor: „Aber in den Augen unserer Eltern bist du ein Junge und wirst es immer bleiben."

Ich beobachtete sie, wie sie in ihrem Zimmer hin und her lief, mit einer Strumpfhose und etwas anderem in den Händen, was ich nicht zuordnen konnte. „Wenn du dir dein Geschlecht aussuchen könntest, was wärst du dann?" Fragte sie mich dann plötzlich: „Ein Junge oder ein Mädchen?" „Ein Mädchen", antwortete ich ohne wirklich darüber nachzudenken: „Ich hätte auch gerne lange Haare und Brüste." „Weißt du", Sola hörte auf hin und herzulaufen und setzte sich auf ihren Schreibtischstuhl: „In meinem Jahrgang gibt es ein Mädchen, dass sich vor kurzem als Transgender geoutet hat. Naja eher in die andere Richtung trans, sie... er ist biologisch noch ein Mädchen, möchte aber ein Junge sein. Deswegen haben wir uns in Bio mit dem Thema Transgender schon auseinandergesetzt und wie das ganze medizinisch behandelt wird."

„Wie wird das denn behandelt", ich spürte wie mein Herz heftig in meiner Brust zu pochen begann und setzte mich Sola gegenüber auf den Teppich und sah zu ihr auf. „Naja Frauen produzieren ein Hormon namens Östrogen", hob Sola an: „Und Männer das Hormon Testosteron, das Hormon vom anderen Geschlecht ist nur in sehr geringen Mengen im Körper vorhanden. Also ich habe kaum Testosteron und du wenig Östrogen im Körper, da deine Hoden, die ich nicht habe das Testosteron produzieren. Bei Frauen produzieren die Eierstöcke das Östrogen und verteilen es im Körper ab der Pubertät jeweils. Transmenschen können das Hormon von dem Geschlecht, was sie gern hätten nicht selbst produzieren, da ihnen die jeweilige Quelle dafür fehlt. Ab dem 14. Lebensjahr darf ihnen deswegen eine Art Medikament gegeben werden, das künstlich das jeweilige Hormon enthält. Dadurch könnten dir zum Beispiel Brüste wachsen, du hättest vielleicht keine so tiefe Stimme wie Papa und keinen Bart. Das Ding da zwischen deinen Beinen geht davon aber nicht weg."

Sie unterbrach sich und sah mir fest in die Augen: „Das kann man nur bei einem Arzt entfernen lassen, wenn du volljährig bist. Bis dahin hast du noch einen langen Weg vor dir und es wird nicht einfach für dich, dich so zu akzeptieren." Sola stand wieder von ihrem Stuhl auf, setzte sich zu mir auf den Boden und nahm meine Hände, während ich noch versuchte ihre Worte zu verarbeiten. „Egal welchen Weg du einschlägst, ich werde dich immer dabei unterstützen, egal was unsere Eltern sagen, kleiner Bruder oder sollte ich kleine Schwester sagen?" „Schwester", flüsterte ich zurück und drückte ihre Hände fester: „Was hast du mit der Strumpfhose und dem anderen Ding vor?" Meine Schwester drehte sich um und beides von ihrem Tisch.

„Das hier kleine Schwester ist ein Bustier, also eine Art Vorstufe von einem BH", sie legte die Strumpfhose neben sich: „Die tragen Mädchen teilweise auch noch in deinem Alter, wenn sich die Brüste entwickeln. Wenn du dein Kleid und dein Unterhemd ausziehen magst." Das ließ ich mir nicht zweimal sagen und hatte innerhalb von Sekunden nichts mehr an am Oberkörper, was mir einen belustigten Blick von meiner Schwester einbrachte. Dann half sie mir allerdings in den Bustier und lief nochmal zum Schrank um Socken herauszuholen und sie zu entrollen und sie mir anschließend in den Bustier zu stopfen. „Zieh mal das Kleid wieder an, wenn du magst", sie trat ein paar Schritte zurück, wie um ihre Arbeit zu bewundern: „Dann kannst du auch noch die Jeans gegen die Strumpfhose tauschen falls sie dir passt."

Wenig später bewunderte ich mich im Kleid, auch wenn mir der Gedanke, dass der Bustier nur ausgestopft war, einen kleinen Stich versetzte. „Soll ich ein Foto machen?", Sola zog ihr Handy aus der Hosentasche und ich nickte heftig. So konnte ich mich wenig später auf dem kleinen Bildschirm von Solas Samsung Galaxy J3 bewundern. Ausnahmsweise störten mich meine nur halb über die Ohren reichenden blonden Haare nicht, es gab mir das Gefühl, dass ich schön war. „Du bist generell schön", murmelte Sola, als hätte sie meine Gedanken gelesen: „Nur es passt nicht zu dem wie du in deinen Gedanken aussehen möchtest." Ich biss mir auf die Unterlippe und gab ihr ihr Handy zurück: „Dein Kleid ist aber auch einfach nur toll." „Du kannst es anbehalten, wenn du magst", gab meine Schwester sanft zurück: „Nur du solltest es vor Sonntag zurückgeben, damit unsere Eltern das nicht sehen."

Wortlos schlang ich die Arme um ihre Schultern: „Du bist echt die beste, ich weiß nicht wie ich dir danken soll." „Ich schon", Solas Augen funkelten: „In dem du als die Person lebst die du sein möchtest, egal was andere sagen. Das ist schon Dank genug für mich, wenn du deinen Weg gehst."

Schatten der VergangenheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt