Kapitel 50 Schicksal| TW Suizidversuch

12 2 0
                                    

Es war absolut nichts los hoch über den Zuggleisen der Stahlwerke, keine Züge waren in der Nähe, genauso wenig wie Menschen. Autos waren hinter mir auch nicht zu hören, es konnte mich also niemand mehr aufhalten, kein Polizist und auch keine Wohngruppe. Die Wohngruppe glaubte ich sei noch beim Grab meiner Schwester, sie würden sich erst deutlich später merken, dass ich fehlte. Es war schließlich noch deutlich weiter vom Friedhof zurück. Vorsichtig kletterte ich über das Geländer der Brücke und stellte mich auf die Außenkante der Brücke, von hier gesehen schimmerten die Gleise matt. Diesen Sturz konnte man gar nicht überleben, ich musste mich trotzdem beeilen, es war gerade erst Viertel vor neun, da waren sicherlich noch Menschen unterwegs, die mich sonst noch abfingen.

„He was machst du da", ein paar Arme packte mich plötzlich von hinten und ich zuckte zusammen: „Um Gottes Willen Peter ruf den Rettungsdienst!" Die Stimme gehörte einer Frau, was der Mann, anscheinend Peter antwortete, konnte ich nicht verstehen. Dann hörte ich ein Handy tuten und der Mann begann hektisch zu sprechen, die Frau hielt mich immer noch fest umklammert. „Du wolltest springen oder", die Stimme der Frau hinter mir zitterte: „Gott sei Dank haben wir dich gesehen, es wird alles gut. Peter hilf mir mal sie über das Geländer zu ziehen schnell!". Der Mann musste aufgehört haben zu telefonieren denn Schritte näherten sich uns rasch: „Ich komme schon!" Ein weiteres Paar Arme packte mich von hinten und hob mich an.

Wenige Sekunden später lag ich flach auf dem Boden auf der richtigen Seite des Geländers, in der Ferne ertönte ein Martinshorn. Der Mann in einer grauen Windjacke kam mit etwas silber-goldenem vom Auto wieder, dessen Warnblinker mir immer wieder in die Augen leuchtete. Die Frau wickelte mich hinein, sie sprach kaum ein Wort nur ein paar leise Worte mit dem Mann, gleichzeitig behandelte sie mich behutsam wie ein Baby. Dann flackerte Blaulicht über uns hinweg und zwei Personen in Neongelb, Sanitäter nahm ich an, rannten auf uns zu. „Guten Abend was ist denn passiert", die Worte richteten sich wohl an die beiden, die mich über das Geländer gezogen hatten. „Wir haben die junge Frau hier auf der anderen Seite des Geländers gesehen", die Stimme der Frau bebte.

„Alles gut", einer der Sanitäter, ich war mir inzwischen sicher, dass es einer war legte ihr die Hand auf den Arm: „Wir sind ja jetzt da und sie ist erstmal in Sicherheit. Ist die Polizei schon unterwegs?" Die Frage richtete sich an seinen Kollegen, die Antwort gab aber dieser Peter: „Die Person bei Ihnen in der Leitstelle wollte sie informieren." „Gut", der Sanitäter hockte sich zu mir hin: „Hey, ich bin Felix, kannst du mir sagen was passiert ist? Hast du etwas genommen? Medikamente, Alkohol oder so?" Ich wusste nicht so richtig was ich antworten sollte und schüttelte einfach nur den Kopf, während der Sanitäter die Rettungsdecke ein wenig zurecht zupfte. „Es wird alles wieder gut", Felix lächelte matt: „Hast du irgendwen zum Informieren?"

Im Endeffekt wurde dann die Wohngruppe über die Handynummern in meinem Handy informiert und Frau Timmerlahn machte sich auf den Weg laut der Polizei. Letztere war kurz nach dem Rettungsdienst eingetroffen, mich hatten sie inzwischen in den Rettungswagen gebracht. „Wir bringen sie nach Königslutter in die Notfallambulanz", das war der Kollege von Felix: „Sie ist nicht verletzt und scheint auch nichts genommen zu haben. Der Alkoholtest war bei 0,0 Promille, Medikamentenzugriff hat er ja nicht?" „Nein, nein", das war Frau Timmerlahn, die da gerade sprach: „Kann ich kurz mit ihr sprechen? Ich habe der Polizei schon ihren Ausweis und ihre Krankenkassenkarte gegeben." Ich verkrampfte mich innerlich, ich wollte nicht mit der Leiterin der Wohngruppe sprechen, sie würde mich Vorwürfe machen, dass ich mit niemandem über die Dringlichkeit gesprochen hatte.

Aber der Sanitäter ließ sie natürlich hinein und wenig später stand sie vor mir mit verschränkten Armen, aber immerhin waren weder Marie noch Elian dabei. „Warum", war das Erste was sie sagte: „Verdammt Luna, sei froh, dass Marie nicht da war, als die Polizei bei uns angerufen hat und gesagt hat, dass du Suizid versucht hat, sie hätte mich sonst umgebracht!" Ich antwortete nichts, sah ihr nur in die dunkelbraunen Augen während die Betreuerin hin- und herlief, sichtlich aufgebracht. „Du hättest doch mit uns sprechen können", sie blieb kurz stehen, um mich anzusehen: „Wir haben doch Kontakt zu einem Psychiater. Das geht notfalls auch erstmal über den Kopf deiner Eltern hinweg, wenn es ein absoluter Notfall ist, was du uns gestern noch gegenteilig versichert hast."

Der Sanitäter legte ihr behutsam die Hand auf den Arm: „Ich weiß, dass Sie sich aufregen, aber ich glaube das bringt im Moment nicht so viel. Wir müssen auf jeden Fall los, wir sind für 22 Uhr in Königslutter gemeldet, dafür sind wir schon ziemlich spät dran." Die Betreuerin seufzte: „Sie haben ja Recht, aber das klären wir noch Luna, aber ich schätze du fährst jetzt erstmal zu deiner Behandlung." Einer der beiden Polizisten kam zur Tür und sprach kurz mit dem Sanitäter, der den Kopf schüttelte: „Ich glaube nicht, dass du eine sinnvolle Antwort von ihr erwarten kannst." „Okay", der Polizist steckte den Kopf hinein: „Dann wünsche ich euch eine gute Fahrt und dir gute Besserung in der Klinik!"

Dann verschwand er wieder bevor ich mich bedanken konnte und der Sanitäter zog die Tür zu: „Wir können los!" Der Rettungswagen fuhr mit einem Ruck los und wir machten uns auf den Weg in Richtung Autobahn, wo es dann wesentlich schneller voran ging. Wir fuhren ohne Blaulicht soweit ich das sehen konnte, die Autobahn schien sowieso leer zu sein, zumindest sagte das Felix an seinen Kollegen gerichtet. „Wir sind gleich da", wandte der sich jetzt an mich: „Du kannst aber noch laufen oder? Du hast dich nicht irgendwo noch verletzt?" Ich schüttelte den Kopf und versuchte mich soweit es mit dem Gurt ging aufzurichten, gab es bei dem wenig Platz allerdings auch direkt wieder auf. „Ganz ruhig", der andere legte eine Hand auf meine Schulter und sah mich warnend an.

„So also Carlos Jason Schmitz", die diensthabende Psychiaterin sah auf ihre Unterlagen: „Mir wurde von deiner Betreuerin gesagt, dass du lieber Luna genannt werden möchtest. Ist das richtig?" Ich nickte: „Ja Luna ist mir wirklich lieber, genauso wie die Pronomen sie und ihr, ich bin Trans denke ich." „Das könnten wir hier durchaus diagnostizieren", die andere Mitarbeiterin die mir gegenüber saß, sah mich an: „Aber dafür müssten wir die Kapazitäten haben, dich länger hierzubehalten. Was mich aber auch interessieren würde ist, ob das der Grund für deinen Suizidversuch war, oder ob da mehr hinter steckt." Ich schüttelte den Kopf: „Ich kann meinen Körper das ganze Gott verdammte Leben nicht mehr ertragen!" Ich war unabsichtlich laut geworden, aber meine Gegenüber zuckten nicht mit der Wimper zu meiner Erleichterung.

Wenig später konnte ich in ein Zimmer mit einem bereits schlafenden Mitbewohner ziehen, der ließ sich nicht vom Lärm und dem Licht stören. In einer geliehenen Jogginghose und in meinem T-Shirt ging es dann endlich ins Bett, es war mittlerweile kurz vor Mitternacht, ganz dringende Schlafenszeit. Mein Handy hatte immer noch 53% das würde definitiv bis Morgen noch reichen, bis mir jemand Kleidung und ein Ladekabel brachte.


Schatten der VergangenheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt