Das kleine Dorfgymnasium, das Sola und ich besuchten roch wie immer nach altem Muff und Schimmel. Seit Jahren gab der Landkreis hohle Versprechungen ab, endlich das muffige Schulgebäude zu Generalsanieren, das Einzige was passiert war, war allerdings, dass die Sporthalle seit ich an der Schule eine Baustelle war. Hieß einmal in der Woche durften wir nochmal zwanzig Minuten zu einer anderen öffentlichen Sporthalle fahren. Freitags blieb mir zum Glück Sport erspart, dafür allerdings nicht mein Hassfach Mathe in Kombination mit Geschichte und Deutsch. Geschichte zog sich in der sechsten Klasse wie Kaugummi. Sola besuchte schon die zehnte Klasse, sie lief auf die Oberstufe zu, machte sich Gedanken, wo sie ein Praktikum machen konnte.
Raus aus der stinkenden Schule, voller Spinnenweben ohne die Schule zu schwänzen an einem Ort wo man einen nicht über Jahre hinweg schon kannte. Das Knallen der Tür riss mich aus meinen Gedanken. Herr Kovlic, unser Geschichtslehrer stapfte in den Raum und grummelte einen guten Morgen während wir alle hektisch aufsprangen und zum üblichen guten Morgen Singsang ansetzten. Überraschenderweise wurde die Stunde nicht so langweilig wie erwartet, da wir verschiedene römische Gottheiten hatten googeln sollen und darüber Infos herausgeschrieben wurden.
Mit meiner Brotdose in der Hand gesellte ich mich zu meiner Freundesgruppe in einer Ecke des Schulhofes. „Hey Carlos", Johanna das einzige Mädchen in unserer Gruppe, umarmte mich, während sich in meinem inneren wieder etwas zusammenzog, als sie meinen Namen sagte. „Hey", murmelte ich und umarmte sie zurück: „Na war Mars so spannend?" Ich grinste Jakub und Jason an, die grinsend die Augen verdrehten: „Naja der war den Römern im Krieg halt heilig." Gab Jason schließlich zurück und wandte sich an Johanna und Armin, die in die Parallelklasse gingen: „Habt ihr das auch schon gemacht?" Johanna biss von ihrem Käsebrötchen ab: „Jup schon letzte Woche Herr Kovlic ist glaube ich mit uns ein Stück weiter als mit euch." „Kann gut sein, da kommen viele Fragen bei uns und die dauernden Diskussionen", Jakub schob sich den Rest seines Müsliriegels in den Mund.
Am Nachmittag als ich aus der Schule zurückkam, hatte Sola noch keinen Schluss gehabt und meine Eltern schon unterwegs nach Stuttgart. Sola hatte ihre Zimmertür sorgfältig geschlossen und ihr Türschild auf „Betreten Verboten bitte nicht stören", gedreht. Sie würde allerdings auch erst nach drei kommen und so sehr wir uns auch mochten, sie wollte nicht, dass irgendjemand in ihrer Abwesenheit in ihr Zimmer kam. Ich warf in meinem Zimmer meine Schultasche unter meinen Schreibtisch und lief nach unten, um den Laptop meiner Eltern zu holen und etwas nachzuschauen. Auf dem Laptop hockte zu allem Übel eine fette schwarze Spinne, stöhnend holte ich den Staubsauger aus unserer Abstellkammer und saugte das Krabbelvieh ein. Dann nahm ich das Gerät samt Maus und Ladekabel mit nach oben und stellte ihn auf meinem Schreibtisch ab.
Zum Glück verband sich das Gerät sofort mit dem Wlan und zeigte wenig später den Sperrbildschirm an. Das Passwort klebte mit einem Post-it Zettel neben dem Touchpad an der Tastatur, weswegen ich es einfach abtippen konnte. Ich öffnete den Internetbrowser und klickte auf das Google Symbol. Was ist, wenn man sich mit seinem Namen unwohl fühlt? Gab ich in das Suchfeld ein und drückte auf Enter, es dauerte einen Moment, dann füllte sich der Bildschirm mit Seiten. Nach einigen sinnlosen Seiten die für mich nicht auf das zutrafen was ich empfand, stieß ich schließlich auf eine Webseite die sich mit dem Thema Transgender beschäftigte. Auf der Webseite flogen viele Begriffe die mir fremd waren, ich ging wieder zurück auf die Suchleiste von Google, tippte Transgender in die Suchleiste ein und drückte zögerlich auf die Entertaste.
Gender als Vokabel hatten wir schon im Englischunterricht gehabt, ich hatte damals nicht wirklich etwas anfangen können. Unser Lehrer hatte es uns so erklärt, dass wir ja ein Geschlecht hatten in dem wir geboren waren, welches im Englischen Sex hieß und dann war da noch das Gender, das Geschlecht was wir in unserer Vorstellung und unseren Wünschen waren. Mein Kopf raste als ich den Wikipedia Artikel anklickte:
Transgeschlechtlichkeit oder als Adjektiv transgeschlechtlich (von lateinisch trans „hinüber, jenseits") bezeichnet bei Personen, dass ihre Geschlechtsidentität nicht oder nicht vollständig mit dem in der Regel anhand äußerer Merkmale vor oder unmittelbar nach der Geburt bestimmten Geschlecht übereinstimmt.
Weitere Begriffe, die synonym verwendet werden, sind transident, trans oder trans* und () transgender. Der Begriff transsexuell wird teilweise als veraltet und pathologisierend kritisiert und von einigen Transpersonen abgelehnt.
Transgeschlechtlich ist ein Überbegriff für viele Personen, die sich dem queeren bzw. LGBT-Spektrum zuordnen; das ‚T' in ‚LGBT' steht für trans. Transgeschlechtlichkeit ist außerdem unabhängig von sexueller Orientierung. Zum Überbegriff gehören binäre Transmenschen, beispielsweise Transfrauen und Transmänner, genauso wie nichtbinäre Transpersonen und allgemein eine Vielzahl an Personen, die ihre Geschlechtsidentität auf diverse Weise definieren. Menschen, die nicht trans sind, werden entsprechend als cisgeschlechtlich oder einfach cis bezeichnet.
Der Grad, zu dem Personen sich mit ihrer äußerlichen Erscheinung wohlfühlen und ihre authentische Identität annehmen, wird auch als Transgender-Kongruenz bezeichnet (englisch transgender congruence). Manche Transpersonen erleben Geschlechts- oder Gender-Dysphorie. Einige von ihnen streben deshalb medizinische Maßnahmen an, etwa Hormonersatztherapie und geschlechtsangleichende Operationen.
Das heutige Verständnis von Transgeschlechtlichkeit ist wenige Jahrzehnte alt, und auch das ältere Konzept der Transsexualität reicht nur etwa ins frühe 20. Jahrhundert zurück. Im Westen wurden Transpersonen von Zeitgenossen aufgrund ihrer Weigerung, in gesellschaftlich vorgeschriebene Geschlechterrollen zu passen, mit Argwohn betrachtet oder für unnatürlich bzw. psychisch krank gehalten. Erst rückblickend können verschiedene historische Persönlichkeiten, insbesondere im neuzeitlichen Europa, als vermutlich trans identifiziert werden.
War es wirklich das, was mir solche Probleme machte? War ich das was in dem Artikel als Transgender definiert wurde? Ich löste meine rechte Hand von der Maus und las mir den Textabschnitt immer und immer wieder durch. Meine Gedanken rasten, ich war immer neidisch auf die Brüste von Sola gewesen, hatte ihre Kleider und die langen Haare. Ich fuhr mir über meine, über die Ohren fallenden Haare, ich hatte sie nicht schneiden lassen wollen, was zum Glück bei meiner Mutter noch durchgegangen war. Wieder zuhause hatte mein Vater dann geschimpft: „Du willst doch nicht Aussehen wie diese Spinne die wir neulich im Haus hatten oder?" Hatte er gesagt und dann an meinen ungeschnittenen Haaren rumgezupft.
In Gedanken bemerkte ich nicht einmal wie meine Zimmertür aufging, als dann doch jemand die Arme von hinten um meine Schultern legte. „Was liest du da kleiner Bruder?" Sola lehnte sich an mir vorbei, um auf den Bildschirm des Laptops schauen zu können. Auch wenn sie drei Jahre älter war, war ich nicht mehr viel kleiner als sie. „Ach du heilige", murmelte sie, während sie den Text las: „Bist du das?" Ihre blauen Augen bohrten sich in meine blaugrünen: „Bist du Transgender?"
DU LIEST GERADE
Schatten der Vergangenheit
Teen Fiction,,Warum machst du einen Unterschied zwischen einem Mädchen und einem Jungen?" Klischees sind ein Problem, dass der 12jährige Carlos von einer ganz anderen Seite kennt. Gibt es einen Ausweg? Vorgeschichte zu: Ein Licht in der Dunkelheit Diese Story...