Kapitel 34 Schlag auf Schlag|TW Transphobie durch Eltern

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Irgendwann nahm ich dann doch einen Zug nach Hause, meine Mutter war inzwischen in der Psychiatrie, wo wir kaum etwas von ihr hörten, außer dass sie noch lebte. Mein Vater holte mich vom Bahnhof in Hannover ab, da er dort sowieso einen Termin hatte. Auf der Vater nach Hause sprachen wir nicht viel, mein Vater starrte auf die Fahrbahn, als suchte er dort etwas von dem ich nichts wusste. Ich vergrub mich irgendwann in dem Chat mit meinen Freunden und achtete nicht darauf, dass mein Vater Musik anstellte, übermorgen ging die Schule wieder los, da würde ich nicht mehr so viel Zeit haben, um ausgiebig zu chatten.

Zuhause gab es Spagetti Bolognese, das Lieblingsessen von Sola, das sie auch selbst zubereitet hatte, während wir auf der Heimfahrt gewesen waren. „Was habt ihr Morgen vor", wollte mein Vater wissen: „Ich fahre Morgen zu Opa ins Heim, damit er da nicht so vereinsamt." Ich warf Sola einen Blick zu und sie nickte leicht: „Ich bleibe hier, ich muss mich ein bisschen auf Schule vorbereiten." „Ich auch", pflichtet Sola mir bei: „Ich war ja letzte Woche mit, als Carlos noch bei Johanna in Osnabrück war. „Das stimmt", mein Vater seufzte: „Dann fahre ich alleine Morgen so gegen zehn los, wenn was ist könnt ihr mich ja anrufen." Wir nickten beide und machten uns dann weiter über die Spagetti her und gingen recht früh schlafen.

Trotzdem war mein Vater schon fröhlich pfeifend dabei sich für die Fahrt zu Opa fertig zu machen. Sola und ich waren deutlich schlechter gelaunt als sonst, jede von uns hatte mindestens zehn Anrufe heute Nacht von unserer Mutter gehabt, warum wussten wir auch nicht so wirklich. Das wollten wir allerdings nicht unserem Vater erzählen, der sowieso laut Sola schlecht auf meine Mutter zu sprechen war, da musste man nicht noch mehr provozieren. „Tschüss ihr beiden!" Damit verließ er das Haus und wir konnten ihn zum Auto laufen sehen, dann fuhr er davon, die Straße hinunter. Wir sahen ihm hinterher, bevor wir uns über seine bereits geholten Brötchen hermachten.

„Hast du wirklich was zu tun, oder wollen wir was anderes machen", wollte ich von meiner Schwester wissen. „Nein", Sola verdrehte die Augen: „Ich habe das nur gesagt, um nicht mitzumüssen, das Altenheim ist ein Albtraum." „Was ist denn da", ich folgte ihr die Treppen nach oben in ihr Zimmer und ließ mich auf ihren Sitzsack fallen. „Lauter verwirrte Leute", Sola seufzte und setzte sich auf ihr Bett: „Wurde die ganze Zeit von so einer alten Frau verfolgt, als ich letzte Woche da war. Warum weiß ich auch nicht, als ich sie gefragt habe, meinte sie nur irgendwas von irgendeiner Katze, also sehr verwirrend." Ich seufzte: „Opa ist ja teilweise auch nicht mehr besser, erinnerst du dich an die Sache mit den Kröten?" Ich lachte bitter auf: „Oh ja, aber das hat hauptsächlich Oma hauptsächlich abbekommen, auch wenn ihr das ja auch nicht gut bekommen ist."

Wir probierten eine Weile an mir Solas neue Schminksachen aus, die sie nie selbst ausprobieren würde. Meine Eltern wollten trotzdem, dass sie sowas besaß, meine Mutter schminkte sich gerne und regelmäßig, auch zur Arbeit, zumindest als sie noch nicht in der Psychiatrie gewesen war. Sie hatten Sola das ganze Zeug einfach aufgedrängt, dass sie aber nie benutzte und mich das ganze ausprobieren ließ. Schließlich klaute ich mir aus Solas Schrank eine Bluse und einen dunkelblauen Rock unter den ich aufgrund der warmen Temperaturen nichts zog, meine Unterhose war auch so schon verdeckt. In kurzen Socken von Sola und meinen Straßenschuhen, gefiel ich mir ausnahmsweise in Solas Spiegel. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass Sola Dinge besaß, die sie nicht mochte, aber ich sie dafür umso mehr.

Wir machten uns zu zweit auf einen kleinen Spaziergang über die nächsten Felder, wir liefen die meiste Zeit schweigend nebeneinander her. Der Herbstwind trieb Wolken vor sich her, heute Nachmittag sollte Regen aufziehen und es würde deutlich abkühlen. Er verzauste meine inzwischen kinnlangen Haare und ließ mich ein wenig frösteln, auch wenn es gut zwanzig Grad waren. Sola hatte eine Jacke über ihr T-Shirt gezogen und fror bisher noch nicht in ihrer Jeans und der halb geöffneten Jacke. Der Wind schleuderte ihren Pferdeschwanz hin und her und ließ sie sich die Kapuze hochziehen, so dass er ihr nicht mehr ins Gesicht schlug. „Deine Haare wachsen ziemlich schnell", bemerkte sie: „Das ist für dich von Vorteil, dann hast du schnell eine schöne Länge, wenn du sie wachsen lassen kannst."

Wir bemerkten kaum, wie uns die Zeit davonlief, es war schon kurz vor drei als wir zuhause reinplatzten, ohne darauf zu achten, dass das Auto unseres Vaters schon auf dem Parkplatz stand. Er war unten damit beschäftigt ein paar Reste der Sachen meines Opas in einen großen Umzugskarton zu packen der noch von unserem Umzug vor einem halben Jahr übrig war. Er drehte sich um, um uns zu begrüßen, als er uns jedoch sah blieb ihm der Mund offen stehen, seine blauen Augen bohrten sich mit einer Mischung aus Entsetzen und Wut in meine Augen. „Was zum Teufel soll die scheiße", schrie er so plötzlich los, dass ich ein paar Schritte zurückwich. Doch Sola packte meinen linken Arm und hielt mich fest.

„Das was man dir sowieso irgendwann erzählen muss", Solas Hand schloss sich fester um meinen Arm. Mein Vater wandte sich quasi direkt ab, ohne Sola weitersprechen zu lassen: „Es gibt keine Erklärung, diese ganze Transgender Scheiße ist eine reine Einbildung. Du kannst dir deine Erklärung gleich sparen Sola Schmitz, meine Kinder sind nicht Transgender." „Das dachten wir uns schon", fauchte Sola zurück: „Aber an deiner Stelle würde ich aber mal an die Gesundheit deiner Kinder denken, sonst hast du bald noch mehr Leute in der Familie in der Psychiatrie." Damit stampfte sie aus dem ehemaligen Wohnzimmer und schleifte mich hinter sich her, bevor sie die Tür zuknallte.

„Das wird Konsequenzen haben", Sola schloss ihre Zimmertür ab, sodass unser Vater uns nicht hinterherkommen konnte, er kam allerdings auch nicht nach oben. Ich zog mir hektisch meine normalen Sachen wieder an, die mein Vater auch für vorführfähig hielt: „Was für welche denkst du, gibt das?" „Kann ich gar nicht einschätzen", Sola schluckte sichtlich: „Aber wir sollten ein paar Dinge wie die Flaggen dringend verschwinden lassen und zwar jetzt." Wir hatten eine Menge Glück offenbar, denn das Auto von unserem Vater fuhr gerade wieder davon, was uns die Möglichkeit gab, das jetzt so schnell wie möglich hinter uns zu bringen. Unser Nachbar hatte einen völlig verwilderten Garten und einige Tonnen standen in einem Gebüsch versteckt, die sicher seit Jahren nicht mehr benutzt worden waren.

Trotz des Regens mittlerweile beeilten wir uns mit Regenjacken alles, was wir nicht haben dürften in die Tonnen hinter dem Haus zu stecken. Der Gartenzaun zum Nachbarn war leicht zu übersteigen und wir konnten die Sachen rasch verstecken. Johanna der ich später schrieb, würde ich das ganze wohl später per Post schicken, mein Taschengeld könnte dafür reichen und einen alten Karton hatten wir auch. Die Konsequenzen würden aber bitterer sein, als ich es bisher ahnte...


Schatten der VergangenheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt