Am nächsten Morgen war es extrem ruhig als ich aufwachte, es telefonierte niemand, es brannte auch nirgendwo Licht. Ich nutzte die Chance und besetzte das Bad, bevor jemand wach wurde und schlüpfte in meine Badehose, um dann duschen zu gehen. Als ich dann fertig war, war allerdings immer noch keiner wach, um fünf vor halb neun allerdings auch keine große Überraschung. Ich ließ den Föhn im Bad und wickelte mir ein Handtuch um den Kopf, dann verzog ich mich wieder in mein Zimmer. Mein Weg führte mich zum ersten Mal seit längerem wieder in das Forum, wo ich mir einige von den Beiträgen durchlas, bis tatsächlich etwas mehr Unruhe ins Haus kam.
Mein Vater holte Brötchen und wir saßen wenig später um den Esstisch mit meinem Großvater. Mein Großvater und meine Mutter hatten vollkommen rotgeweinte Augen, mein Vater war hauptsächlich ziemlich müde. Wie er nur das war, war mir allerdings auch ein Rätsel. Er warf uns einen müden Blick und legte mir eine Laugenstange auf den Teller. „Eure Großmutter ist gestern Abend gestorben", er legte das Brotmesser neben meinen Teller: „Die Ärzte sind sich nicht sicher, ob sie einen zweiten Schlaganfall hatte, oder es einen anderen Grund hatte." Er legte den Arm um meine Mutter, die den Kopf auf seine Schulter legte und sich über die Augen wischte. „Das schaffen wir schon", Sola nahm die Hand meines Opas die neben seinem Teller auf dem Tisch lag.
Sola und ich wurden nicht mitgenommen, als meine Eltern und mein Großvater am nächsten Morgen zum Bestattungsunternehmen fuhren. Mit diesen dann sturmfreien Stunden, wussten Sola und ich ausnahmsweise nichts anzufangen, ich saß stumpf in meinem Zimmer und las einen Roman aus Solas Regal. Meine ganzen Warrior Cats und Die Legende der Wächter Bücher waren für meinen Geschmack zu unangebracht. Sie stellten auch stellenweise Tod und dar, aber nicht das was Trauer mit Menschen machte, mit denen man immer zusammenwohnte, die man liebte auch wenn sie nicht so direkt mit ihnen verwandt war, wie mit seinen Eltern oder Geschwistern. Es war unvorstellbar für mich Sola oder meine Eltern zu verlieren, ich ahnte ja noch nicht, wie sehr die Transphobie meiner Eltern Probleme machen würden.
Meine Mutter sah noch verweinter aus, als sie am Nachmittag wiederkamen, sie schmiss die Kaffeemaschine meines Vaters an. Normalerweise mochte sie das Gerät nicht, es schmeckte laut ihr einfach nicht, meinem Vater aber offensichtlich schon. Sie nahm sich eine Tasse und stellte sie auf den Küchentisch, um nach meinem Großvater im Erdgeschoss zu sehen. Als ich zum Abendessen wieder nach unten kam stand die Tasse unberührt unten auf dem Küchentisch. Nach dem Abendessen hatte ich eine Nachricht von Mia, die mich fragte, ob wir uns Morgen in der Stadt treffen wollten, um mit Mira und ihr shoppen zu gehen.
Meine Eltern stimmten etwas zögerlich zu, aber dann schließlich doch, mit dem Argument, dass sich Trauer nicht davon lösen ließ, dass ich den ganzen Tag in der Bude hockte. Meine Mutter brachte mich persönlich nach Braunschweig, weil sie sich mit einer ihrer Freundinnen dort auch treffen wollte, die allerdings deutlich außerhalb von Braunschweig wohnte und in einem Altenheim arbeitete, dass sogar eventuell noch einen Platz frei hatte. Sie warf mich also auf ihrem Weg ab, mit ein wenig Geld für ein Straßenbahn Ticket und die Rückfahrt. Ich hatte nur vor zu schauen und nicht Solas Kleiderschrank weiter zu belasten, der war trotz des Tods meiner Großmutter immer noch zu voll. Zu unserem Glück passten ihre Sachen, die sie Sola auch vermacht hatte, nicht und wir wussten noch nicht, was wir mit ihnen machen sollten.
Miras Hautfarbe hatte sich trotz des warmen Urlaubs genauso wenig verändert wie meine, während Mia sich schon fast durch ihre braungebrannte Hautfarbe bemerkbar machte, als wir uns am Hagenmarkt trafen. „Wie war der Urlaub", rief sie mir gut gelaunt entgegen und ich umarmte sie und Mira rasch: „Super und eurer?" „Stürmisch", brummelte Mira: „Das erklärt wahrscheinlich auch meine Hautfarbe, ich habe erst in Deutschland die Sonne wiedergesehen." „Meine Hautfarbe spricht glaube ich für das Wetter bei mir", Mia lachte und wir liefen langsam los in Richtung Schloss. Wir drängelten uns wenig später durch die Menschen in die verschiedenen Läden strömten. Mia besaß innerhalb von einer Stunde mindestens zehn neue Kleidungsstücke und neue Trinkflasche.
Das Einkaufsfieber hatte meine beiden Freundinnen fest im Griff und sie ließen sich kaum davon abbringen. Ich ließ mein Portemonnaie nur zwei Bücher kosten und sah ihnen sonst einfach nur zu, wie sie Klamotten ausprobierten. Ein Stich von Neid durchfuhr mich, ich wünschte, ich könnte auch einfach ausgiebig Klamotten mit ausprobieren zu können. Trotzdem lief ich neben Mia her, die Mira sicher durch das Gedränge führte und immer wieder in einzelne Länden und suchte Sachen mit ihr raus, die ich immer wieder bewerten musste. Während wir in einer Umkleide standen, die zu unserem Glück mal leer war, der Laden war auch generell nicht besonders voll, erzählte ich auch Mira davon, dass ich Trans war.
Mira nahm es zu meinem Glück ähnlich gut auf wie Mia und versprach mich Luna zu nennen, solange wir allein waren. Schließlich gingen wir in McDonalds und bestellten Burger mit denen wir uns dann an einen der Tische setzten und einfach weiter über alles was uns in den Sinn kam. Während wir unser Geschirr wegbrachten, schrieb mir meine Mutter und fragte, ob sie uns mitnehmen sollte, da sie in einer halben Stunde wieder nach Hause fuhr. Mia telefonierte kurz mit ihrer Mutter und war dann damit einverstanden, dass wir sie mitnahmen. Wir planten dann spontan noch zu fragen, ob ich wie Mira auch, bei Mia übernachten konnte.
Mia würde Morgen 13 werden, sie hatte damals die dritte Klasse wiederholen müssen und war entsprechend ein halbes Jahr älter als Mira und ich. Meine Mutter war davon nicht so begeistert, stimmte aber zu, als Mia ihr versicherte, dass ihre Eltern kein Problem damit hatten, dass sie einen Jungen zu sich einlud. Sie fuhr dann trotzdem mit mir nach Hause, um mein Geschenk, dass ich Mia eigentlich bei Gelegenheit geben wollte und Kleidung für mich zu holen. Dann fuhr sie mich zu Mia, die einige Dörfer weiterwohnte und umarmte mich zum Abschied: „Viel Spaß mein Schatz."
Mias Vater öffnete mir die Tür und lotste mich ins Wohnzimmer, wo meine Freundinnen schon saßen und gerade die Snacks auspackten. „Na endlich", Mia umarmte mich und führte mich zu der Ecke, wo schon Miras Rucksack an die Wand gelehnt stand. „Wir haben schon Snacks ausgepackt, was für einen Film willst du schauen?" Ich schlug ihr schlicht Star Wars vor und sie grinste zufrieden: „Das klingt doch nicht verkehrt, Mira hat auch schon Star Wars Filme mit Audiodiskription mitgebracht." Sie winkte mich zu ihrem großen Sofa, auf dem Mira schon saß und sich gerade Chips in den Mund schob. „Na dann kann es doch schon losgehen, der Abend", ich setzte mich neben Mira und schnappte mir ein paar Gummibärchen.
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Schatten der Vergangenheit
Teen Fiction,,Warum machst du einen Unterschied zwischen einem Mädchen und einem Jungen?" Klischees sind ein Problem, dass der 12jährige Carlos von einer ganz anderen Seite kennt. Gibt es einen Ausweg? Vorgeschichte zu: Ein Licht in der Dunkelheit Diese Story...