Kapitel 18 Zoo

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Christi Himmelfahrt auch bekannt als der Vatertag, war meistens vorallem für Sola ein Graus. Wenn sie überhaupt alleine das Haus verließ, mein Vater schleppte uns alle am Donnerstagmorgen in den Gottesdienst. Meine Großeltern kamen, wenn auch widerwillig im Fall meines Großvaters mit und setzten sich möglichst weit von mir und Sola weg. Während des Gottesdienstes fing es draußen an zu regnen, was meinen Opa in der Reihe vor uns endgültig durcheinanderbrachte. Er zappelte die ganze Zeit hin und her und brabbelte vor sich hin, die Pastorin ließ sich von dem unruhigen alten nicht stören. Aber die Frau neben Sola beschwerte sich schon leise bei ihrem Ehemann über die Störung des Gottesdienstes. Meine große Schwester verdrehte die Augen und nickte zur Pastorin, die jetzt sich doch stören ließ.

Die Stimmung in der Kirche am Ende des Gottesdienstes in den kompletten beiden Reihen, wo meine Familie gesessen hatte, war miserabel. Die Pastorin verabschiedete uns trotzdem an der Kirchentür, auch unsere Großeltern, aber ihre Genervtheit war ihr anzumerken. Mein Vater verdrückte sich direkt zu seinen Kumpels, um dem Stress mit meiner Mutter aus dem Weg zu gehen. Dafür wurde meine Mutter richtig stinkig, als wir uns in unserem Esszimmer im ersten Stock zusammensetzten. „Das kann doch nicht wahr sein", sie goss sich fast die Reste aus der Kaffeekanne über den Handrücken. „Er hat einfach den kompletten Gottesdienst gestört und meiner Mutter wars einfach egal", sie nahm einen Schluck aus der Tasse und knallte sie auf den Esstisch, sodass Sola und ich zusammenzuckten.

Die Diskussion wurde von einem Anruf unterbrochen der auf unser Festnetz ging, das gerade Vorgestern angeschlossen worden war. Meine Mutter seufzte und ließ den selbstgemachten Pizzateig, Pizzateig sein und lief zum Telefon. Mit dem schnurlosen Gerät lief sie wieder in die provisorische Küche mit Campingherd und knetete den Teig mit der freien Hand weiter. Es ging offenbar um unser altes Haus mit der Familie, die wir dort schon getroffen hatten, die an diesem Wochenende einziehen wollte, das Ganze ging allerdings erst Morgen los. Die Mieterin wollte wissen, wie alt die Bäume auf dem Grundstück waren, da für Morgen Unwetter angesagt waren und sie nicht so besonders gerne von Bäumen beim Umzug erschlagen werden wollten. Meine Mutter konnte ihr aber versichern, dass die Bäume schon einige Stürme gut überstanden hatten, so auch sicher diesen.

Ich verzog mich mit Sola nach oben und wir legten in die Switch, die sich meine Eltern mal für die Familie gekauft hatten, Mario Kart 8 Deluxe ein. Das Spiel trieb uns beide in den Wahnsinn mit der Zeit nachdem wir uns andauernd gegenseitig abschossen, anstatt auch auf die Computer, gegen die wir spielten, zu schießen. Meine Mutter machte unten ihren Pizzateig und schimpfte, weil wir ziemlich lautstark fluchten, mehrmals ziemlich. Draußen regnete es und der Regen tropfte gegen Solas Dachfenster. Meine Schwester zog ihr Handy von ihrem Schreibtisch und fischte auch ihre Kopfhörer heraus: „Wenn wir YouTube schauen, dann schimpfen wir weniger." Sie legte ihren Controller beiseite und stellte ein LetsPlay von irgendeinem YouTuber an, den ich nicht kannte.

Draußen vor dem Fenster zogen trotz des Regens die Horden an Menschen vorbei, größtenteils ziemlich betrunken. Gleich kam der nächste Zug und wahrscheinlich sah der Plan vor nach Hannover zu fahren, wie bei meinem Vater und seinen Kumpels, die aber schon einen der früheren Züge genommen hatten. „Bald ist der CSD in Hannover", Sola wählte Mario als neuen Charakter aus: „Wir könnten überlegen, da einfach heimlich hinzufahren. Unsere Eltern informieren sich nicht über sowas, und Luan hatte ja auch geschrieben, dass er da ist sein wird." Irgendwo freute ich mich darauf den 17jährigen aus Lehrte bei Hannover direkt zu treffen, aber ob meine Eltern uns wirklich alleine nach Hannover fahren ließen war etwas anderes. Doch, dass sich das als weniger schwierig herausstellen sollte, konnten wir noch nicht ahnen.

Abends kam meine Oma die Treppe hinaufgeschlurft, während wir beim Abendessen saßen und legte uns zwei Karten für den Zoo Hannover vor. „Die habe ich von einer Frau für zehn Euro geschenkt bekommen, ihr könnt doch mal nächstes Wochende dahin fahren, dann hockt ihr nicht so zu Hause." Meine Mutter seufzte wenig begeistert: „Hannover ist schon verdammt groß und zwei kleine Kinder in einer so großen Stadt alleine." „Sola ist 15", argumentierte meine Oma: „Sie kann doch auch auf Carlos aufpassen und mit zwölf ist er auch nicht so klein." „Da hast du auch recht", meine Mutter seufzte: „Aber nur in den Zoo nicht irgendwelche dummen Ausflüge irgendwohin." Sie sah meine Schwester streng an: „Ich will meine Kinder nicht verlieren."

Innerlich jubelten wir sicher beide, bei dem Gedanken, dass wir jetzt ein Alibi für unseren Ausflug zum CSD hatten. Jubeln konnten wir aber erst, als mein Vater um kurz nach acht ziemlich angetrunken wieder nach Hause kam. Sola verkroch sich mit mir in ihr Zimmer und machte erstmal einen Luftsprung, und nahm ihr Handy vom Schreibtisch. „Lass uns mal nachschauen, wann die Parade durch Hannover ist, bei dem Saufen danach müssen wir ja nicht mehr dabei sein. Trinken ist keine gute Idee bei Jugendlichen", sie tippte das ganze bei Google ein und las sie mir leise vor. „Wir brauchen eindeutig eine Art Tasche, dann können wir uns umziehen", sie scrollte weiter runter.

Ich machte währenddessen ein Foto von unseren Zoogutscheinen und schickte sie in die Transgruppe. „Wir haben unsere Tickets für den CSD Hannover", ich schickte ein paar Herzchenaugenemojis hinterher. „Gutscheine für den Zoo, als Tickets für den CSD?" Kam gleich die nächste skeptische Frage hinterher. „Jup", schrieb Sola zurück: „Wir haben damit ein Alibi, um uns auf den CSD befördern und können zumindest an der Parade teilnehmen können." „Das ist doch super", mischte sich jetzt wieder Luan der Admin ein: „Wir können uns dann ja dort treffen Sola wenn du magst und Luna logischerweise auch." „Klar", schrieb Sola zurück: „Wir bräuchten sowieso wen, mit dem wir uns zusammentun können." „Wir können euch mitnehmen", schrieb jetzt eine unbekannte Person die als Namen nur R stehen hatte: „Wir fahren mit dem Zug um 10:20 Uhr von Braunschweig ab, ihr könnt dann einfach zu uns zusteigen."

Während Sola mit ihm schrieb, wo sie sich hinsetzen wollten, nahm ich mir ihren Block und ihren Füller vom Schreibtisch. Es war dezent ungewohnt, weil Sola Linkshänderin war und der Block auch entsprechend darauf ausgelegt war. Ich zerkratzte mir am Ringhalter die Hand und riss genervt ein Blatt aus dem Block. Dann fing ich an aufzuschreiben was wir brauchten und was Sola diktierte, den großen Wanderrucksack von meiner Mutter, Kleidung für den CSD, Getränke und Essen, das wir mitnehmen wollten und ausreichend Geld, damit wir uns auch etwas kaufen konnten, auf dem CSD oder im Zoo. Dazu mussten wir auch gleich die Zoogutscheine mitnehmen, damit wir hinterher in den Zoo konnten.


Schatten der VergangenheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt