Kapitel 59 Schatten

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Am nächsten Morgen war der Jetlag nicht wirklich besser geworden. Das dauerte auch noch geschlagene drei Tage, bis ich mich davon erholt hatte. An Tag vier wurde ich allerdings von meinem klingelnden Handy aus dem Schlaf gerissen wurde. Mia schlief seelenruhig weiter, weswegen ich mich auf die Toilette verzog und den Anruf annahm. Es war die Festnetznummer der Wohngruppe, die mich da anrief. „Ja", ich gähnte und wartete auf die Antwort. „Hallo Luna", das war Frau Bach: „Ich habe gute Nachrichten für dich. Der Endokrinologe hat vorhin hier angerufen, da hast du allerdings geschlafen, ich wollte dich nicht wecken. Er meinte, dass er spontan einen Termin zwei Tage nach deiner Rückkehr hätte. Ich wollte dich aber fragen, bevor ich dir das endgültig zusage.

Ich stieß einen Jubelschrei aus: „Ja, bitte sagen sie zu!" Ich hörte Frau Bach am anderen Ende lachen: „Mache ich natürlich. Ich melde mich bei dir, wenn ich fest den Termin habe. Jetzt lasse ich dich mal deinen Urlaub genießen." „Danke", ich schluckte: „Ihnen noch einen schönen Abend schätze ich." „Danke", erwiderte Frau Bach und legte dann auf. Ich starrte einige Sekunden mein dunkles Handy an. Dann spähte Mia verschlafen in das Bad: „Wasn passiert?" Ich erklärte ihr rasch die Situation und sie brach auch in Jubel aus. „Das heißt, du kommst aus dem Urlaub zurück und hast direkt den Termin beim richtigen Arzt." Sie tanzte ein wenig herum mit leuchtenden Augen: „Das müssen wir feiern!" Ich grinste und fing sie dann ein statt mitzutanzen.

Das mit dem Feiern taten wir dann auch beim Frühstück mit einer Menge Rührei und Bacon. Mia verschlang sogar mehr Bacon als ihr Vater. Ihre Eltern wussten logischerweise auch schon Bescheid über die Neuigkeiten. Aber sie waren nicht so aufgeregt darüber wie Mia, was ich ihnen auch nicht wirklich übel nahm. Sie mochten mich zwar, aber ich war für sie nicht mehr und nicht weniger als eine Freundin von ihr. Das war einfach ein Fakt, nicht jeder hatte ein Glück wie Elian. Der hatte einfach zu seinem Freund ziehen könne. Seine Eltern würden ihn allerdings auch nicht zurückbekommen. Das Jugendamt hatte das Sorgerecht an sich genommen und würde das auch mit Sicherheit nicht zurückgeben. Elian würde das mit Sicherheit auch niemals wieder zulassen, dass er wieder zu seinen Eltern kam.

Wir fuhren nach dem Frühstück machten wir uns auf den Weg zu unserem Mietwagen. Heute war eine Inselerkundung und eine Wanderung auf Hawaii geplant. Das hörte sich nicht so spektakulär an, aber Hawaii hatte auch gewaltige Höhenunterschiede. Das würde nicht nur ein kleiner Spaziergang werden. Ich war froh, dass ich meine Wanderstiefel eingepackt hatte und sie auch schon im Auto an den Füßen hatte. Auch wenn wir jetzt erst einmal per Roadtrip durch die Hawaiianische Landschaft fuhren. Erst gegen Mittag hielten wir an einem Parkplatz das Mietauto an und machten uns zu Fuß weiter auf den Weg. Es war glühend heiß außerhalb des klimatisierten Autos, wir tranken fast zwei Flaschen weg, bevor wir überhaupt loskamen. Ich war froh, dass ich mir einfach so mein T-Shirt ausziehen konnte.

Mein T-Shirt stopfte ich in meinen Rucksack und ließ mir dann von Mia den Rücken eincremen. Nur sehr widerwillig cremte ich mir dann den Bauch ein. Wir wanderten mitten über die vulkanische Insel auf einer Art Pfad. Es war wirklich glühend heiß draußen, die Wanderung sollte immerhin nicht wirklich weit sein. Nur gut zwei Kilometer bis zu einem kleinen vulkanischen See, der aber zu heiß war um zu schwimmen. Aber wir konnten uns an das grasige Ufer setzen und auf den See hinausblicken. Ich schluckte den Kloß in meinem Hals hinunter und legte mich dann auf mein T-Shirt ins Gras. Mia legte sich neben mich und schien die Wolken über uns zu beobachten. Wir schwiegen eine Weile einfach nur und bewegten uns nicht.

Erst nach über einer halben Stunde machten wir uns auf den anstrengenden und vorallem heißen Rückweg zum Auto. Das war zwar nur gemietet, aber es hatte schon was, die Freiheit auf einer fremden Insel war schon großartig. Im klimatisierten Auto war es wesentlich besser von den Temperaturen her. Aber wir tranken dennoch auf der Rückfahrt jegliches Wasser endgültig leer. „Das war eine Menge Wasser, das ihr da weggetrunken habt." Mias Mutter bremste vor dem Hotel: „Aber ihr habt mich dabei eigentlich fast vollkommen vergessen." Wir lachten glatt allesamt, während Mias Mutter dann sich etwas zu trinken im Hotel holen ging. Ich grinste zufrieden als wir uns auf den Weg in Zimmer waren. Es würde noch ein langer Tag werden heute.

Der Tag wurde nach dem Abendessen noch wirklich lang. Wir machten einen Ausflug zum Strand um den Sonnenuntergang zu sehen. Eine leichte Brise war aufgekommen und fuhr mir durch die inzwischen recht lang gewordenen dunkelblonden Haare. Ich hatte sie in einem kleinen Pferdeschwanz zusammengebunden. Die meisten Hotelgäste waren nicht mehr am Strand, sie waren schon auf ihren Zimmern oder noch im Speisesaal. Es war schließlich erst Viertel nach sieben Ortszeit hier. Zuhause war es schon 12 Stunden später, sprich Viertel nach Sieben morgens. In der Wohngruppe waren sie sicher schon die Betreuer wach. Der Endokrinologe würde aber auch erst um acht aufmachen. Solange musste ich mich wohl gedulden mit Neuigkeiten aus Deutschland. Trotzdem saß ich nach den Fotos ungeduldig über mein Handy gebeugt in meinem und Mias Zimmer.

Dann endlich um halb neun abends wurde ich angerufen. Diesmal war aber Frau Timmerlahn dran, die Wohngruppenleiterin höchstselbst. „Luna?" „Ja", murmelte ich abgelenkt in mein Mikrofon: „Gibt es etwas Neues?" „Ja, stell mal auf laut bitte", Frau Timmerlahn knackte ungeduldig mit den Fingern. Ich gehorchte und Mia kam fast augenblicklich näher: „Sie sind auf laut." „Du hast deinen Termin beim Endokrinologen bekommen. In 13 Tagen hast du deinen Termin hier in Deutschland, na hoffentlich bist du pünktlich wieder da." „Ich gebe mein Bestes", murmelte ich: „Eigentlich sollte ich ja in elf Tagen abends schon wieder in Deutschland sein." „Das ist auch richtig", die Leiterin der Wohngruppe raschelte mit etwas: „Julius nicht jetzt, ich telefoniere gerade siehst du doch. Entschuldige bitte Luna hier ist Chaos."

„Kein Ding", ich schluckte: „Dann kümmern Sie sich besser um das Chaos. Wir sollten eh bald schlafen, es ist schon gleich Viertel vor neun." „Dann machen wir das so", Frau Timmerlahn redete wieder mit Julius im Hintergrund: „Ich halte dich auf dem Laufenden, falls es was neues gibt." „Danke", ich verabschiedete mich kurz und legte dann auf. Ich ließ mich mit ausgebreiteten aufs Bett fallen und stieß einen Jubelschrei aus: „Ich hab den Termin!" Mia ließ sich mit Schwung auf meinen Oberkörper fallen, dass mir die Luft wegblieb: „Du hast den Termin!" „Aua", ich schob sie von mir herunter: „Ich bekomme bald Hormonblocker. Nur noch 13 Tage dann hab ich meinen ersten Termin da, dann geht es los!" Ich sprang wieder auf und jubelte.

Die nächsten Tage kamen mir wie ein Traum vor. Die Zeit verging wie im Flug. Wir gingen im Meer schwimmen, machten Ausflüge im Inland. Es war einfach wirklich nur ein wunderbarer Traum, der 13 Tage anhielt, bis der Tag des Rückflugs kam. Wir brachen früh am Morgen auf zum Flughafen. Unser Flug ging schon um halb sieben am Morgen, damit wir zu menschlichen Uhrzeit in Deutschland landeten. Der Flug würde schon lange genug dauern.


Schatten der VergangenheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt