Kapitel 31 Zukunft

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Mein Opa zog letztlich an einem Freitag im September in ein Heim, meine Eltern brachten ihn hin, während Sola und ich hatten den Tag für uns. Meine Eltern würden erst sicher am Abend wiederkommen, wenn es schon dunkel war, die Tage wurden rasch kürzer. „Probier das mal an", Sola reichte mir ein knielanges, kurzärmliges Kleid aus ihrem Sortiment, es hatte fast dieselbe Farbe wie ihre Augen und war wirklich schön verziert. Ein ganz leichter Glitzer durchzog den dünnen, schimmernden blauen Stoff, durch den ich ein wenig meine Hände sehen konnte. Ganz behutsam zog ich es mir über meinen Bustier, der wie immer noch mit Socken gestopft war und der Rock fiel mir auf die Knie. Darunter trug ich im Moment nur eine eng anliegende dunkelblaue Jogginghose, die allerdings an den Knien schon Löcher aufwies.

Wir konnten wohl kaum über unsere echten Namen einen Instagram Account erstellen, stattdessen hatte Sola uns einen Account angelegt der einfach nur „Proud Silblings" getauft. Kontakte hatte sie schlauerweise abgeschaltet und meine Eltern konnten den Account wohl kaum finden, zumal sie kein Instagram hatten. Ich wusste nicht, wie sie es hätten herausfinden konnten, Sola machte mit meiner Zustimmung ein paar Fotos die wir mit einem Text über Erfahrung mit Ablehnung innerhalb der Familie versahen. Mit dem hochgeladenen Instagram Post machten wir uns dann daran noch die Nägel von Sola bunt zu lackieren und mit Glitzer zu verschönern. Meine Nägel ließen wir so wie sie waren und trugen auch keine weitere Schminke auf, dann machten wir uns auf einen weiteren Spaziergang.

„Irgendwann musst du es unseren Eltern erzählen", Sola und ich machten an einem Kiessee Rast und packten die Chips und die Sprite aus, die wir aus dem Keller meiner Eltern mitgenommen hatten. „Ich weiß", ich zog mir ein paar Chips aus der Packung: „Aber ich hoffe, dass ich das nicht zu bald tun muss. Unser Vater meckert doch schon, wenn auch nur etwas in der Zeitung steht und unsere Mutter gibt ihm auch noch recht." „Das stimmt", Sola griff in die Chipstüte und warf einen Kiesel über das Wasser, er titschte dreimal auf, bevor er in den tiefen verschwand. „Wir hätten uns Badesachen mitnehmen sollen", sie lief über das Ufer zum Wasser und fasste ins Wasser: „Es ist noch nicht wirklich kalt."

Letztlich zogen wir einfach unsere Sachen bis auf die Unterwäsche aus und gingen in Unterhose und Unterhemd schwimmen. Davon bekamen unsere Eltern auch zur Abwechslung mal Bilder, die uns auch schon Bilder vom Zimmer unseres Opas geschickt hatten. Nach einer Wasserschlacht zog ich meine Unterwäsche aus und schlüpfte ohne in Unterwäsche, Kleid und Schuhe zurück. Sola trug eine weite Jogginghose und einen Hoodie, was auch ohne Unterwäsche nur im BH passte ohne groß darüber nachzudenken. Wir liefen schweigend nach Hause, wo wir uns dann doch wieder Unterwäsche anzogen und uns dann mit Mario Kart beschäftigten, bis es fast sechs Uhr abends war. Dann musste ich mich wieder umziehen, in ein gestreiftes T-Shirt und Jeans, dann spielten wir weiter und planten für die nächste Woche einen Frisörbesuch um mir wieder einen Kurzhaarschnitt machen zu lassen.

Meine Eltern waren überraschend wenig erschöpft, als sie um kurz vor sieben nach Hause kamen und uns mit asiatischem Essen überraschten. Es gab Sushi und asiatische Nudeln mit Hühnchen, da keiner in der Familie besonders gerne Ente mochte und diese nur am dritten Advent aufgetischt wurde, der noch lange nicht war. Meine Eltern erzählten von dem Heim in dem mein Opa jetzt lebte und den vielen Pflegern denen sie schon begegnet waren. Bei ihren Erzählungen konnte man kaum glauben, dass es einen Pflegenotstand gab, aber er war überall vertreten, die Gelder waren nicht ausreichend für die Pflegekräfte. Mein Vater bekam das auch jeden Monat aufs Neue zu spüren, auch wenn meine Mutter mehr als genug für uns mit nach Hause brachte als Psychologin.

Am Samstagmorgen wurden wir dann auf neue gezwungen mit meiner Mutter wandern zu gehen, die sich in den Kopf gesetzt hatte, mit uns Wanderstempel im Harz zu sammeln. 222 Stempel gab es im gesamten Harz verteilt, die meine Mutter mit uns sammeln wollte in den nächsten Jahren, den Stempel an der Eckertalsperre und auf dem Brocken hatten wir schon gesammelt. Heute sollten sich einige dazugesellen, die meine Mutter geplant hatte und mussten dafür um kurz vor neun mit dem Auto los. Mein Vater war nicht mit dabei, er wollte sich lieber mit seinen Freunden treffen und mit ihnen eine Runde in eine Bar zu gehen und anschließend wollten sie in ein Schwimmbad. Na wenn das mal gut ging, es war einer der letzten Tage an dem das Freibad offen hatte, in das sie wollten.

Meine Mutter war die so richtig zu wissen schien, wo wir eigentlich hinwollten, nach gut drei Stunden liefen Sola und ich nur noch gemütlich hinter ihr her. Zumindest solange bis ein alter Mercedes plötzlich den Forstweg hochknatterte und wir in den Graben hechten mussten. Der Graben war voll mit Blättern bis zum Rand und ich verdrehte mir fast das linke Knie, als ich auf einen schrägen Stein stieß. Meine Mutter hatte weniger Glück sie hielt sich stöhnend den rechten Knöchel und Sola musste ihr aus dem Graben helfen und wir setzten sie erstmal auf ihren Rucksack, bevor wir den Wanderstiefel auszogen und uns den Knöchel ansahen. „Da ist mindestens ein Band durch", die Stimme meiner Mutter war heiser vor Schmerz: „Wir müssen einen Krankenwagen holen."

Hier war natürlich kein Netz und ich musste einen halben Kilometer den Berg hinunterlaufen, um die Notrufnummer wählen zu können. Die Frau am anderen Ende der Leitung, ließ sich in Ruhe von mir die Situation erklären und ortete sicherheitshalber meinen Standort, um sich auch nicht zu verfahren. Als ich zu meiner Mutter und Sola zurückkehrte, hatten sie mit Mullbinden und Ästen eine Schiene gebastelt. Laufen ging kaum und der Rettungswagen würde noch einige Zeit brauchen, bis er hier angekommen war. Wir blieben einfach an der Stelle sitzen bis wir durch die Bäume einen orange-weißen Wagen sahen. Sola lief ihnen winkend entgegen und brachte den Wagen die letzten Meter nach oben.

Die Sanitäter schienten das Bein meiner Mutter und erklärten uns den Weg die Straße runter, wir sollten den nächsten Zug nach Hause nehmen, meine Mutter gab uns Geld und traute uns das Ganze zu. Wir machten wie sie es gesagt hatte und waren gegen 17 Uhr wieder zu Hause, meinen Vater hatte meine Mutter schon wieder angerufen und er war schon auf dem Weg mit dem Zug und Taxi zum unserem Auto und anschließend zu ihr mit ihrem Auto. Er war noch fahrtauglich und hatte nur wenig Alkohol intus, es würde allerdings noch eine Weile dauern. Meine Mutter war immer noch in der Behandlung war der letzte Stand, Sola sollte schonmal kochen, wobei ich ihr hinter dem Rücken meiner Eltern half. Es gab eine Art Kartoffelauflauf mit Blumenkohl, den wir noch nicht in den Ofen schoben, das wollten wir erst, wenn unsere Eltern auch wirklich unterwegs waren. Meine Mutter hatte einen doppelten Bänderriss im Knöchel, wie es sich gezeigt hatte und würde acht Wochen mindestens ausfallen.


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