Kapitel 5

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Mama hätte sich ihre Bemühungen sparen können, mich zu mehr Arbeitseifer in Bezug aufs Englischlernen anzuhalten. Die gesamte Klassenarbeit hatte sich nur darum gedreht, einen beigefügten Text zu analysieren. Wenn ich unsere momentane Unterrichtslektüre nicht wortgetreu hätte widergeben können, wäre das auch kein Untergang gewesen.

Egal. Jetzt hatte ich diese lästige Klassenarbeit wenigstens hinter mir. Zufrieden ließ ich mich auf mein Bett fallen. Heute Nachmittag noch Selbstverteidigungsunterricht, gefolgt von einer Geistertherapiestunde und dann konnte endlich das Wochenende beginnen!

Thomas saß unbewegt in meinem Fernsehsessel und schaute fern. Ich stützte mein Kinn auf eine Hand, um ihn besser beobachten zu können. Unser Verhältnis hatte sich bislang nicht wieder gebessert. Die meiste Zeit verbrachte er bei meiner Mutter in der Küche oder vor dem Fernseher, wo er vorgab, mich nicht zu hören. Außerdem schwebte er öfter aus dem Haus als früher.

Wahrscheinlich wäre jetzt eine gute Gelegenheit, erneut mit ihm über seine Vergangenheit zu sprechen, aber ehrlich gesagt hatte ich unseren letzten Streit noch nicht verwunden. Ich wollte die alte Vertrautheit zwischen uns zurückhaben. Seufzend rollte ich mich auf meinen Rücken. Ich würde so oder so nicht mehr viel von unserer alten Vertrautheit haben. Bald würde Thomas unsere Welt vollständig verlassen haben.

„April?", rief meine Mutter von unten herauf. „Kommst du essen?"

„Ja, schon unterwegs!" Ich sprang auf und stürmte die Treppe herunter. Klassenarbeiten machten mich immer furchtbar hungrig. Na gut, normaler Schulunterricht machte mich auch furchtbar hungrig.

Ich war eben ein Mensch, der oft hungrig war.

„Und?", erkundigte sich Mama neugierig, sobald ich den Rahmen der Küchentür durchschritt. „Wie war die Klassenarbeit?"

Ich zuckte meine Schultern. „Werden wir sehen, wenn die Noten da sind." Ich schaute zwischen meinen am Tisch sitzenden Geschwistern hin und her. „Was macht ihr da?"

Bianca und Nick zogen je am Ende eines Kochlöffels, vermutlich weil sich beide die erste Portion Spaghetti auftun wollten. Kurzerhand zog ich ihnen den Löffel mit der Kraft der Ältesten aus der Hand und tat mir als Erste auf. Böse schauten sie mich an.

„Hey, ich habe gerade eine anstrengende Englischarbeit hinter mich gebracht", verteidigte ich mich selbstbewusst. „Ich habe die erste Portion redlich verdient." Ich hinterließ den Löffel im Nudeltopf, während ich mich hinsetzte.

Gleichzeitig griffen sie danach und zerrten wieder daran.

Ich bekomme die nächste Portion", schrie Nick.

„Nein, ich!" Bianca zog verbissen am Löffel. „Ich hatte heute sechs Stunden Schule, du nur vier. Gib mir den Löffel."

„Nein. Die nächste Portion gehört mir!"

Mama knallte einen weiteren Kochlöffel auf den Tisch, wobei ihr brauner Longbob vor und zurückschwang „Hier. Nehmt euch einfach beide zusammen."

Bianca ließ den alten Kochlöffel los und ergriff den neuen. Kurz darauf fochten sie kichernd ein gegenseitiges Kochlöffelduell über ihren Teller aus. Die guten Spaghetti wurden kalt.

Ich deutete mit meiner Gabel auf sie. „Irgendetwas stimmt mit den beiden nicht."

„Ich weiß." Seufzend drehte Mama mir gegenüber einige Spaghetti auf. „Meinst du, ihre Stimmungsschwankungen sind Anzeichen einer ernsthaften Erkrankung?"

Ich musterte meine eifrig fechtenden Geschwister „Glaube ich nicht. Dann könnten sie sich bestimmt nicht mehr so lebhaft streiten. Oder duellieren", schob ich hinterher.

Spuk am BaumhausWo Geschichten leben. Entdecke jetzt