Ich näherte mich dem Schreibtisch in meinem Beschwörerzimmer schweigend. Um Jochen nicht bereits an dieser Stelle zu beunruhigen, würde ich kein einziges Wort über unsere geplante Reise fallen lassen. Ich überprüfte, ob der Stopfen auf seinem Erlenmeyerkolben fest saß, dann entnahm ich meiner Tasche einen schwarzen Stoffbeutel. In einer einzigen schnellen Bewegung stülpte ich ihn über das Gefäß.
Atemlos hielt ich inne.
Keine Beleidigungen erklangen. Kein Geschrei. Keine Flüche.
Was hatte ich allerdings erwartet? Es handelte sich hier um Jochen, den schweigsamsten Geist in der Geschichte der Menschheit. Er würde selbst dann keinen Piepston verlieren, wenn er merkte, dass er entführt würde. Mir blieb nur zu hoffen, dass er sich bis zu unserer Ankunft bei seinem Zuhause pfleglich verhielt.
Mit angespannten Schultern zupfte ich den Beutel über dem Erlenmeyerkolben zurecht und verstaute das Päckchen behutsam in meinem Rucksack. Seltsamerweise kam ich mir wie eine Verbrecherin vor, obwohl ich nichts Verbotenes tat.
Ich hängte mir den Rucksack verkehrt herum über eine Schulter, sodass er vor meiner Brust hing. „Hoffentlich geht das gut", teilte ich Thomas besorgt mit. „Nicht, dass mich jemand im Bus anrempelt und Glassscherben produziert."
„Wir können dieses Unterfangen immer noch abblasen." Er schwebte an meine Seite. Nebeltropfen sprühten unstet aus seinem silbernen Körper. „Ich habe kein gutes Gefühl bei dieser Sache."
Ich schaute auf die Beule in meinem Rucksack hinab. „Nein", entschied ich fest. „Wir ziehen das jetzt durch." Ich trat auf meine Tür zu, aber Thomas hielt mich am Arm zurück.
„Ich lasse dich nur aus dieser Tür treten, nachdem du Jonathan die Adresse geschrieben hast. Ich würde dir zutrauen, dass du es andernfalls vergisst." Er verengte seine Augen. „Aus Versehen oder mit voller Absicht."
„Na, herzlichen Dank für dein Vertrauen in mich." Angesäuert kramte ich mein Handy hervor und tippte die Adresse für Jonathan ein.
Er hatte meine vorherige Nachricht noch nicht gelesen, aber bis ich bei Jochens altem Wohnort angekommen war, würde er es bestimmt getan haben. Ich brauchte dorthin eine dreiviertel Stunde.
Mit einer Hand schützend auf meinem Rucksack verließ ich das Ligagebäude. Thomas folgte mir dicht auf den Fersen.
„Jochens Adresse liegt ziemlich weit außerhalb", teilte ich ihm mit. „Es ist es eine lange Strecke mit dem Bus. Fährst du mit mir oder gehst du vor?"
Unglücklich verzog er sein Gesicht. „Da ich nicht genau weiß, wo ich hinmuss, kann ich nicht vorgehen." Je weiter wir uns der Bushaltestelle und den davorstehenden Menschen näherten, desto panischer sah er aus. Menschenansammlungen waren nicht sein bevorzugtes Terrain. Es konnte zu leicht geschehen, dass ihm jemand mit einem Ellenbogen die Rippen auslöschte.
„Du könntest erstmal nach Hause zurückkehren und warten, bis ich dich rufe", schlug ich vor. „Meiner Präsenz zu folgen, bereitet dir doch keine Probleme."
„Ja, das könnte ich tun." Thomas' grimmig zusammengezogene Augenbrauen lösten sich voneinander. „Wenn du mir versprichst, in der Zwischenzeit keine Dummheiten zu machen..."
„Busfahren bekomme ich gerade noch alleine hin." Ich blieb fünfzig Meter von meinen potentiellen Mitreisenden entfernt stehen, um unser Gespräch ungestört beenden zu können. Ungestört meinte in diesem Fall: ohne misstrauische Blicke, warum ich mit der Luft sprach. „Stell dich nicht darauf ein, dass ich vor einer halben Stunde dort bin. Von der Bushaltestelle muss ich noch ein Stück zu Fuß gehen. Ich rufe dich, sobald ich angekommen bin." Ich wedelte mit einer Hand. „Geh. Wir sehen uns dort."

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Spuk am Baumhaus
Teen FictionFortsetzung von Spuk im Keller. Über den Umgang mit Geistern: 1.: (Sei auf der Hut.) Das hilft gar nichts. 2.: (Lege, wenn möglich, Schutzweste und Helm an.) Sich an einem sicheren Ort anzuketten, ist noch besser. 3.: (Sei auf der Hut.) Siehe oben. ...