Als ich später aus dem Übungsraum taumelte, wollte ich nur noch nach Hause. Duschen. In meinem Schlafanzug schlüpfen. Meinen schmerzenden Körper auf dem Sofa ausstrecken. Stattdessen wartete ein Geist auf mich.
Mein Leben war einfach beschissen.
Mit protestierenden Oberschenkelmuskeln quälte ich mich die Treppen ins Kellergeschoss hinab. Vielleicht sollte ich mich zukünftig vor dem Selbstverteidigungsunterricht mit meinen Geistern beschäftigen. Ich müsste einfach früher in die Liga kommen und während der Sitzung meine Uhr im Blick behalten. Es wäre deutlich angenehmer, wenn ich bei dieser Tätigkeit nicht in meinem eigenen Schweiß sitzen müsste. Leider lag es mir überhaupt nicht, Uhren im Blick zu behalten.
Ächzend bewältigte ich die letzte Treppenstufe. Auf dem Mahagonitresen im Empfangsbereich des Kellers saß ein beinebaumelnder Thomas.
Ich vergaß meine Schmerzen. „Hey, deine Beine sind wieder da!" Ich lief zu ihm hinüber. „Alles okay damit?" Behutsam berührte ich sein linkes Knie. Die Kälte ließ meine Hand taub werden.
„Ich denke schon. Sie sehen zumindest aus wie vorher. Oder? Was meinst?"
„Ganz genau wie vorher", versicherte ich ihm. „Es tut Mike übrigens wirklich leid, dass er dich getroffen hat. Das war nicht seine Absicht."
„Ich bin ungeschickt. Ständig stehe ich irgendwelchen Leuten im Weg. Dein Bruder ist auch schon in mich hineingelaufen."
„Du bist nicht ungeschickt. Du bist ein Geist. Menschen können dich nicht sehen." Ich deutete in Richtung meines Beschwörerzimmers. „Kommst du mit?"
„Oh nein." Vehement schüttelte er seinen Kopf. „Ich werde mich kein zweites Mal von dir therapieren lassen."
Es würde wirklich schwer werden, etwas über seine Vergangenheit aus ihm herauszubekommen. Er war extrem verschwiegen. „Für heute habe ich andere Pläne", meinte ich leichthin. „Ich werde Geist 3 beschwören." Ich hatte mich über zwei Wochen lang geweigert, einen neuen Geist zu beschwören. Langsam ließ es sich nicht länger hinauszögern.
Nach einem kurzen Zögern schwebte Thomas vom Tresen herab. „In dem Fall komme ich besser mit hinein. Wer weiß, um welche Art von Geist es sich handelt."
„Eine gute Frage." Ich schloss meine Zimmertür auf, erleichtert darüber, dass er mir Gesellschaft leisten würde. „Ich habe sie mir in den letzten Tagen ebenfalls regelmäßig gestellt. Noch hoffe ich, dass mein inbrünstiges Flehen der letzten Nächte mir einen angenehmen Geist bescheren wird."
„Du machst Fortschritte", sagte Thomas, während er mir ins Zimmer folgte.
„Wie meinst du das? Worin mache ich Fortschritte?" Ich schloss die Tür hinter uns und knipste die hübsche Lichterkette an, die ich vor das winzige Kellerfenster drapiert hatte.
„Erinnerst du dich noch daran, wie du dich bei Bernd geweigert hast, ihn ohne gute Vorbereitung zu beschwören?"
Stirnrunzelnd schaute ich dabei zu, wie er auf meinem pastellgrünen Sofa an der linken Wand Platz nahm. „Als Weigerung hätte ich das jetzt nicht bezeichnet. Ich habe mir einfach einige Gedanken darüber gemacht, wie ich am Besten vorgehen sollte. Daran ist nichts verkehrt. Mein Vater sagt immer, eine gute Vorbereitung sei die halbe Miete und als brave Tochter halte ich mich natürlich an seine Ratschläge."
„Dir stand das pure Entsetzen ins Gesicht geschrieben, als ich meinte, dass du die Beschwörung ausprobieren müssen wirst."
Ich schnaubte. „Worauf willst du hinaus, Thomas?"
„Heute schaust du bei Weitem nicht mehr so entsetzt drein, obwohl du genauso ins kalte Wasser springst." Er wirkte sehr zufrieden mit dieser Feststellung. „Du wirst gelassener im Umgang mit deiner Magie. Du beginnst, auf deine Fähigkeiten zu vertrauen. Das ist ein wichtiger Bestandteil beim Eintritt ins Erwachsenenleben."
Langsam hängte ich meine Tasche über die Schreibtischstuhllehne. Der Verlust seiner Beine musste ihn sentimental gemacht haben, sonst hätte er sich niemals positiv über mich geäußert, wo er mich wegen meiner Einmischung eigentlich gerade nicht leiden konnte. „Schön zu hören, dass du mich bereits für recht erwachsen hältst. Über solche Aussagen freue ich mich natürlich immer." Ich entzündete die drei Teelichter, die um den fest verschlossenen Erlenmeyerkolben auf meinem Schreibtisch herum angeordnet waren. „Weißt du, warum mich die mangelnde Vorbereitung nicht so sehr stört wie bei Bernd?"
„Nein, aber du wirst es mir bestimmt gleich sagen." Skeptisch schwebte er vom Sofa hoch.
„Weil du hier bist. Ich weiß, dass ich mich auf dich verlassen kann. Ich brauche keine Angst zu haben, dass irgendetwas passiert, solange du bei mir bist."
Eine plötzliche Wolke silberner Nebeltröpfchen sprühte aus Thomas' Körper. Anstatt geschmeichelt zu sein, sah er aufgebracht aus „Schleimereien kannst du dir nach deinem letzten Auftritt mir gegenüber sparen!"
„Das waren keine Schleimereien", stellte ich sofort richtig. „Ich meinte das ernst. Ich lege Wert auf deine Gesellschaft, ob du mir nun glaubst oder nicht. Ich will dich nicht in die Nachwelt geleiten, um dich loszuwerden. Ich will dir damit helfen."
„Du willst dir selbst damit helfen." Ungehalten deutete er mit seinem schmalen Kinn auf den Erlenmeyerkolben. „Du wolltest den Geist dort therapieren, nicht mich."
Einen Augenblick starrten wir uns gegenseitig an. Ich versuchte ihn kraft meines eindringlichen Blickes davon zu überzeugen, dass ich ihm wirklich nur Gutes tun wollte. Leider schien dieser Ansatz nicht in seinem Dickschädel anzukommen. Thomas presste unnachgiebig seine Lippen zusammen.
Es gefiel mir besser, wenn er mir Komplimente machte.
„Schön", schnaufte ich aufgebracht. „Ich lasse dieses Thema fallen. Für heute! Glaube bloß nicht, dass du ewig aus dem Schneider bist. Wir werden erneut darüber sprechen, sobald sich die Wogen zwischen uns geglättet haben." Ich fuhr zu meinem Schreibtisch herum. Inmitten meines Kerzenbeschwörungsdreiecks harrte Geist 3 der Dinge. Noch war er unbeschworen. Seine Flüssigkeit in dem Erlenmeyerkolben war nahezu durchsichtig, nur hier und da blitzten irisierende Partikel auf. Als ich den Erlenmeyerkolben vorsichtig bewegte, rann ein silberner Blitz durch die Flüssigkeit.
In einer raschen Bewegung zog ich den Stopfen aus dem Hals. „Hallo da drin. Alles in Ordnung bei dir?"
Angestrengt horchte ich auf eine Antwort. Ich konnte Geister auch in unbeschworener Form hören, wenn sie denn etwas sagten.
Dieser Geist blieb still.
„Gut, wie auch immer. Ich werde dich jetzt beschwören." Ich atmete langsam aus, um meiner Wut über Thomas Herr zu werden, dann stellte ich mich neben ihn ans Sofa. „Bist du bereit?" Ich dehnte meine Finger, als wenn ich mich auf eine sportliche Höchstleistung vorbereiten würde.
„Bereit, wenn du es bist", erwiderte Thomas leise. „Wollen wir hoffen, dass er freundlicher ist als Bernd."
„Auf eine erneute Würgebegegnung kann ich gut verzichten", stimmte ich ihm zu. „Leider geben die Daten, die Mattheus mir zu diesem Geist übergeben hat, genauso wenig her wie damals bei Bernd. Die neuen Mieter eines Hauses haben sich bei der Polizei über ungewöhnliche Geräusche auf dem Grundstück beklagt, woraufhin die Liga informiert worden ist. Viktor stellte fest, dass es sich um einen spukenden Geist handelte, fing ihn ein und archivierte ihn." Ich beobachtete Thomas dabei, wie er nervös über das Haarbüschel strich, das ihm aufgrund eines Wirbels immer an der linken Schläfe abstand. „Das ist mittlerweile neun Jahre her. Unser Freund hat einen ganz schön langen Zeitraum in diesem Erlenmeyerkolben hinter sich. Bestimmt freut er sich, wenn wir ihm helfen, endlich in die Nachwelt überzutreten."
„Geister können sehr nachtragend sein. Ich würde nicht darauf wetten, dass er den Grund für sein Nachleben mittlerweile akzeptiert hat." In seiner Skepsis sprühte ein ganzer Schwarm silberner Nebeltropfen aus Thomas' Körper. Seine Jeans und sein schlichtes Hemd verloren an Kontur.
„Wir werden es herausfinden." Ich klatschte in meine Hände. Da ich wie stets mein Talismanarmband der Liga trug, zeigte sich dabei kein einziger Magiefunke, wie es sonst passierte, wenn ich in die Hände klatschte. Das schmale Röhrchen in der Reihe durchsichtiger Kristalle nahm jede überschussige Magie auf. „Los geht's."

DU LIEST GERADE
Spuk am Baumhaus
Teen FictionFortsetzung von Spuk im Keller. Über den Umgang mit Geistern: 1.: (Sei auf der Hut.) Das hilft gar nichts. 2.: (Lege, wenn möglich, Schutzweste und Helm an.) Sich an einem sicheren Ort anzuketten, ist noch besser. 3.: (Sei auf der Hut.) Siehe oben. ...