Nur so viel sei zum Rest der Übungsstunde gesagt: ich stellte mich nicht sonderlich geschickt an. Mein Telekinesegegenstand war ein Luftballon, aber ich schaffte es nicht, ihn zum Schweben zu bringen. Ein kleines Kippen zur Seite war alles, was ich erreichte.
Ich war ehrlich enttäuscht von mir selbst. Nina musste mich aufmuntern. Wobei sie nur sagte, was mir bereits bekannt war: Magier 3. Klasse hätten einfach kein besonderes Händchen für Telekinese, bla bla.
„Kopf hoch, Schätzchen", meinte sie, während wir den Übungsraum verließen. „Jeder Mensch hat seine eigenen Qualitäten. Wenn jeder könnte, was alle anderen auch können, wäre das Leben doch langweilig."
„Das wäre mir lieber, als sich immer unbegabter als die anderen fühlen zu müssen", murrte ich.
Nina blieb wie festgenagelt im Flur stehen. Ehrlich entsetzt sah sie mich an. „Du bist nicht unbegabter! Deine Beschwörungsgabe ist komplex und sehr selten, aber du setzt sie schon wie ein Profi ein. Du bist talentiert, nur auf deinem Gebiet eben!"
Widerwillig musste ich schmunzeln. „Kann es sein, dass du als meine Tante ein klein wenig voreingenommen bist?"
„Unsinn, das würde ein fremder Dritter sicherlich genauso sehen", antwortete sie prompt.
„Natürlich." Ich heuchelte ehrliche Überzeugung, während ich sie mit mir in die Eingangshalle zog. „Ich schaue noch mal kurz in meinem Beschwörerzimmer vorbei. Danke, dass du mit mir geübt hast."
„Aber sicher, Schätzchen. Dafür sind Tanten schließlich da." Lächelnd strich sie sich ihren Pferdeschwanz von der Schulter. „Wir sollten dein Telekinesetraining unbedingt zeitnah fortsetzen."
„Mein Terminkalender ist in den nächsten Wochen echt voll.", wiegelte ich rasch ab. „Es wird schwierig sein, dich unterzubringen."
„Das kann ich mir denken. Wir werden trotzdem bald einen neuen Termin ausmachen." Sie schloss den Reißverschluss ihrer pinkfarbenen Jacke. „Mach's gut. Komm später heil nach Hause."
„Ja", knurrte ich. „Bis bald."
Nina lachte. „Im Gegensatz zu dir freue ich mich bereits darauf. Bis dann." Mit einem Winken lief sie zur Eingangstür hinüber.
Leise seufzend schob ich die Tür des Treppenhauses neben mir auf und stieg in den Keller hinab. Ich hatte niemandem von dem Desaster am vergangenen Freitag erzählt, deswegen wusste Nina nicht, dass ich nur zum Aufräumen in mein Zimmer musste. Wer weiß, wo noch überall scharfe Glassplitterreste herumlagen...
Bei der Erinnerung an die Geschehnisse erhöhte sich mein Puls. Mit angespannten Schultern durchquerte ich den Empfangsraum des Kellers und schloss mein Zimmer auf. Meine Hände wurden feucht, als ich den ersten Schritt über die Schwelle setzte, dabei würde mir hier drin heute niemand etwas antun. Jochen würde fest verkorkt bleiben.
Wütend über die Angst, die er in mir auslöste, pfefferte ich meine Jacke auf meinen Schreibtischstuhl. Trotz guten Zuredens durch mich selbst, konnte ich mich nicht dazu überwinden, die Zimmertür hinter mir zu schließen. Mein Instinkt sagte mir deutlich, dass es hinderlich wäre, erst die Türklinke zu bedienen, falls ich erneut vor einem Geist fliehen müsste. Fluchend fuhr ich mir durch die Haare.
Erst dabei fiel mir auf, dass nichts mehr auf den Wirbelsturm hinwies, der in meinem Zimmer getobt hatte. Die terrakottafarbenen Fliesen waren sauber. Die leeren Teelichter standen akkurat auf meinem Schreibtisch. Die Schublade war sorgsam in den Korpus eingesetzt. Jonathan musste besser aufgeräumt haben, als mir in Erinnerung geblieben war.
Positiv überrascht untersuchte ich den Boden auf Glasrückstände. Ich konnte keine finden. Auf dem Sofa ebenso wenig. Verdutzt stemmte ich meine Hände in die Hüften. Mein Blick streifte einen grauen Fleck auf der ansonsten weißen Wand über meinem Sofa.
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Spuk am Baumhaus
Fiksi RemajaFortsetzung von Spuk im Keller. Über den Umgang mit Geistern: 1.: (Sei auf der Hut.) Das hilft gar nichts. 2.: (Lege, wenn möglich, Schutzweste und Helm an.) Sich an einem sicheren Ort anzuketten, ist noch besser. 3.: (Sei auf der Hut.) Siehe oben. ...