Am nächsten Freitag tigerte ich in der zweiten großen Pause nervös über den Schulflur. Tabitha saß gelassen auf der Fensterbank in der Nische gegenüber unserem Klassenraum und baumelte mit ihren Beinen. Die Glückliche. Sie hatte ihr Date längst hinter sich gebracht.
„Mein Gott." Ich knabberte an meinen Fingernägeln. „Was, wenn es schrecklich wird? Wenn wir uns nur anschweigen?"
„Das werdet ihr nicht", beruhigte Tabitha mich. „Nach meinem bisherigen Eindruck hattet ihr immer irgendetwas zu besprechen. Meistens waren es Meinungsverschiedenheiten, aber immerhin das."
„Du hast gut reden", jammerte ich. „Dein Date war ein voller Erfolg. Ihr habt euch bis spät nachts unterhalten."
Lächelnd verschränkte Tabitha ihre Arme vor der Brust. Beinahe meinte ich die Glückseligkeit sehen zu können, die von ihr ausstrahlte.
Hatte ich den Kuss schon erwähnt? Den überwältigenden, unvergleichlichen, herzzerreißend-ungeschickten Kuss am Ende des Dates, von dem Tabitha mir seither ungefähr vier Mal täglich erzählte?
„Mach dir keine Sorgen." Sie beobachtete, wie ich weiter vor ihr hin- und herlief. „Du findest doch sonst auch immer etwas zu sagen."
„Du sagst es: sonst." Ich stach meinen Finger in ihre Richtung. „Wenn ich nun aber vor Anspannung wie gelähmt bin? Wenn mein Gehirn aussetzt? Das wäre sterbenspeinlich." Ich beschleunigte meine hektischen Kreise.
Tabitha lachte. „Warum genau bist du plötzlich so aufgeregt, April? Du hast schon viel öfter mit Jonathan gesprochen als ich vor meinem Date mit Phillip. Ihr habt in einem Haus übernachtet und euch geküsst. Was sollte heute Abend auf dich zukommen, das du nicht bereits mit ihm erlebt hast?"
„Ich weiß nicht", murmelte ich an meinen Fingernägeln vorbei. Wann, war ich eigentlich wieder zu dieser unschönen Gewohnheit übergegangen? Ich hatte gedacht, das Nägelknabbern mit vierzehn abgelegt zu haben. „Er könnte richtig, richtig nett zu mir sein."
Tabitha runzelte ihre Stirn. „Das klingt, als wenn du dich davor fürchten würdest."
„Gar nicht wahr." Ich zögerte. „Ich weiß bloß nicht, ob ich damit umgehen könnte."
„Okay, das war's. Tut mir leid, ich muss jetzt einige Dinge klarstellen." Sie glitt von der Fensterbank herunter. „Ich will dir nicht zu nahe treten, aber ich frage mich ernsthaft, ob du den richtigen Datepartner ausgewählt hast. Immer, wenn du bislang von Jonathan sprachst, hast du dich entweder über ihn aufgeregt oder dich beschwert. Gut, da war der Moment, wo er dich bei sich zuhause gepflegt hat, was sehr aufmerksam von ihm gewesen ist, aber ansonsten erzählst du nie Positives über ihn." Sie packte mich an den Schultern, womit sie mich wirkungsvoll daran hinderte, weitere Spuren in das Schullinoleum zu ziehen. „Normalerweise verabredet man sich mit Menschen, die man gut leiden kann, April. Menschen, die freundlich zu einem sind. Man trifft sich nicht mit Menschen, die einen als Irre bezeichnen."
„Das... Er hat sich eben Sorgen um mich gemacht."
„Ja, allerdings auf äußerst unangebrachte Weise." Nachsichtig schüttelte sie ihren Kopf. „Erklär's mir. Warum willst du freiwillig Zeit mit ihm verbringen? Warum freust du dich auf diesen Abend, wenn du doch gleichzeitig davon ausgehst, dass er sich daneben benehmen wird?"
Tja.
Da hatte Tabitha wohl den Nagel auf den Kopf getroffen.
„Ist das dumm von mir?", flüsterte ich verunsichert. „Hätte ich dem Date nicht zustimmen sollen?"
Tabitha zuckte ihre Schultern. Sie trug heute einen dunkelblauen Poncho, der an allen anderen altmodisch ausgesehen hätte, sie aber irgendwie erwachsener wirken ließ. „Ich an deiner Stelle hätte ihn dorthin geschickt, wo der Pfeffer wächst, aber du hast eindeutig etwas für ihn übrig. Weshalb auch immer."
„Du kennst ihn nicht", erwiderte ich leise.
Ihre grünen Augen bohrten sich in meine. „Du aber auch nicht, sonst müssten wir nicht ständig über mögliche Beweggründe für sein widersprüchliches Verhalten spekulieren."
Ich schnaubte. „Niemand kennt Jonathan richtig. Er versteckt sich hinter dieser grimmigen Fassade, mit der er alle auf den Holzweg führt. Ich glaube einfach, das, was sich dahinter verbirgt, könnte mir sympathisch sein."
„Okay, pass auf", Tabitha wirkte beruhigter, als ob sie die Sachlage soeben durchschaut hätte, „wenn du ihn magst, dann verbringe Zeit mit ihm. Es ist dein Leben. Du darfst dich mit allen Menschen umgeben, die du gerne um dich hast. Das ist in Ordnung. Geschmäcker sind eben verschieden."
„Manchmal habe ich ihn gerne um mich", bestätigte ich. „Zum Beispiel, wenn sich im Lesezirkel wieder... ähm, Krisen ergeben. Ich weiß, dass ich mich in solchen Fällen auf ihn verlassen kann."
„Das klingt viel besser, als dass er dich die ganze Zeit nur beleidigt." Tabitha ließ mich los. „Nutze die Chance heute Abend und lerne ihn besser kennen. Danach wirst du wissen, ob es die richtige Entscheidung war, Zeit mit ihm zu verbringen oder nicht. Vielleicht überrascht er uns ja."
„Das würde mir gefallen." Ich fand mein Lächeln wieder. Es war albern, wie sehr mich die Aussicht auf den heutigen Abend beunruhigte. Es war ja nur Jonathan. Tabitha hatte recht. Ich kannte ihn bereits eine ganze Weile. Wir hatten sogar schon einmal gemeinsam gegessen.
„Gut." Energisch richtete ich meinen Pullover. „Jetzt werde ich mich wieder erwachsen benehmen. Es liegt an Jonathan, ob ich ihn nach diesem Abend wiedersehen will oder nicht."
„Genau", stimmte sie mir zu. „Lass eure Verabredung einfach auf dich zukommen."
„Dabei bin ich überhaupt nicht gut darin, etwas auf mich zukommen zu lassen." Ich verzog mein Gesicht. „Das weißt du doch, ich bin ein Mensch, der alles im Vorhinein kontrollieren will."
Tabitha kehrte grinsend auf die Fensterbank zurück. „Früher hätte ich dir dabei unumwunden zugestimmt, aber ich finde, in letzter Zeit ist es besser geworden. Du befindest dich in deiner Entwicklung definitiv auf der Zielgeraden der Jugendlichkeit."
Ich stieß ein Schnauben aus. „Auf der Zielgeraden der Jugendlichkeit?! Was ist los mit deiner Familie? Warum findet ihr immer so seltsame Metaphern über mich?"
„Weil wir uns die besten Einfälle für Menschen aufheben, die wir sehr lieb haben."
„Oh." Besänftigt zupfte ich am Armband meines Talismans. „Na gut. Das ist nett von euch. Skurril, aber nett." Ich schob mich neben Tabitha auf die Fensterbank. Einträchtig ignorierten wir das Klingeln der Pausenglocke und wie sich der Flur vor unserem Klassenzimmer mit schnatternden Mitschülern füllte.
„Erzählst du mir noch einmal, wie Jonathan dich nach dem Date gefragt hat?", bat Tabitha mit eindrucksvollem Augenaufschlag.
„Das habe ich dir doch schon zigmal erzählt."
„Aber es ist viel romantischer als bei mir. Schließlich musste ich den Jungen selbst fragen. Im Fahrradkeller", konkretisierte sie mit düsterer Stimme. „Nachdem ich mit ihm zusammengestoßen war."
„Das ist auf eine etwas ursprünglichere Weise auch sehr romantisch. Und mutig."
„Glücklicherweise hat es sich ausgezahlt." Sie seufzte besorgt. „Ich hoffe nur, Phillip fragt mich nach unserem nächsten Treffen. Ein zweites Mal werde ich das nicht über mich bringen können."
„Nein, jetzt ist er an der Reihe", munterte ich sie auf.
Tabitha ließ ihren Kopf auf meine Schulter fallen. „Ist dir aufgefallen, wie schwierig unsere Leben plötzlich geworden sind? Früher bestand unser komplexestes Problem in der Frage, ob unsere Mütter uns Käse- oder Wurstbrote in die Brotdose gelegt hatten."
Ich musste schallend lachen. „Wie alt waren wir damals? Sieben? Das liegt schon eine Weile hinter uns. Wer erwachsen sein will, muss sich auch mit erwachsenen Problemen herumschlagen."
„Ich hasse es, wenn du solche deprimierenden Dinge sagst."
„Nicht deprimierend", korrigierte ich sie. „Erwachsen."

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Spuk am Baumhaus
Teen FictionFortsetzung von Spuk im Keller. Über den Umgang mit Geistern: 1.: (Sei auf der Hut.) Das hilft gar nichts. 2.: (Lege, wenn möglich, Schutzweste und Helm an.) Sich an einem sicheren Ort anzuketten, ist noch besser. 3.: (Sei auf der Hut.) Siehe oben. ...