Kapitel 34

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Tabitha fiel meine Tackerbeule am Montagmorgen trotz all meiner Schminkkünste sofort auf. Zum Glück kam unser Mathelehrer überpünktlich, weswegen wir das Thema auf die nächste Pause verschieben mussten. Während meine Mitschüler sich also den Kopf über Stochastik zerbrachen, zerbrach ich mir den Kopf über eine plausible Erklärung, die weder fliegenden Tacker beinhaltete noch aus anderen Gründen eine Gefahr für den Geheimhaltungskodex darstellte.

In der Pause zog Tabitha mich sofort zu einer der Fensternischen auf dem Flur unseres Schulgebäudes hinüber. „Jetzt aber." Sie deutete neugierig auf meine Schläfe. „Was hat es damit auf sich?"

„Am Freitag war ich wieder bei meinem Lesezirkel", begann ich.

„Das war anzunehmen." Tabitha schob sich auf die Fensterbank. „Komm, spann mich nicht länger auf die Folter."

„Ich habe dir doch erzählt, dass ein Mitglied den hirnverbrannten Vorschlag gemacht hat, wir müssten uns nach dem Lesen noch gemeinsam bewegen, nicht wahr?" Ich seufzte. „Zuerst waren wir joggen, mittlerweile walken wir, weil einigen das Joggen zu anstrengend wurde. Kannst du dir das bildhaft vorstellen? Ich inmitten dieser Gruppe walkender Menschen?"

Auf Tabithas Gesicht wuchs ein Lächeln heran, als wenn sie ahnte, dass meine Pointe gut werden würde. „Es fällt mir schwer, aber ich versuch's."

„Okay. Ich walke also hinter den anderen Ligamitg..., ich meine, Zirkelmitgliedern hinterher, diese zwei Stöcke vorschriftsmäßig in der Hand. Wir landeten in einer Straße, die ich von jetzt an nur noch die Straße der Tücken nennen werde. Alle anderen marschierten unbeeinträchtigt voran und waren ihres Lebens froh. Ich natürlich nicht. Mein Walkingstock verhakte sich in einem Gullideckel, ich fiel auf die Knie und knallte mit dem Kopf zielsicher auf den Griff des Stocks." Unglücklich hob ich eine Hand an meine Schläfe, ließ sie aber rasch wieder fallen, als mir der Puder einfiel, den ich zum Übertünchen genutzt hatte.

Tabitha brach in Lachen aus. „Du wirst wirklich vom Pech verfolgt! Alle anderen überstanden den Gullideckel unbeschadet, nur du nicht?"

„Nur ich nicht", murmelte ich düster.

Sie bemerkte mein fehlendes Amüsement und zwang sich zur Ernsthaftigkeit. „Tut mir leid. Das war bestimmt schmerzhaft, hm? Hast du doppelt gesehen oder warst sogar ohnmächtig? Mit Kopfverletzungen ist nicht zu spaßen."

„Du wirst mir nicht glauben, was passiert ist." Ich beugte mich verschwörerisch vor. „Ich wollte es dir schon das ganze Wochenende über erzählen, aber da es ein solcher Hammer ist, kam nur ein persönlicher Bericht infrage. Ich lag also in der Straße der Tücken auf dem Boden, aufgespießt von meinem Walkingstock. Die meisten Zirkelmitglieder hatten zum Glück nichts von meinem Dilemma mitbekommen, aber Jonathan sah sich nach mir um."

„Jonathan, der ungenießbare Stinkstiefel, für den du trotzdem etwas übrig hast", ergänzte Tabitha. „Er walkt auch?"

Meine Ohren wurden warm. „Ja. Genau der. Er..."

„Hey, Tabitha."

Ich schrak zusammen, als Phillip plötzlich neben uns auftauchte.

Mein Gehirn brauchte einen Moment, um diesen Anblick zu verarbeiten. Phillip. Aus unserer Parallelklasse. Stand hier bei mir und Tabitha. Ich riss meine Augen so weit auf, dass ich befürchtete, sie könnten gleich herausfallen. Da gab es wohl auch eine Sache, die Tabitha mir bislang verschwiegen hatte.

„Hey, Phillip!" Tabitha tastete nach den Spitzen ihrer Haare, wie immer, wenn sie nervös war. „Wie war dein Wochenende?"

„Top. Ich war mit Hannes klettern. Leider gab es gleich heute Morgen unsere Englischarbeit zurück. Ist eure auch so schlecht ausgefallen?" Er schaute mit geröteten Wangen zwischen uns hin und her, was ich echt nett von ihm fand. Er hätte mich auch aus dem Gespräch ausschließen können, schließlich wollte er nur etwas von Tabitha. Nicht von mir.

Spuk am BaumhausWo Geschichten leben. Entdecke jetzt