Kapitel 33

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Irgendwann raffte ich mich auf und verließ das Schlafzimmer von Jonathans Eltern. Zuerst steuerte ich die Treppe an, entschied mich dann aber spontan um. Wenn Jonathan mich hier schon alleine zurückließ, konnte ich mich genauso gut umsehen. Ich trat an die Tür links neben dem Schlafzimmer und drückte trotzig die Klinke hinunter.

Ich landete in einem Büro voller Erlenmeyerkolben.

Unwillkürlich verkrampfte ich mich. Mein Blick glitt über die deckenhohen Regale links und rechts, auf deren Bretter etliche Reihen leerer Erlenmeyerkolben glänzten.

Dies war Viktors Büro gewesen. Hundertprozentig. Hier hatte er seine Recherchen über Geister angestellt. Hier hatte er überlegt, wo er Sylvias Geist finden könnte. Hier hatte er vielleicht das Ereignis geplant, das zum großen Brand in der Liga geführt hatte.

Unbehaglich musterte ich die Zettel und Notizbücher auf den obersten Regalbrettern, den abgenutzten Bürostuhl hinter dem großen Schreibtisch aus dunklem Holz, die Reihen von eingestaubten Erlenmeyerkolben. Zum Glück war kein einziger von ihnen in Benutzung. Es wäre inakzeptabel gewesen, einen verkorkten Geist hier jahrelang sein Dasein fristen zu lassen.

Ohne mich weiter umzusehen, verließ ich den Raum. Dieses Zimmer konnte Jonathan alleine ausmisten.

Ich beäugte die nächsten drei Türen, eine links vom Flur, zwei rechts davon, aber die Entdeckung von Viktors Büro hatte mir den Spaß an meiner kleinen Spionagerunde verdorben. Also trat ich nur an das große Flurfenster geradeaus und stemmte meine Hände auf das Fensterbrett. Seufzend beobachtete ich, wie sich die Tannen des Nachbarn im Wind wiegten.

Wie lange ich hier wohl nach ausharren musste, bis Jonathan mich nach Hause gehen ließ? Ich musste mich bestimmt nicht mehr plötzlich übergeben oder würde ohnmächtig werden. Abgesehen von meinen leichten Kopfschmerzen ging es mir gut.

Wenn Jonathan das nächste Mal auftauchte, sollte ich ihn am besten dazu auffordern, mich nach Hause zu bringen.

Ich schob mich auf die Fensterbank hinauf. Er müsste sich in einem der Zimmer neben mir befinden, also war dieser Ort ein guter Platz, um auf ihn zu warten. Mit einem Flunsch machte ich es mir an der Fensterlaibung gemütlich.

Kälte sickerte in meine Schulter. Unnatürliche Kälte.

Mit einem Satz war ich wieder von der Fensterbank herunter. Entsetzt starrte ich die Wand daneben an.

Das konnte nicht sein.

Bestimmt hatte ich mich geirrt.

Jonathan hatte gesagt, dass er keine Geister in seinem Zuhause duldete. Dann würde sich nicht ausgerechnet in seinem Haus einer befinden.

Langsam hob ich eine Hand und legte sie auf die Wand. Meine Haut kühlte spürbar ab. Ich fühlte mich an Schnee erinnert, den man auf der bloßen Haut transportierte. Eine solche Kälte verursachte nur ein Geist.

Ein Geist! In Jonathans Haus! Das war einfach nicht zu fassen! Bedächtig ließ ich meine Hand sinken. Vielleicht war dies die seltsame Schwingung, die Thomas in der Nacht erspürt zu haben meinte. Bis jetzt hatte ich gedacht, es wäre nur Gerede gewesen.

Kopfschüttelnd starrte ich die Wand an, wobei mir plötzlich ein erschreckender Einfall kam. Geister kehrten an ihre alten Wirkungsstätten zurück. Der zuletzt in diesem Haus wohnende Verstorbene war Viktor gewesen.

Ich wich hastig zurück.

War der Geisterbeschwörer etwa selbst zu einem Geist geworden?!

„Zeig dich, Geist", befahl ich selbstbewusster als ich mich fühlte. „Ich spüre deine Anwesenheit. Zeig dich."

Spuk am BaumhausWo Geschichten leben. Entdecke jetzt