Kapitel 11

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Die nächsten drei Tage verloren sich in einem Delirium aus Schmerzmitteln und Erschöpfung. Wie von Michael prophezeit, war mein ganzer Körper von blauen Flecken übersät. Am Schlimmsten sahen meine linke Hüfte und mein Oberschenkel aus. Dort breiteten sich handtellergroße Prellungen aus. Zu allem Überfluss gluckte meine Mutter die ganze Zeit um mich herum.

Ich war richtig froh, als ich am Freitagnachmittag zu Mikes Physiotherapieübungen aus dem Haus fliehen konnte. Kaum betrat ich allerdings das Gebäude der Liga, flaute dieses positive Gefühl schon wieder ab. Stattdessen überkam mich Unbehagen. Vorsichtshalber ballte ich meine freie Hand zur Faust. Auf dem Weg zum Übungsraum schaute ich alle zwei Meter über meine Schulter, auf der Suche nach irgendeinem Angreifer. Irgendeiner neuen Bosheit. Irgendeiner Person, die mich genug hasste, um mich einzuschließen und eine Treppe hinabzustoßen.

Als ich Mike im Übungsraum antraf, war ich richtig erleichtert, ein vertrauenswürdiges Gesicht zu sehen. „Hallo, Mike."

„Hallo, April. Du machst vielleicht Sachen, was?"

„Alles immer unfreiwillig. Wenn ich es verhindern könnte, würde ich es tun." Ich schüttelte meine Jacke ab.

„Unser Unterricht steht unter keinem guten Stern. Wie viele unserer Stunden haben wir bislang mit Selbstverteidigung zugebracht und wie viele sind ausgefallen oder mit anderen Dingen gefüllt worden?"

„Hälfte Hälfte?"

„Das ist nicht akzeptabel." Er bedeutete mir, auf einer bereit gelegten Iso-Matte Platz zu nehmen. „Aber jetzt zeige ich dir erstmal ein paar Übungen, die du täglich zuhause machen kannst. Mehr sollte nicht nötig sein. Michael meinte, dein Schultergelenk sei glimpflich davongekommen." Er half mir beim Lösen des Klettverschlusses meiner Armschlinge.

Eine halbe Stunde später war der Schmerz aus meinem Nacken verschwunden. Außerdem fühlte ich mich nicht mehr wie ein hilfloses Kind, das alleine nichts auf die Reihe bekam.

„Deine Schulter funktioniert wunderbar", meinte Mike. „Ich habe überhaupt keine Bedenken, dass Michael dir die Orthese nächste Woche wieder abnehmen wird."

„Das wäre toll. Man sollte ja nicht meinen, wie eingeschränkt man damit ist."

„Die meisten Leute wundern sich. Im ersten Moment klingt ‚Ruhigstellung' total angenehm im Vergleich zu anderen Heilungsprozessen. Nach dem ersten Tag beginnen alle zu klagen." Mike stand auf. „Ich werde mit Michael Rücksprache halten, ob wir unser Training nächste Woche fortführen können. Aus meiner Sicht steht dem nichts entgegen, aber Michael ist der Arzt."

„Dem ich langsam richtig zur Last falle. Wahrscheinlich verflucht er den Tag, an dem ich in der Liga aufgetaucht bin. Davor hatte er ein ruhigeres Leben."

„Ach, manchmal braucht man ein bisschen Abwechslung im Alltagstrott." Verschmitzt zwinkerte er mir zu, bevor er sich daran machte, die Iso-Matten zusammenzurollen. „Bis nächsten Freitag dann, ja?"

„Bis nächsten Freitag." Ich schnappte mir meine Habseligkeiten und stapfte den Flur entlang. Im Treppenhaus blieb ich unschlüssig vor der ersten Stufe stehen. Ich würde die Treppen der Liga nie mehr hinabsteigen, ohne mich mit aller Macht an den Handlauf zu krallen, was sich allerdings schwierig gestaltete, wenn die einzig nutzbare Hand bereits mit allem belegt war, was man eben so mit sich führte. Schließlich warf ich meine Jacke vorsichtig über die linke Schulter und schob meine Tasche auf die andere.

Mit der frei gewordenen Hand fest auf dem Handlauf stieg ich erst ins Erdgeschoss, dann ins Kellergeschoss hinab. Hatte ich schon erwähnt, dass ich mich mit meiner Orthese wie eine Invalidin fühlte? Es war wirklich erstaunlich, wofür man seinen linken Arm alles gebrauchte.

Spuk am BaumhausWo Geschichten leben. Entdecke jetzt