Kapitel 50

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Jonathan stand etwa vier Meter von mir entfernt. Mit einem verlegenen Lächeln hob er die Hand.

Angespannt stand ich auf. „Was machst du hier? Wie bist du hierhergekommen?"

„Deine Mutter hat mich reingelassen."

„Ich hoffe, sie hat sich dir gegenüber angemessen giftig verhalten." Ich verschränkte meine Arme. Wut stieg in mir auf. Wut, weil Jonathan es immer wieder aufs Neue schaffte, mich zu verletzen. Wut, weil er nicht der Mensch war, den ich in ihm zu sehen geglaubt hatte. Wut, weil mein Herz schneller schlug, nur weil er plötzlich hier bei mir im Garten stand.

Dummes Herz.

„Sie war tatsächlich... recht kühl."

Ich setzte ein falsches Lächeln auf, an dem man sich wahrscheinlich schneiden könnte. „Sehr gut. Du bist hier nämlich nicht willkommen."

„Ich verstehe." Jonathan fuhr durch seinen Haaransatz. „Das habe ich wohl verdient. Was ich dir am Mittwoch entgegengeschleudert habe, war..."

„Völlig übertrieben?", half ich ihm aus, als er nicht fortfuhr. „An den Haaren herbeigezogen? Nicht der Wahrheit entsprechend? Ungerecht?"

„Ich habe mir eben Sorgen um dich gemacht", platzte es aus ihm heraus. „Du hast dich nicht an diesem Baum liegen sehen, als wenn du eine zerbrochene Puppe wärst!"

Obwohl Wut und Kränkung in mir um Vorherrschaft rangen, blieb ich äußerlich ruhig. „Ich bin weder eine Puppe noch war ich zerbrochen."

Mit einer erregten Handbewegung wischte er meinen Einwand beiseite. „Du lagst da wie tot, okay? Das kann einen schon mal in Angst und Schrecken versetzen."

„Das tun Vierjährige eben ab und zu", antwortete ich bissig. „Sie versetzen andere Leute in Angst und Schrecken. Darüber hättest du dir keine Gedanken machen müssen."

„Habe ich aber!" Er schüttelte seinen Kopf. „Außerdem bist du keine Vierjährige, ganz egal, was ich in meinen übertriebenen Vorwürfen behauptet habe. Wenn du wie tot an einem Baum liegst, hätte es genauso gut bedeuten können, dass du tot bist."

„Ich lasse mich nicht so leicht totkriegen", verteidigte ich mich. „Erst recht nicht von einem Geist."

Jonathan verengte seine Augen zu Schlitzen. „Genau deswegen benehme ich mich in deiner Gegenwart manchmal wie rasend. Diese Selbstüberschätzung deinerseits ist unfassbar. Kannst du denn nicht realistisch sein?"

Schweigend starrte ich ihn an. Der Grand Canyon-Riss in meinem Herzen klaffte erneut auf. Warum war er hier, wenn er so wenig von mir hielt?! „Wenn du nur gekommen bist, um mir das zu sagen, kannst du gleich wieder gehen."

„Nein." Die Wut auf seinem Gesicht verschwand so schnell wie sie gekommen war. „Du bringst mich ganz durcheinander, April. Das wollte ich überhaupt nicht sagen."

„Du hast es aber gesagt", hielt ich erschöpft dagegen. „Im Übrigen war es nichts Neues. Ich wusste bereits, dass du mich für einen naives, zurückgebliebenes Kind hältst, das nicht alle Tassen im Schrank hat." Ich schnippte mit den Fingern, als mir etwas Weiteres einfiel. „Oh, ich vergaß: zudem bin ich noch eine Wahnsinnige, die in die Irrenanstalt gehört."

Jonathan fuhr sich unangenehm berührt über die Nase. „Das habe ich gesagt?"

Ich nickte. „Ich erinnere mich nicht an alles, was an diesem Tag geschah, aber daran erinnere ich mich."

„Es tut mir leid." Er kam zwei Schritte auf mich zu, aber als ich zurückwich, blieb er stehen, wo er war. „Ich... Mir tut alles leid, was ich dir an den Kopf geworfen habe. Das war nicht in Ordnung, zumal es weit von der Wahrheit entfernt ist. Du bist weder naiv noch verrückt oder zurückgeblieben. Tatsächlich halte ich dich für ein sehr starkes, mutiges Mädchen, das nur manchmal... ein bisschen über die Stränge schlägt."

Spuk am BaumhausWo Geschichten leben. Entdecke jetzt