Kapitel 31

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Jonathan trat zu mir an den Geschirrspüler. „Es ist Zeit für Emmas Morgenspaziergang", murrte er. „Willst du mitkommen?"

Erstaunt musterte ich ihn von der Seite. „Du schlägst eine körperliche Betätigung vor? Besteht dabei denn kein Risiko für eine Patientin mit Verdacht auf Schädelhirnverletzung?"

„Wir würden nicht weit gehen."

„In dem Fall sage ich nicht Nein", entschied ich sofort. „Was sollte ich auch sonst tun, bis du mich nach Hause zurückkehren lässt?"

„Gut." Er schloss den Geschirrspüler. „Du könntest schon einmal Emmas Leine von der Flurgarderobe nehmen. Ich komme sofort nach, räume nur noch schnell den Aufschnitt weg."

„Okay." Ich wandte mich zum Gehen. „Komm, Emma. Dein Spaziergang ruft." Erstaunlicherweise sprang sie tatsächlich auf und folgte mir in den Flur. „Wahnsinn, hast du mich etwa verstanden?"

„Es ist die übliche Zeit für ihren Morgenrundgang", rief Jonathan mir aus der Küche hinterher. „Sie würde mit jedem mitgehen, der zu diesem Zeitpunkt das Haus verlässt."

Ich sah auf die Hündin hinab. „Meiner Mutter würde es gar nicht gefallen, wenn ich einfach mit einem Fremden mitgehen würde, aber für Hunde gelten wohl andere Regeln." Ich suchte eine Leine aus dem Sammelsurium an der Flurgarderobe aus und hielt sie ihr vor die Nase. „Ist diese genehm?"

Emmas Schwanz schlug geräuschvoll gegen die Wand, so eilig hatte sie es, mir ihre Zustimmung auszudrücken. Grinsend streichelte ich ihr über den warmen Kopf.

Jonathan gesellte sich zu uns, als ich gerade den Reißverschluss meiner Jacke schloss. Er warf ebenfalls eine Jacke über, ergriff Emmas Leine und führte uns aus dem Haus. „Meistens gehen wir zu dem Waldstück dort hinten." Er deutete auf eine Gruppe von Häusern, hinter denen sich kahle Baumwipfel abzeichneten. „Wenn ich viel Zeit habe, joggen wir zum Hafen hinüber."

„Gefällt es Emma dort?"

„Ihr gefällt es überall, wo sie frei laufen kann und anderen Menschen oder Hunden begegnet."

Der kalte Wind wehte mir eine Haarsträhne in die Augen. Blinzelnd strich ich sie beiseite. „Ich dachte immer, Hunde und ihre Halter ähnelten einander."

Jonathan sah mich stirnrunzelnd an. „Wie meinst du das?"

„Emma ist anscheinend gerne dort, wo andere Menschen sind, du aber überhaupt nicht."

„Mit Menschen außerhalb der Liga habe ich keine Probleme. Stell dir vor, ich habe sogar Freunde an der Uni." Seine Miene verfinsterte sich. „Das kannst du natürlich nicht nachvollziehen, wo ich doch jeglicher Höflichkeit entbehre."

„Du entbehrst jeglicher Höflichkeit in der Liga", korrigierte ich ihn. „Außerhalb kannst du dich ganz passabel benehmen." Ich musste daran denken, wie er mir gestern meine Pizza kleingeschnitten hatte.

„Danke für dieses Wahnsinns-Kompliment", antwortete er ironisch. „Ich komme mir gleich viel besser vor."

Mit dem Anflug eines schlechten Gewissens beobachtete ich, wie Emma schnüffelnd voraus lief. Tatsächlich war es schon das zweite Mal an diesem Tag gewesen, dass ich Jonathan kritisierte. Ich sollte damit aufhören, bevor er sich noch weiter hinter seine mürrische Fassade zurückzog. „Was sind das für Freunde an der Uni?"

„Eine Handvoll Kommilitonen aus meinem Studiengang und einige Mathematiker. Hat sich irgendwie ergeben, dass wir miteinander abhängen."

Ich horchte auf. „Mathematiker? Florian aus der Liga etwa auch?"

Jonathan schnaufte verächtlich. „Definitiv nicht. Florian hat genug damit zu tun, sich in der Aufmerksamkeit seiner Professoren und Anhängerinnen zu sonnen. Er scheint zu glauben, ihm gehöre die Welt. Er ist ein Idiot."

Spuk am BaumhausWo Geschichten leben. Entdecke jetzt