Kapitel 42

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„Thomas", zischte ich in die unheimliche Stille des verlassenen Gartens. „Wo bleibst du denn?" Unbehaglich bog ich zu den staubigen Steinen der Terrasse ab. Ich öffnete meine Tasche und zog Jochens Erlenmeyerkolben heraus.

Ich deponierte ihn gerade samt Stoffbeutel auf der Terrasse, als Thomas endlich in einem Nebelwirbel neben mir erschien.

„Dafür, dass du dich beeilen wolltest, hast du aber reichlich lange gebraucht", äußerte ich vorwurfsvoll.

„Tut mir leid. Ich hatte überlegt, ob wir noch etwas brauchen könnten, aber der Gedanke stellte sich als überflüssig heraus. Ich kann immer noch nichts telekinetisch bewegen." Hektisch schaute er sich im Garten um. Eine Windböe zerrte am silbernen Nebel seines Körpers. „Richtig wohnlich ist es hier ja nicht gerade."

„Das Haus ist mit ziemlicher Sicherheit verlassen", klärte ich ihn auf, während ich meine feuchten Hände an der Jeans abwischte. „Bist du bereit?"

„Ich weiß nicht." Nervös zupfte er an seinem Hemd. „Hast du dir das wirklich gut überlegt?"

„Ich fürchte nein", gestand ich mit einem mühsamen Lächeln. „Aber jetzt sind wir hier und werden die Sache durchziehen. Ich will nicht umsonst hergekommen sein."

„Okay", antwortete er kläglich. „Sei bitte vorsichtig." Er entfernte sich ein paar Meter von mir und Jochens verdecktem Erlenmeyerkolben.

Ich atmete langsam aus. Mittlerweile hatte ich selbst kein gutes Gefühl mehr bei dieser Sache. Im Gegenteil. Wie hatte ich nur jemals annehmen können, diese Angelegenheit könnte unspektakulär von der Bühne gehen?

In einer abrupten Bewegung zog ich den Stoffbeutel herunter. Der Erlenmeyerkolben hatte die Reise unbeschadet überstanden. Jochens silberner Nebel waberte unruhig darin hin und her.

Mit heftig klopfendem Herzen entfernte ich den Stopfen und wich zu Thomas zurück. „Bist du bereit?", flüsterte ich.

„Das fragst du mich jetzt schon zum zweiten Mal", flüsterte er zurück. „Meine Antwort bleibt dieselbe. Ich weiß es nicht. Mach einfach, was du für richtig hältst. Abhalten könnte ich dich ja doch nicht."

„Richtig." Ich verflocht meine Finger, entwirrte sie aber schnell wieder, als mir klar wurde, dass es bei Jochen besser war, beide Hände zur Abwehr frei zu haben.

Ein letztes Mal atmete ich tief durch.

Ein letztes Mal dehnte ich meinen Nacken.

Entschlossen fixierte ich das Gefäß auf den Steinen der Terrasse. „Lass uns miteinander reden, Jochen. Komm heraus."

Ich konnte nicht einmal blinzeln, so schnell schoss er aus dem Erlenmeyerkolben in die Höhe. Binnen einer Sekunde schwebte seine voll ausgebildete Silhouette vor uns. Nebelschwaden tropften in dünnen Fäden vom ihm herab.

„Wo habt ihr mich hingebracht?!" Er schaute sich um. Sein flackernder Blick blieb an dem Baum hinter mir hängen.

„Wie schön. Ausnahmsweise begrüßt du mich tatsächlich mit einem gesprochenen Wor..." Weiter kam ich nicht.

Von Jochen ging eine Druckwelle aus, die sämtliche Grashalme im Garten wie unter einer kräftigen Windböe umknicken ließ. Meine Haare flogen um mein Gesicht auf. Vertrocknete Blätter flatterten von den knorrigen Ästen hinter mir zu Boden.

„Oh Gott", machte Thomas verzweifelt. „Dieses Vorhaben wird übel enden."

Ich beäugte die flach gedrückten Grashalme um mich herum. „Ähm, lass uns die Sache ganz ruhig angehen", versuchte ich Jochen zu besänftigen. „Ich möchte dir gerne meine Beweggründe..."

Spuk am BaumhausWo Geschichten leben. Entdecke jetzt