Kapitel 39

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So schnell wie heute war ich nach meinem mittwochs üblichen Nachmittagsunterricht noch nie zuhause gewesen. Ich brannte darauf, meinen Plan bezüglich Jochen in Angriff zu nehmen. Ihn zu seinem alten Haus zu bringen, würde sein Schweigen brechen, davon war ich überzeugt. Er würde mir erzählen, was ihn hier hielt, ich könnte ihm meinen Segen zum Übergang in die Nachwelt erteilen und die Sache wäre erledigt.

Ich polterte ins Haus und streifte meine Stiefel ab.

„Hey, Große." Meine Mutter reckte ihren Kopf aus der Küche. Dem Geschirrhandtuch in ihren Händen zufolge wusch sie gerade Geschirr ab. „Wie war's in der Schule?"

„Anstrengend", berichtete ich. „Herr Wolfmann hat im Sportunterricht Zirkeltraining mit uns gemacht. Ich weiß nicht, wie manche Mitschüler daran Gefallen finden können. Ich für meinen Teil halte es für eine Erfindung des Teufels." Ich hängte meine Jacke an die Garderobe. „Ich muss gleich noch mal weg."

Mamas Augenbrauen wanderten bis zu ihrem Haaransatz herauf. „Wieso? Was hast du Eiliges vor?"

„Tabitha und ich sind verabredet." Ich zog sämtliche Register meiner kargen Schauspielkünste, um einen möglichst verschwörerischen Eindruck zu machen. „Sie hat am Samstag ihr erstes Date mit ihrem Schwarm und droht vor Nervosität durchzudrehen. Sie hat mittlerweile schon fünf Listen darüber angelegt, was sie anziehen soll." Es tat mir leid, Tabitha als Vorwand zu missbrauchen, aber ich wusste, dass Mama gegen diesen notwendigen Freundschaftseinsatz nichts einwenden würde „Und ja, wenn ich danach wieder hier bin, mache ich zuallererst meine Hausaufgaben."

„Versprichst du mir das? Du solltest deine Hausaufgaben wirklich nicht schleifen lassen. Die anstehenden Klassenarbeiten schreiben sich nicht ohne jegliche Vorbereitung."

„Ja, Mama", leierte ich. „Versprochen." Ohne ein weiteres Wort flitzte ich die Treppe hinauf. In meinem Zimmer suchte ich rasch einige Sachen zusammen, die ich vielleicht brauchen würde.

„Hey, Thomas", rief ich in die Leere meines Zimmers, während ich eine Schnur in meinen Rucksack warf. „Thomas?" Wahllos warf ich weitere Dinge in meine Tasche und hängte sie mir schließlich über die Schulter.

Immer noch nichts von meinem Geist.

Wo hielt er sich schon wieder auf? Doch nicht etwa im Traumland? Er hatte mir versprochen, dort keine Zeit zu verbringen, solange ich wach war und ihn eventuell brauchen könnte.

Ungeduldig klopfte ich mit einer Fußspitze auf den Boden. Flüchtig überlegte ich, ob ich gehen sollte ohne mit ihm über mein Vorhaben gesprochen zu haben, verwarf den Gedanken aber sofort wieder. Ich brauchte meinen ersten Geist in dieser Angelegenheit als Rückendeckung.

„Thomas?!", rief ich erneut. „Wo bist du denn?"

Neben mir materialisierte sich ein silberner Nebelschleier. „Bin schon da." Thomas beäugte mich neugierig. „Was gibt's so Dringendes?"

„Wo bist du gewesen?", erkundigte ich mich. „Ich habe dich bestimmt drei Mal gerufen."

Mit erkennbarem Anflug eines schlechten Gewissens glättete er die abstehenden Haare an seiner Schläfe. „Ich war nur kurz bei Susanne und Louisa, um bei ihnen nach dem Rechten zu sehen. Konnte ja keiner ahnen, dass du mich just in dem Augenblick rufen würdest."

„Oh", machte ich, während sich das schlechte Gewissen nun meiner bemächtigte. „Tut mir leid, ich wollte dich nicht stören. Wie geht's den beiden?"

„Gut. Louisa befasst sich gerade mit ihren Weihnachtswünschen."

„Ist sie damit nicht ein bisschen spät dran?", fragte ich vorsichtig. „Immerhin haben wir bereits Dezember."

Spuk am BaumhausWo Geschichten leben. Entdecke jetzt