Kapitel 1

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„Ich gehe da nicht hin!"

„Komm schon, Nick. Es ist doch nur eine Voruntersuchung."

„Nein, ich will keine Zahnspange!" Mein kleiner Bruder klammerte sich mit aller Kraft an die Klinke der Küchentür. Seine Wangen glühten hochrot. Die braunen Haare standen wirr von seinem Kopf ab.

Mit ihrem klassischen ‚meine Kinder werden mich noch in den Wahnsinn treiben'-Blick zog meine Mutter an Nicks Arm, aber gegen seine eiserne Entschlossenheit hatte sie keine Chance. Er klammerte sich so fest an die Türklinke, dass er genauso gut daran hätte festgeschweißt sein können.

„Es steht doch überhaupt noch nicht fest, dass du jemals eine Zahnspange bekommen wirst", wandte sie ungeduldig ein. „Komm, wenn du jetzt mit dem Theater aufhörst, darfst du später auch ein Eis essen."

„Hör auf, mich zu erpressen! Das ist schädlich für meine psychische Stabilität und wird meine Meinung auch nicht ändern. Ich gehe nicht zum Kieferorthopäden!"

Wie eine Spionin spähte ich von der Treppe meines Zuhauses aus zu dem Familiendrama, das sich links im Flur abspielte. Das Geschrei von meinem Bruder hielt mich bereits seit mehreren Minuten davon ab, unbemerkt zu meinen Schuhen neben der Flurgarderobe zu kommen. Dabei wollte ich das unbedingt. Also unbemerkt zu meinen Schuhen kommen. Ich hatte nämlich keine Lust darauf, Mama aus Neue erklären zu müssen, warum ich das Haus verließ, obwohl ich ihres Erachtens noch nicht genug für die anstehende Englischarbeit gelernt hatte.

„Reiß dich zusammen", tadelte sie meinen Bruder gerade. Ihre braunen Augen warfen Blitze. „Wenn du dich nicht langsam beruhigst, werden wir zu spät kommen. Tu mir das nicht an. Ich dachte, eure Trotzphasen hätte ich endlich hinter mir."

„Du wirst mich hier nicht wegbekommen!", zischte er widerspenstig. „Ich bleibe so lange in diesem Haus, bis du mir versprichst, dass ich keine Zahnspange bekomme."

„Wie soll ich das versprechen? Ich habe keine Ahnung von Kieferfehlstellungen oder erforderlichen Zahnkorrekturen. Wenn du eine brauchst, dann brauchst du eine."

„Mir egal." In seiner Wut begannen Nick heiße Tränen über die Wangen zu laufen, was ihn offensichtlich nur noch wütender machte.

Mama schnaufte wie eine kohlebetriebene Lok. „Ich verstehe dich nicht. Du bekommst doch heute überhaupt keine Zahnspange. Vielleicht bekommst du niemals eine. Es geht nur um eine erste Einschätzung. Das musste April in deinem Alter über sich ergehen lassen und Bianca genauso. Beide haben sich damals mustergültig benommen."

Ich nutzte den Augenblick, in dem beide abgelenkt waren und hüpfte von der Treppenstufe. Unauffällig drückte ich mich rechts an die Flurwand und angelte nach meinen Chucks. Ich verbiss mir sogar den Einwurf, dass Nick in Angesicht des metallblitzenden Monstrums besser den Mann stehen sollte, als der er sonst immer bezeichnet werden wollte.

„Ich gehe da nicht hin", kreischte er, ganz der starke, erwachsene Kerl, der die drei Damen seines Haushalts beschützte.

Mama knirschte hörbar mit den Zähnen. „Liebling", presste sie irgendwie dazwischen hervor. „Wovor hast du solche Angst? Der Arzt wird dir heute nur einmal in den Mund schauen und vielleicht einige Abdrücke nehmen. Nichts davon ist schmerzhaft. Ich verspreche es dir."

„Die Vorstellung ist schmerzhaft, dass er die Erforderlichkeit einer Zahnspange feststellen könnte!" Voller Verachtung über das Unverständnis unserer Mutter zog er seine Nase hoch. „Heute fällt die Entscheidung. Wenn ich diesen Termin umgehen kann, werde ich auch der Zahnspange entgehen."

Seine Aussage war gar nicht so dumm. Vorsichtig zog ich meine Handtasche von der Flurgarderobe und schlich zur Haustür. Ich hielt die kühlen Klinke bereits in der Hand, als...

Spuk am BaumhausWo Geschichten leben. Entdecke jetzt