Kapitel 4

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Unglücklich zog ich die Tür zum Treppenhaus auf und schlich in den dunklen Raum dahinter. Ich war derart in meine leidvollen Gedanken versunken, dass ich das Nebelwesen erst bemerkte, als es ein tadelndes „Tss" von sich gab.

Ich schrak so heftig zusammen, dass mein Nacken knirschte. Mit weit aufgerissenen Augen starrte ich die silberne Silhouette an, die über der ersten Treppenstufe schwebte.

Beleidigt verschränkte der Mann seine durchscheinenden Arme, wobei er feine Nebeltröpfchen um sich herum verteilte. „Wolltest du mich umrennen oder was?"

„Thomas!", zischte ich mit hämmerndem Herzen. „Was fällt dir ein, dich mir anzuschleichen? Beinahe hätte ich einen Herzinfarkt erlitten!"

„Ich habe mich überhaupt nicht angeschlichen. Ich hänge hier schon seit einer Stunde herum. Du hast vorhin so oft meinen Namen gesagt, dass ich dachte, du bräuchtest mich. Als ich dann begriff, dass dir keine unmittelbare Gefahr drohte, habe ich mich vorsichtshalber hierher verzogen. Im Sitzungssaal waren mir einfach zu viele Leute." Ein dramatischer Schauer durchlief seinen unwirklichen Körper. „Ich will nie wieder erleben, wie ein Mensch durch mich hindurchläuft."

Thomas war mein erster Geist. Ich hatte ihn mit meiner allerersten, allerreinsten Magie beschworen und damit eine besondere Verbindung zwischen uns geschaffen. Er konnte unter anderem meine Gefühle erspüren.

Gruselig, nicht wahr?

Ich legte eine Hand auf mein jagendes Herz. „Jonathan wollte von mir wissen, wie du es vor zwei Wochen geschafft hast, die Schatten in Bewegung zu bringen." Kopfschüttelnd folgte ich der Treppe in den Keller hinab. „Es herrschte zu keinem Zeitpunkt irgendeine Gefahr für mich. Du hättest genauso gut wieder gehen können."

„Zuhause ist es langweilig." Lautlos schwebte er hinter mir her. „Deine Mutter bügelt, dein Bruder düst die eintausendste Runde über seine Carrera-Bahn und deine Schwester macht Englischhausaufgaben."

„Erinnere mich nicht an Englisch", murmelte ich, während ich den Empfangsraum des Kellers betrat. „Übermorgen steht diese verdammte Klassenarbeit an. Die ganze Klasse rätselt, ob Mister Wadenski der leibhaftige Teufel ist oder ob er uns diese Arbeit aus purer Freude am Schülerquälen in der ersten Woche nach den Herbstferien schreiben lässt." Ich seufzte. „Irgendwann sollte ich endlich mit dem Lernen anfangen. Für wie wahrscheinlich hältst du es, dass mich zuvor noch eine unheilbare Krankheit dahinrafft?"

„Keine Klassenarbeit, nicht einmal die anspruchsvollste der Welt, ist eine unheilbare Krankheit wert. Bitte mach nie wieder eine solche Andeutung." Thomas schwebte zu dem L-förmigen Holztresen auf der rechten Seite des düsteren Empfangsraums hinüber. Seine wogende Nebelgestalt wirkte, als wenn sie hierher gehört. Genau hierher zwischen die staubigen, alten Backsteinwände, den Mahagonitresen und die intarsienverzierte, doppelflügelige Tür auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes.

Ich spazierte zu den drei Türen in der linken Wand hinüber und schloss die mittlere mit meinem Schlüssel auf. „Heute Abend steht erstmal etwas anderes als Englischlernen auf dem Programm. Kommst du mit?"

„Klingt zumindest spannender als Bügeln." Just in dem Moment, in dem Thomas sich zu mir bequemte, erklangen leichte Schritte auf der Treppe. Sekunden später betrat Mattheus den Empfangsraum.

„Ach, April. Gut, dass du hier unten bist." Er kam auf mich zu. „Ich schulde dir noch ein Ergebnis, was die Überprüfung deines Türschlosses angeht."

„Oh ja! Hast du mittlerweile alle Untersuchungen beendet? Konntest du mit deiner Magie etwas in Erfahrung bringen?" Aufgeregt schaute ich ihn an.

„Leider nein. Ich konnte absolut nichts feststellen. Wer auch immer dich vor zwei Wochen eingesperrt hat, hat an dieser Tür keine psychometrischen Spuren hinterlassen." Unbehaglich rückte er die Brille auf seiner Nase zurecht. „Ich konnte ausschließlich Schwingungen von dir und Jonathan auffangen. Der Verantwortliche... Er hat dafür gesorgt, keine Spuren zu hinterlassen."

Spuk am BaumhausWo Geschichten leben. Entdecke jetzt