Ich lehnte meinen Kopf behutsam gegen die Rückenlehne. „Also, worüber wolltest du mit mir sprechen?"
Jonathan schwieg eine Weile. „Über deine Verantwortungslosigkeit", antwortete er schließlich in wohldosierter Lautstärke. „Ich weiß nicht, ob dich deine letzte Gehirnerschütterung ein paar Gehirnzellen gekostet hat oder ob es dir bereits seit deiner Geburt an Verstand mangelt."
Verständnislos drehte ich meinen Kopf zu ihm. „Wie bitte?"
„Du hast mich schon richtig verstanden." Als ob er seine vorherige Besorgnis einfach ausgelöscht hätte, warf er mir einen kühlen Seitenblick zu. „Wie kannst du so verantwortungslos sein, alleine mit diesem Geist zu seinem alten Zuhause zu fahren? Du hättest dir denken müssen, dass dabei etwas geschieht. Bislang bist du nie alleine mit deinen Geistern zurechtgekommen."
„Ich hatte Thomas dabei", verteidigte ich mich leise.
„Einen weiteren Geist", höhnte Jonathan. „Was soll der schon gegen ein Wesen ausrichten können, das in seinem enormen emotionalen Leid Menschen durch die Luft schleudert? Wie man an deinen Verletzungen sehen kann: nichts!"
Ich schlang meine Arme um mich selbst. Ich hätte mit dieser Predigt rechnen sollen. Ich hätte vorausahnen sollen, dass er mir wieder Vorwürfe machen würde. Das einzig Überraschende daran war, dass er sich so lange damit zurückgehalten hatte. Ich krallte meine Fingernägel in meine Jackenärmel, um mich von dem aufsteigenden Brennen in meinem Magen abzulenken.
„Wie kann man sich nur so sehr selbst überschätzen?", warf er mir verächtlich vor. „Nein, das ist schon keine Selbstüberschätzung mehr, das ist Wahnsinn. Wahnsinn im Sinne von Verrücktheit. Du gehörst in eine Irrenanstalt."
Ich biss mir auf die Unterlippe. Verzweifelt unterdrückte ich die Tränen, die plötzlich in mir aufstiegen. Es war einfach zu viel. Jochens Geständnis. Die Vorstellung seiner Tochter, durch einen einzigen Sturz vom Baumhaus für ihr Leben gezeichnet. Mein dröhnender Schädel. Und jetzt auch noch Jonathans Anschuldigungen...
„Wann wirst du lernen, dass du jemanden aus der Liga zu solchen riskanten Unternehmungen mitnehmen musst? Wenn schon nicht mich, dann wenigstens deine Tante." Er sprach sachlich, als wenn ihn mein Alleingang überhaupt nicht interessieren würde. Seine einzige Regung spiegelte sich in seinen Fingen wider, die sich so fest um das Lenkrad krampften, dass seine Knöchel weiß hervortraten „Ist dir nicht in den Sinn gekommen, dass es deinem Geist Stress bereiten könnte in sein altes Haus zurückzukehren? Und Stress, wie alle starken Emotionen, führt bei Geistern zu unvorhersehbaren Ereignissen. Erinnere dich an Bernd und wie er dich beinahe erwürgt hätte."
„Jochen ist lange nicht so impulsgesteuert gewesen wie Bernd", murmelte ich erstickt.
„Und?", erwiderte er wütend. „Das heißt doch nicht, dass er deswegen keinen Stress empfinden kann! Wusstest du, ob er zuhause glücklich oder unglücklich gewesen ist?" Er gab sich selbst die Antwort. „Nein. Du bist einfach dort hinmarschiert, naiv wie eine Vierjährige hoffend, dass er komplikationslos in die Nachwelt übertritt. Dabei ist dieser Geist wegen Spukens verkorkt worden." Jonathan schlug so heftig auf den Blinker, dass das Gehäuse unheilvoll knackte. „Wegen Spukens! Das bedeutet, dass der Geist weder im Reinen mit sich war noch einen leicht beeinflussbaren Willen hatte. Er hätte in diesem Garten wer weiß was mit dir anstellen können." Merklich angestrengt mäßigte er seine Stimme. „Ich verstehe nicht, warum du das nicht vorausgesehen hast. Jeder, der auch nur die Grundzüge im Umgang mit Geistern begriffen hat, hätte geahnt, dass dieser Geist bei deinem Plan ungemütlich werden würde."
„Ich hab's verstanden. Du brauchst es nicht weiter auszuführen."
„Doch, dass muss ich, denn wenn man dir die Dinge nicht fünf Mal sagt, nimmst du dir sie nicht zu Herzen." Verachtung sprach aus seinen Augen, als er mir einen flüchtigen Blick zuwarf. Jetzt, wo Michael uns attestiert hatte, dass ich meinen Baumzusammenprall überleben würde, schien Jonathan all seine Energie darauf verwenden zu wollen, über mich zu richten. „Es ist mir ein Rätsel, wie du deiner Familie gleich unter die Augen treten kannst, nachdem du dein Leben derart leichtsinnig aufs Spiel gesetzt hast. Ich an ihrer Stelle würde nichts mehr mit dir zu tun haben wollen."
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Spuk am Baumhaus
Teen FictionFortsetzung von Spuk im Keller. Über den Umgang mit Geistern: 1.: (Sei auf der Hut.) Das hilft gar nichts. 2.: (Lege, wenn möglich, Schutzweste und Helm an.) Sich an einem sicheren Ort anzuketten, ist noch besser. 3.: (Sei auf der Hut.) Siehe oben. ...