Kapitel 32

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Am Haus angekommen kümmerte sich Jonathan wortlos um Emma, während ich mich aus meiner Jacke schälte. Hingebungsvoll drängte sich die Hündin an ihn.

Ich wusste nicht, warum mein Herz beim Anblick seiner langen Finger in ihrem Fell zu ziehen begann. Vielleicht war es auch das plötzliche Lächeln in seinen Augen. Es fuchste mich, dass ich dafür stundenlang schuften musste, während Emma es in einer Sekunde hervorbrachte.

„Also, was machen wir jetzt?", fragte ich forsch.

„Du kannst ein Buch lesen, wenn du willst. Ich hatte den Eindruck, du hast etwas für ‚Kabale und Liebe' übrig." Mit Emmas Leine in der Hand stand er auf.

„Haha. Sehr witzig."

„Du kannst auch den Fernseher anmachen. Ich habe Netflix."

Ich zögerte. „Weißt du, was ich lieber machen würde?", wagte ich mich vorsichtig vor.

„Was?"

„Ich würde dir gerne dabei helfen, das Schlafzimmer deiner Eltern auszuräumen."

Bei meinem Vorschlag erstarrte Jonathan wie einer meiner Geister, wenn ich ihn auf seine Vergangenheit ansprach. Sein Blick blieb an der Leine in seinen Händen hängen. Drückende Stille breitete sich zwischen uns aus. Meine Finger zappelten nervös über meine Jeans.

„Ich... Ich wollte dir nicht zu nahe treten", entschuldigte ich mich, als er auch nach zwei Minuten noch nichts sagte. „Ich bin übers Ziel hinausgeschossen, nicht wahr? Diese Angelegenheit geht mich gar nichts an. Vergiss, was ich gesagt habe."

Er hob sein Gesicht. Seine altbekannte, unbeteiligte Maske saß an Ort und Stelle. „Warum nicht? Irgendwann muss ich das Zimmer so oder so ausräumen."

„Du könntest es auch noch zwanzig Jahre wie einen Schrein bewahren", ruderte ich schnell zurück. „Ich will dich zu nichts überreden, das du nicht machen möchtest."

„Nein. Du hast recht. Ich sollte die alten Möbel wegwerfen und aufhören, um die Erinnerungen herumzuschleichen. Gehen wir hoch." Zwei Treppenstufen auf einmal nehmend stürmte er in das erste Stockwerk hinauf. Dorthin, wo sich ‚nur Räume' befanden.

Ich blieb allein mit Emma zurück. Nun, wo ihr Streichelbeauftragter fort war, drückte sie sich hoffnungsvoll an mein Bein. Besorgt tätschelte ich ihren Kopf. „Ich sollte ebenfalls hinaufgehen. Immerhin war es meine wahnwitzige Idee, uns dieses Schlafzimmers anzunehmen. Ich sollte prüfen, ob er... zurechtkommt."

Ich schob mich an ihr vorbei zur Treppe. Mir war plötzlich zutiefst unbehaglich zumute. Ich hätte dieses Thema nicht anschneiden sollen. Es ging mich wirklich nichts an. Gar nichts. Wie hatte ich mir nur einbilden können, Jonathan in dieser schwierigen Angelegenheit eine Hilfe sein zu können?

Langsam folgte ich den knarzenden Stufen ins Obergeschoss hinauf. Eine Tür rechts vom Treppenabsatz stand sperrangelweit offen.

„Jonathan?" Ich lugte vorsichtig in den Raum.

Ja, dies musste das Schlafzimmer seiner Eltern sein. Ein Doppelbett ohne Matratzen dominierte den Raum. Zwei weiße Nachttischchen lehnten daneben. Rechts an der Wand stand ein riesiger Kleiderschrank. Ein Fußläufer bedeckte den Parkettboden.

„Das ist es?", fragte ich, um einen Gesprächseinstieg zu finden.

„Ja." Jonathan richtete sich hinter dem Bett auf, einen zweiten Fußläufer ordentlich zusammengerollt im Arm. „Die Teppiche können weg."

„Bist du sicher..., dass du es jetzt tun willst?" Meine Geste umfasste den gesamten Raum.

„Jetzt ist ein genauso guter Zeitpunkt wie irgendwann sonst." Er marschierte an mir vorbei, um den Fußläufer im Flur abzulegen.

Spuk am BaumhausWo Geschichten leben. Entdecke jetzt