Kapitel 47

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Ich musste einen schrecklichen Eindruck erwecken. Als ich an den Tresen der Arztpraxis humpelte, riss die Sprechstundenhilfe nämlich entsetzt ihre Augen auf.

Der alte Opa, der auf einem Hocker neben dem Tresen saß, pfiff durch sein Gebiss. „Lassen sie die junge Frau ruhig vor, Frau Kramer. Die sieht aus, als wenn sie den Doktor dringender bräuchte als ich." Er kicherte. „Gutes Gefühl, das mal sagen zu können. Ich glaube, seit fünfundzwanzig Jahren war immer ich derjenige, zu dem der Arzt als Erstes kam."

„Die Dame scheint Herrn Mabeka wirklich nötiger zu haben als Sie, Herr Jendroscheck." Frau Kramer musterte mich aufmerksam. „Wie ist Ihr Name?"

„Ich bin Herrn Mabekas Nichte 2. Grades", erzählte ich. „April Fischer. Sie müssten bereits eine Krankenakte von mir vorliegen haben. Eine Krankenakte mit den Ausmaßen des Mount Everests. Oder vielleicht sogar noch größer. Gibt es ein Gebirge, das höher ist als der Mount Everest? Da gibt es doch bestimmt etwas. Irgendeiner dieser komischen Berge, die man immer nur mit K bezeichnet? Der K7 vielleicht?"

Jonathan dirigierte meine Arme auf den Tresen, sodass ich mich daran abstützen konnte. „Sie müssen sie entschuldigen. Wenn sie erschöpft ist, fängt sie an zu plappern wie ein Wasserfall. Wir sind bereits bei Herrn Mabeka angemeldet. Ich hatte ihn telefonisch kontaktiert."

Frau Kramer nickte. „Darüber hatte er mich unterrichtet." Sie stand auf. „Kommen Sie mit. Ich führe Sie in ein Behandlungszimmer."

Ich ließ den Tresen los und klammerte mich stattdessen wieder an Jonathan. „Musstest du schon mal zu Michael, um dich verarzten zu lassen?", fragte ich interessiert. „Wenn ja, wie oft?"

Jonathan führte mich über den Flur. „Meine Gabe ist lange nicht so gefährlich wie deine", flüsterte er mir zu. „Ich hatte zum Glück noch nie den Bedarf, mich von Michael ärztlich versorgen zu lassen."

Neid erfüllte mich. „Ehrlich? Du warst noch nie hier? Das ist bitter. Für mich ist es heute schon das dritte Mal."

„Das liegt wohl in der Natur der Sache. Du bist...", er warf der Sprechstundenhilfe einen verstohlenen Blick zu, „durch deinen... Hintergrund anfälliger als ich." Er half mir auf die Liege im Behandlungsraum.

Dieser Platz war gut. Je weniger Hartes sich in der Nähe meines Fußes befand, desto besser.

„Willst du dich hinlegen?", erkundigte sich Jonathan.

Ich dachte einen Moment darüber nach. „Nein, ich glaube, dann würde ich nicht mehr hochkommen." Ich beugte mich vor, bis ich wieder an seiner Brust lehnte. Mein Ohr bettete ich so, dass ich seinen beruhigenden Herzschlag hören konnte.

Er sagte nichts dazu, sondern legte nur stützend seine Arme um mich.

„Jetzt hätte ich Thomas fast vergessen", murmelte ich in seinen Pullover. „Er wollte doch so gerne dabei sein." Ich hob meinen Kopf. „Thomas", sagte ich etwas deutlicher. „Kannst kommen."

„Danke, Frau Kramer", sagte Michael beim Betreten des Raumes. „Ich denke, ich komme alleine zurecht."

„Sind Sie sicher?" Frau Kramer warf mir einen besorgten Blick zu. „Ihre Nichte 2. Grades klingt reichlich durcheinander und sieht auch sehr mitgenommen aus."

„Ach, das wirkt nur so. April leidet von Natur aus unter blasser Haut. Im Notfall hätte ich ja noch...", Michael deutete auf Jonathan, „ähm, den Freund meiner Nichte hier. Er könnte mir sicherlich zur Hand gehen. Er ist angehender Chemiker, wissen Sie. Das ist fast so gut wie eine professionell ausgebildete Arzthelferin."

„Hmpf. Wie Sie meinen", verkündete Frau Kramer spitz. Das Klicken der Tür verriet, wie sie den Raum verließ.

Ich linste über Jonathans Schulter. „Jonathan ist also mein Freund? Warum ist er kein weiterer Teil deiner großen Familie? Er hätte mein Bruder sein können."

Spuk am BaumhausWo Geschichten leben. Entdecke jetzt