Kapitel 12

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( L o u i s a )

Mehr Arbeitsstunden bedeuteten, dass ich weniger Zeit für die Uni hatte und meine Tage besonders präzise geplant werden mussten. Ich stand früh morgens auf, reservierte mir einen PC in der Bibliothek und lernte bis 14 Uhr. Zwei Vorlesungen waren im Anschluss und oft fuhr ich danach in die Bar, um neue Beiträge für den Instagram-Account zu erstellen oder Fotos zu machen. Javier hatte mir dafür ein kleines Büro in der oberen Etage gezeigt. Bis auf einen Schreibtisch war es vollkommen leer. Vermutlich war es nie benutzt worden. Ich war dankbar dafür, dass er mir ein MacBook zur Verfügung stellte, damit ich die Beiträge nicht an meinem Handy vorbereiten musste.

Immer, wenn ich in der Bar war, musste ich an das Gespräch mit Saint denken. Ich wusste nicht, ob ich gewisse Dinge überinterpretierte, doch ich hatte das Gefühl, es lag etwas zwischen uns in der Luft. Ich kam nur nicht darauf, was das sein könnte.

Ich hatte Saint noch nie zuvor gesehen und war überrascht, wie jung und vor allem wie gut aussehend er war. Jemand, der eine Bar besaß - und weitere Restaurants, wie ich später erfuhr - war in meiner Vorstellung immer wesentlich älter.

Er war nett, aber dennoch distanziert und es hatte mich sehr überrascht, als er sagte, er hätte eine Nachricht von Eric bekommen. Bei mir hatte er sich nicht mehr gemeldet, kein einziges Mal.

Ich befand mich in einem Stadium, in dem ich mich langsam daran gewöhnte. Die gemeinsame Zeit, von Anfang bis Ende, spielte sich stetig in meinem Kopf ab. Ich ging alles durch, suchte nach Fehlern meinerseits oder ob ich irgendetwas hätte anders machen können.

Auch wenn ich tief in meinem Inneren wusste, dass das, was er getan hatte, ganz alleine seine Schuld war - ich kam kaum aus meinem Gedankenkarussell heraus.

Das, was ich durchmachte, fühlte sich an wie ein Entzug. Ein kalter Entzug, um genau zu sein. Von einem Tag auf den anderen war keiner mehr da, der mich kontrollierte. Keiner, der mir Angst machte und mich dazu zwang, so zu sein, wie er es wollte.

Die plötzliche Ruhe in meinem Leben war zu laut für mich.

Manchmal spielte ich mit dem Gedanken, Saint danach zu fragen, wann er die Nachricht von Eric bekommen hatte, vergaß ich in diesen Momenten, was er mir angetan hatte.

Zum Glück hatte ich das Video, was ich mir mehrmals täglich ansah.

Niemand aus der Bar schien bemerkt zu haben, was draußen vor sich ging. Es war merkwürdig und ich fragte mich, ob jemand von seinen Kollegen etwas damit zu tun hatte.

Jedes Mal war ich froh darüber, dass die anonyme Person einen Cut gesetzt hatte, konnte ich mir nur zu gut vorstellen, was passiert war. Doch wie fühlte ich mich damit? War ich froh darüber, dass Eric seine gerechte Strafe bekommen hatte? War sie überhaupt gerecht?

Und dazu kam die stetige Angst, mich zu früh zu freuen. Er könnte jederzeit vor meiner Tür stehen...

Wenn sich zu viele Fragen in meine Gedanken mischten, stürzte ich mich in Arbeit.

Da ich heute morgen eine Besichtigung in meinen straffen Zeitplan quetschen musste, hatte ich keinen freien PC mehr bekommen.

Nun war ich in der Bar, hatte einen Beitrag für den heutigen Abend erstellt.

Der dumpfe Bass von unten und die Stimmen der Gäste hallten leise zu mir hoch. Es war angenehm zu wissen, dass ich hier oben meine Ruhe hatte, doch unter mir die Menschen mit bester Laune feierten.

Ich hatte noch nie zuvor alleine gelebt und die Stille war ungewohnt für mich.

Javiers Büro war gegenüber und er kam hier nur hoch, wenn die Bar geschlossen hatte. Sonst hatte er einfach zu viel zu tun. Und Saint... ihn hatte ich nach unserem Gespräch nicht mehr gesehen.

Vermutlich hatte er genug zu tun und kam nur her, wenn es unbedingt sein musste.

Ich holte vorsichtig mein Notizheft hervor und starrte nachdenklich auf den Bildschirm. Ob es jemanden stören würde, wenn ich kurz etwas für die Uni machte? Ich musste dringend zwei meiner Hausarbeiten bearbeiten, damit ich sie rechtzeitig zum Ende der Woche abgeben konnte.

Ich öffnete mir die Seite der Uni, meine Unterlagen und beeilte mich. Wieso mich das so nervös machte, wusste ich nicht. Besonders weil die Treppe zur oberen Etage laut knarzte und ich unter keinen Umständen überhören könnte, wenn sie jemand hochlaufen würde.

"Hey", hörte ich eine bekannte Stimme und schreckte hoch. Mit großen Augen starrte ich zum Türrahmen, an den Saint sich lehnte. Seine Haare waren nass und in der Hand hielt er eine Sporttasche, kam er vermutlich gerade aus dem Fitnessstudio.

Anscheinend konnte ich doch überhören, wenn jemand die obere Etage betrat.

"H-Hey", keuchte ich und meine Hände hielten mein Notizbuch so fest, dass wenige Seiten knickten.

Saint musterte die Situation vor sich und betrat den Raum. Er nickte in meine Richtung, während er sprach. "Solltest du nicht schon fertig mit dem Beitrag sein?" In seiner Frage lag nichts wertendes, es war nur eine Feststellung.

"Ja, ähm...", Hitze breitete sich in mir aus und ich war mir sicher, dass meine Wangen gerötet waren. Meine Schultern sackten nach unten. "Ich habe noch kurz etwas für die Uni gemacht, ich... tut mir Leid"

Ich bereitete mich auf alles vor. Beispielsweise darauf, dass er mir gleich erklären würde, wie unprofessionell dieses Verhalten doch war.

"Hast du keinen Laptop zu Hause, mit dem du das machen könntest?"

Ich schüttelte verlegen den Kopf.

Er schaute mir in die Augen. Nur für wenige Sekunden, doch für mich fühlte es sich viel länger an.

"Dann nimm den einfach mit. Ist sowieso einfacher, falls irgendetwas mit einem der Beiträge sein sollte, kannst du schneller agieren" Mit einem schulterzucken kehrte er mir den Rücken zu, um den Raum zu verlassen.

"Sag Javier Bescheid, damit er den Laptop später nicht sucht"

Dann ging er und ließ mich sprachlos zurück.

Mit dem Laptop unter dem Arm ging ich runter, informierte Javier darüber, dass ich ihn mitnehmen würde und verabschiedete mich von den anderen. Sie waren super nett zu mir, auch wenn sie mich nie auf Eric ansprachen. Eigentlich waren es doch seine Freunde...

Ich entschied mich dafür, komplett nach Hause zu laufen, denn das Wetter war traumhaft schön und ein Teil von mir sah es als Pflicht an, das zu tun. Jetzt, wo ich es endlich konnte. Sowieso hielt ich mich kaum noch zu Hause auf.

Seit dem Eric weg war, schlief ich nicht mal mehr in unseren gemeinsamen Bett. Ich machte es mir auf dem Sofa bequem und würde einige Möbelstücke, die mich zu sehr an ihn erinnerten, verkaufen.

Mein Telefon klingelte als ich auf der Hälfte des Berges zu meiner Wohnung angekommen war. Es war die Maklerin, die mir vor wenigen Tagen eine wunderschöne, kleine Wohnung gezeigt hatte, für die ich keine Hoffnung besaß, dort jemals einzuziehen.

Dass sie mich anrief, überraschte mich.

„Ich wollte Ihnen mitteilen, dass Sie die Wohnung haben können, falls sie noch Interesse haben"

Beinahe ließ ich den Laptop fallen, konnte ihn gerade noch an mich drücken, bevor schlimmeres passierte.

„Ja", keuchte ich fassungslos, versuchte sie nicht anzuschreien und ruhig zu bleiben. „Sehr gerne"

Ich drehte mich grinsend um mich selbst, das Handy in meiner Hand, die letzten Sonnenstrahlen im Gesicht. Das hier musste ein Traum sein...

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Wichtige Frage an Euch: wie stellt ihr euch Saint eigentlich vor? ☺️ Größe, Haarfarbe, Augenfarbe etc. - schreibt mir gerne alles, was euch einfällt 💗 dankeee

Secrets of Barcelona l Dark RomanceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt