Kapitel 72

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( L o u i s a )

Ich hatte vollkommen das Gefühl für Raum und Zeit verloren, während wir nebeneinander saßen und Saint mir von dem erzählte, was ihn so sehr quälte.

Ich wusste, dass es schlimm war, aber das übertraf meine Sorgen bei weitem.

Sein Kopf lag auf meiner Schulter, meine Arme um ihn geschlungen. Saint weinte nicht, doch er war müde und kaputt. Ich konnte förmlich dabei zusehen, wie er sich selbst verlor.

Ich musste vollkommen wahnsinnig geworden sein, weil der Fakt, dass mein eigener Freund jemanden ermordet hatte, nicht das war, was mich am meisten traf.

Am schlimmsten war es für mich, zu hören was für ein grauenvoller Mensch all die Jahre die Macht über ihn und seine Freunde hatte. Es gab eine Menge Böses auf dieser Welt, doch Juri schien der Anführer allen Übels zu sein.

Saint hatte sich nie ganz mit dem Gedanken anfreunden können, dass seine Eltern einfach durch einen Unfall verstorben waren. Ich wünschte mir, er hätte Unrecht gehabt. Vermutlich würde ich mir niemals vorstellen können, was sie in ihren letzten Momenten erlebt hatten.

Gleichzeitig war ich sauer auf sie, dass sie ihren eigenen Sohn verkauft hatten, um ihren Lebensstandard aufrecht erhalten zu können. Um weiter an der Spitze der Elite Englands bleiben zu können, duldeten sie nicht nur furchtbare Geschäfte, sie zwangen ihn, aktiv daran teilzunehmen.

All das war ihnen vor die Füße gefallen und nun lag ihr Sohn in meinen Armen, gebrochen und mit einem Loch im Herzen.

"Saint", flüsterte ich und meine Stimme klang wie ein Fremdkörper in der Stille, die sich um uns herum ausgebreitet hatte.

Er antwortete nicht, aber seine Hand drückte meine ein bisschen mehr.

"Ich wünschte, ich könnte dir all diesen Schmerz nehmen. Aber das kann ich nicht", sagte ich und eine weitere Träne lief mir über die Wange, "ich kann dir nur dabei helfen, ihn durchzustehen"

Er hob überrascht und irritiert seinen Kopf an, sah mir direkt in die Augen.

"Wenn ich eines in den letzten Monaten gelernt habe, dann dass es nicht nur schwarz und weiß gibt. Nicht nur gute und schlechte Menschen. Das, was du mir über diesen Labrenz erzählt hast, klingt schrecklich und wer weiß, wie vielen Menschen er noch grausame Dinge angetan hätte. Wer weiß, zu welchen Monstern er seine Söhne erzogen hätte"

Vielleicht wäre er der nächste Juri dieser Welt gewesen, der seine Söhne zwingt, grausame Dinge zu tun.

"Wo sind seine Söhne jetzt?", fragte ich vorsichtig.

Saint räusperte sich. "Melodys Schwester Summer arbeitet in einem Waisenhaus. Ich habe die Jungs dahin gebracht. Sie sind isoliert, weil sie nicht mit anderen über mich sprechen dürfen, aber es geht ihnen soweit gut, sie bekommen alles, was sie brauchen"

Die Jungs waren Zeugen.

Ich schluckte schwer. "Was wird aus ihnen werden?"

Saint schüttelte den Kopf. "Ich weiß es nicht", gestand er. "Ich werde ihnen nichts tun, falls du das denkst"

Ich dachte es nicht, aber ich dachte an Silas und seine manchmal so kalte Art. Er kam mir nicht vor wie jemand, der einem Kind etwas antun würde, noch dazu kannte ich die Geschichte von dem Mädchen, dem er etwas schlimmes antun sollte und es nicht getan hatte. Trotzdem würde er sie vielleicht für den Rest ihres Lebens einsperren, damit sie nichts von dem erzählen konnten, was sie gesehen haben.

"Ihr sucht weiter nach dem Video?", fragte ich, hatte ich überhaupt kein Gefühl dafür, wie schwer es sein würde, diese beschissene Aufnahme zu finden.

Secrets of Barcelona l Dark RomanceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt