54 | No Tears Left To Cry

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Livia's Sicht

Mittwoch, 24. Mai 2023


Der dunkle Nachthimmel über uns spiegelte mein eigenes Seelenbild wider, dass seit Stunden ebenfalls von dieser Dunkelheit durchzogen wurde. Es schien keinerlei Entkommen daraus zu geben und wenn ich ehrlich zu mir selbst war, so wollte ich dies auch nicht. Das Schicksal hatte auf brutalste Weise zugeschlagen und ich wusste, dass absolut nichts wieder so sein würde, wie jemals zuvor. Raiden war tot und damit war auch meine eigene Seele gestorben. Das Ganze war etwas über vierundzwanzig Stunden her und doch standen wir nun vor seinem bedeckten, leblosen Körper, um ihm die letzte Ehre zu erweisen. Damien stand starr neben mir, hatte eine gefühlslose Maske aufgelegt und ich selbst stand dem in nichts nach. Die Tränen in meinen Augen waren vor Stunden versiegt und es war mir nicht möglich weitere zu produzieren, um meiner Trauer freien Lauf zu lassen. Egal wie sehr ich es versuchte, kein Tropfen der salzigen Flüssigkeit verließ meine Augen und dies deutete mir, dass sämtliche Gefühle in mir mit meinem Sohn gestorben waren.

Doch je weiter ich darüber nachdachte, desto bewusster wurde mir, dass dies lächerlich war und keinesfalls der Wahrheit entsprach. Ich fühlte nach wie vor die Wut und den Hass auf Melody, die dies meinem Sohn angetan hatte, dasselbe fühlte ich für mich, weil ich unfähig gewesen war meinen kleinen Schatz zu beschützen und auch fühlte ich die Liebe, die ich nach wie vor für Raiden empfand. Sie würde niemals weniger werden, denn mein Sohn bedeutete die Welt für mich, selbst wenn er nicht mehr hier sein würde um diese zu erleuchten. Ein leises Knacksen hinter uns riss mich aus diesen Gedanken und zeigte mir auf, dass irgendjemand unsere Privatsphäre missachtete um die wir gebeten hatten und doch hatte ich keine Kraft diese Person zur Rechenschaft zu ziehen. «Das Rudel ist hier und sie sind bereit, wenn ihr es seid.», hörte ich Blake's gedämpfte Stimme zu mir durchdringen und gequält davon schloss ich die Augen. «Gib uns noch einen Moment, Blake.», murmelte Damien, der ebenso wie ich nicht bereit für das hier zu sein schien.

«Kein Moment dieser Welt würde ausreichen, um mich für das Kommende bereit zu machen.», stieß ich bitter hervor und visierte dabei meinen Mann mit einem ausdruckslosen Blick an, der auf dieselbe Weise erwidert wurde. Ich wusste das er sich unglaubliche Vorwürfe machte nicht früher bei uns gewesen zu sein und auch wenn es Schwachsinn war, so konnte ich ihm nicht helfen diese Vorwürfe zu überwinden. Ich gab Damien keinesfalls die Schuld an irgendetwas, immerhin war er bei dem Versuch unseren Sohn zu beschützen beinahe selbst gestorben, denn eine der Kugeln hatte nur knapp sein Herz verfehlt und ich hatte keine Ahnung was ich nun tun würde, wenn er ebenso wie unser Kleiner hier liegen würde. «Ich weiß, Prinzessin, mir geht es genauso.», murmelte er leise und legte dabei seine Arme leicht um mich, was mich von neuem meine Augen schließen ließ. Diese Berührung hatte etwas tröstendes an sich, auch wenn es nicht ausreichte um mir jenen Halt zu geben den ich brauchte, um nicht zur Gänze auseinander zu brechen.

Meine Augen wieder öffnend sah ich zurück auf Raiden's Körper, den man nur schemenhaft erkennen konnte, da er von einigen Leinentüchern bedeckt war und dieser Anblick ließ meinen Körper beben. «Er sollte nicht hier liegen, Damien, er sollte leben.», flüsterte ich erstickt, weil es eben so sein sollte. Wir sollten nicht hier stehen müssen um unser Kind zu beerdigen, denn das war gewiss nicht der Lauf des Lebens. Unser Sohn hatte noch sein ganzes Leben vor sich gehabt, denn er wäre in wenigen Wochen drei Jahre alt geworden und doch würde er diese Lebenspanne nun niemals erreichen. «Er hatte doch noch sein ganzes Leben vor sich und jetzt? Jetzt ist es vorbei, wo es doch gerade erst angefangen hat.», setzte ich bitter hinterher und entriss mich seiner leichten Umarmung, nur um die Leinentücher förmlich von seinem Kopf zu reißen, damit ich ein letztes Mal sein Gesicht sehen konnte. Er sah so unglaublich friedlich aus und wenn man es nicht wusste würde man meinen, dass er lediglich tief und fest schlief. Doch dem war nicht so und das Wissen darüber zerriss mich und zerfetzte mich von innen heraus.

Broken LunaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt