Mina legte deprimiert das Buch zur Seite. Allein das Lesen lernen hatte sie schon viel Konzentration gekostet, aber das Erlernen der Magiekontrolle war reinste Folter für sie. Avredon hatte ihr zwar versichert, sie sei für ihr Alter schon ungewöhnlich gut, aber sie war unzufrieden. Ihre Illusionen waren höchstens für einen normalen Menschen glaubwürdig. Doch das reichte ihr persönlich nicht. Denn sobald sie sich in einen Drachen verwandelte, erkannten ihr scharfen Augen sofort tausend Details die ihre Illusionen wie lächerliche Zeichnungen einer sechsjährigen aussehen ließen.
Sie stand auf. Wenn sie sich so festgefahren hatte, brauchte sie meistens eine Pause. Sie verließ die Höhle und trat ins Sonnenlicht.
Sie war sehr gewachsen und ihre kindlichen Züge, das runde Gesicht und die großen Augen, waren einem schmalen, edlen Gesicht gewichen. Sie hatte ihr dunkles Haar im Nacken gebunden und auch sonst war sie eher streng gekleidet. Ihr Kleid war schlicht und bodenlang, ihre Bewegungen wie die einer Katze. Sie griff in ihren Gedanken nach ihrer Verwandlungskraft. Dies war mittlerweile keine Anstrengung mehr für sie. Ihr Körper wuchs. Ihre Haare verwuchsen mit ihrem Rücken, das Kleid wurde zu einer Art zweiten Haut und wurde mit silbernen Schuppen bedeckt. Aus ihren Schultern sprossen Flügel und auf ihrer Stirn wuchsen drei große Hörner. Sie erhob sich mit wenigen Flügelschlägen in die Luft, kurz darauf schwebte sie in weitläufigen Kreisen über Inur-Entora.
Nur wenige Drachen blickten zu ihr herauf. Nicht weit entfernt sah sie auch zwei weitere Jungdrachen. Sie stieß zu ihnen herab. Rubeen und Karthek glichen einander wie ein Ei dem anderen. Beide waren gleichgroß und hellgrün. Eine schöne Farbe, für zwei kräftige junge Kämpfer wie sie.
„Wieso lernst du nicht?“, fragte Karthek mit gekünstelt vorwurfsvoller Stimme.
Mina stieß ihn spielerisch nach hinten. Es hatte wenig Wirkung, die Zwillinge waren um einiges größer als sie.
„Warum hörst du dir nicht die endlosen Reden über Krieg und Gerechtigkeit von Kartanan an?“
Sie schauderte bei dem Gedanken an Tukiyans unfreundlichen Vater.
„Das ist etwas anderes. Auf dir lastet die Verantwortung unseres Volkes.“, verteidigte er sich mit feierlicher Stimme.
Nun stieg auch Rubeen in das Spiel ein.
„Genau, du bist die Trägerin und es wird deine Aufgabe sein, unser Volk endlich wirklich mit den anderen Reichen zu vereinigen!“
Mina war erstaunt, wie fehlerfrei er dieses Zitat von Avredon wiedergab, sie hatte es ihm nur ein oder zwei mal vorgesagt.
„Meiner Meinung nach, kannst du auf die Magier verzichten.“, flüsterte er ihr verschwörerisch zu. Sie schnaubte auf, was eine kleine Rauchwolke zur Folge hatte.
Karthek wollte gerade wieder einsteigen, wahrscheinlich um ebenfalls ein Zitat los zulassen, als Avredon kräftige Stimme über den Berg halte. Mina zog demonstrativ den Kopf ein und erhob sich wieder in die Luft. Karthek kicherte leise.
Mina landete direkt vor der Höhle, bereit sich Avredons Tadel einzufangen. Doch dieser schaute sie nur streng an, drehte sich um und lief Richtung Königssaal. Verdutzt folgte sie ihm. Dort angekommen sah sie, dass einiger hoher Besuch dort drinnen wartete. Tekmea, die Trägerin der Feuerelfen aus Ku-Enefk und an ihrer Seite: Fero. Er zwinkert ihr zu, dann wandte er sich wieder mit ernstem Gesicht Meladon zu.
Tekmea wandte das Wort nun an Meladon.
„Der Grund, weswegen wir hier sind, Meladon ist, dass bald in Weyena das große Ratstreffen stattfindet. Bis jetzt weiß niemand von eurer Trägerin.“, sie blickte kurz zu Mina. „Und deswegen wird auch sie Teil der Verhandlungen sein.“ Meladon brummte. „Seit wann interessiert es sie, wann uns ein Träger geschickt wird?“
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Drachenmädchen
FantasyMina wuchs als Straßenkind in Septim auf, doch ihr ist höheres vorbestimmt. Und dann steht sie zwischen den Fronten, zwischen Freunden und Feinden, zwischen Drachen und Magiern, zwischen Bestimmung und Liebe... Ein Leben, eine Prophezeiung, tausend...