Die Flucht

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Die Flucht

Karthek war immer noch nicht zurückgekehrt. Ich stand vor meinem Höhleneingang und verabschiedete mich im Stillen von der Drachenstadt. Eigentlich mussten wir uns beeilen, damit die Drachen nicht misstrauisch wurden. Ich sah ein letztes Mal zu Avredons Höhle hinauf. Hinter mir in der Höhle hörte ich den gleichmäßigen Atem meiner Illusion. Sie war perfekt. Ich selbst war bereits verwandelt. Meine Uklenry-Gestalt hatte dunkelrotes Haar und eine blasse Haut, aber mit den passenden Elfenkleidern konnte ich auch problemlos als Feuerelfe durchgehen.

 Mein Blick glitt wieder auf den dunklen Himmel hinaus. Was hätte ich dafür gegeben, Karthek noch ein letztes Mal zu sehen. Doch er war nicht zurückgekehrt. Niemand hatte ihn seit unserem Streitgespräch gesehen. Er konnte überall sein und wenn er zurückkehrte würde er mich nicht mehr hier vorfinden. Sicherlich war es besser so. Man konnte keinen Abstand zueinander wahren, wenn man in einer kleinen Stadt mitten im Gebirge wohnte. Nicht einmal als Drache.

 Am Horizont wurde der Himmel bereits langsam heller, als atmete ich tief durch und setzte mich in Bewegung. Unterwegs begegnete ich einer Wache, aber sie nahm keine Notiz von mir. Alle wussten, dass heute eine größere Gruppe Feuerelfen gen Norden aufbrach. Es war ein ganz neues Gefühl, so völlig unbeachtete durch die Stadt laufen zu können.

 „Aamora?“ Ich drehte mich um. In einer der Seitengassen standen Fero und Ades. Ich spürte förmliche, wie die Blicke der wachhabenden Drachen auf die beiden gerichtet waren. Aamora war mein Tarnname. Die letzten paar Nächte in Tairasy hatte Ades mich ausschließlich mit diesem Namen angesprochen, damit ich mich nicht im entscheidenden Moment verriet. Ich lächelte. „Sind wir soweit?“ Er nickte. Fero sah nocheinmal zu den Drachen hinauf und beugte sich zu mir vor. „Sollten wir uns noch bei Mina verabschieden oder lassen wir es lieber sein?“

 „Lass sie schlafen“, empfahl ich ihm nach kurzer Überlegung. Er nickte. „In Ordnung, dann lass uns zum Rest der Gruppe gehen.“

 Diese wartete bereits auf dem Platz vor dem Tor zu Inanaill. Ich sog noch einmal all die Gassen und Höhlen, Gerüche und Geräusche in mich hinein. Wer weiß, wann ich sie wiedersehen würde, wenn ich sie überhaupt wiedersehen würde.

Mit großen, schwerbeladenen Karren verließen wir Inur-Entora durch das große Tor und betraten die Straße nach Inanaill. Nie zuvor waren mir die Felsen, die links und rechts von mir aufragten, so bedrohlich vorgekommen. Was, wenn unsere List schon jetzt aufflog? Was, wenn die Illusion verblasste oder einer der Drachen mich erkannte? Ja, Zweifel nagten an mir und dass sie hin und wieder schon mit der Stimme des Wächters in meinem Kopf herumgeisterten, machte die Sache nicht besser. Ades legte eine Hand auf meine Schulter und lächelte.

 Trotz meiner Befürchtungen erreichten wir Inanaill völlig planmäßig und ohne, dass irgendjemand Verdacht geschöpft hatte. Als wir gerade zum Nordtor hinausgehen wollten, zog sich mein Magen zu einem schmerzhaften Knoten zusammen. Dort stand Tuk neben seinem Vater. Beide beäugten mit misstrauischen Blicken die Ausreisenden. Wie ähnlich sie einander waren … vor drei Jahren hätte er anders dreingeschaut. Jetzt aber wirkte er streng und arrogant. Es war so unerträglich, dass ich die Augen abwandte und meinen Blick auf Feros Rücken heftete, bis wir die Feste verlassen hatten. Nun ging es querfeldein, aber frei war ich noch lange nicht. Wenn ich unentdeckt bleiben wollte, musste ich zwölf Tage Fußmarsch durchstehen. In diesen zwölf Tagen konnte alles mögliche passieren, aber ich versuchte meine Gedanken immer wieder davon abzulenken. Wir sprachen nur wenig in der Gruppe. Ich war mir nicht einmal sicher, ob alle Elfen wussten, wer ich war. Es war entsetzlich zu sehen, wie weit wir nach einem Tag anstrengender Wanderung erst gekommen waren. Die Weiten Areas hatte ich stets fliegend überquert, nie zu Fuß. Und mit einem schweren Karren, den wir abwechselnd hinter uns her zogen, kamen wir wirklich nur quälend langsam voran.

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