Wohin nun?

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Wohin nun?

Langsam gingen wir die Promenade entlang. Ich lehnte mich an Kartheks Seite, erpicht darauf, jeden Moment mit ihm zu genießen. Wer konnte schon wissen, wie viel Zeit uns noch blieb.

„Schon eine Idee, wie du den Kampf gegen diese Solana gewinnen willst?“, fragte er leise und sprach so eine meiner größten Sorgen aus.

Ich schüttelte den Kopf. „Ich bin im Tairasy ein ganz normales Wesen. Mir bleibt zwar die Zeit, aber allein damit kann ich sie nicht besiegen.“

„Kannst du mit dem Schwert kämpfen?“

Kopfschüttelnd senkte ich den Blick auf meine viel zu zierlichen und empfindlichen Hände. „Ich hatte früher schon oft Schwerter in der Hand, aber ich hätte ja auch nie wissen können, dass ich jemals kämpfen können müsste ...“

„Na gut … dann üben wir“, schlug er grinsend vor und ich lachte laut auf.

„Du hast doch noch viel weniger Erfahrung mit dem Schwert als ich, du verrückter Drache!“

„So schwer kann das ja nicht sein“, verteidigte er sich und schlang nebenbei seinen Arm um mich. „Die Grundlagen müssten überall gleich sein. Erwische den anderen, bevor er dich erwischt.“

Die Augen verdrehend, legte ich meinerseits einen Arm um ihn. „Bloß dass du als Mensch nicht riesig, schuppenbepanzert und geflügelt bist. Von dem Verzicht auf Drachenfeuer oder Krallen mal ganz abgesehen.“

„Sag ich doch, die Grundlagen sind gleich.“ Er zwinkerte.

„Wir werden ja noch sehen ...“

Lächelnd zog er mich auf einen der Bootsstege hinaus. „Aber mach dir bloß keine Sorgen. Immer wenn du das tust, mach ich mir auch Sorgen.“

„Ich werde es versuchen“, raunte ich seufzend und schaute mich um.

Die Schiffe schaukelten leicht auf den Wellen. Es gab Segelboote, Ruderboote und Schiffe ganz ohne Antriebsmöglichkeit, da sie von Halbwaleen auch gänzlich ohne Hilfsmittel gesteuert werden konnten. Die Holzbohlen des Stegs knirschten unter unseren Füßen und die Wellen schwappten immer wieder hoch und verteilten feine Wassertropfen über uns.

Am Ende des Stegs stand eine Frauengestalt in einem schlichten dunkelgrünem Kleid und mit langen, im Nacken gebundenen Haaren. Karthek hielt mich nervös am Arm zurück und runzelte die Stirn. „Ist das …?“

„Sovine ...“ Ich nickte. „Ich dachte sie wäre schon wieder in den Wilderlanden.“

Langsam traten wir näher, doch sie schien uns gar nicht wahrzunehmen, schien zu tief in Gedanken versunken zu sein. Ich tauschte einen unsicheren mit meinem Begleiter aus. Eigentlich wollte ich sie ansprechen, aber irgendwas an ihrem Auftreten hielt mich davon ab. Vielleicht die Art wie sie stand oder die Ruhe, die diese Frau normalerweise nicht umgab. Normalerweise war Sovine in Bewegung, nahezu liebenswürdig direkt und immer in Gesellschaft. Natürlich war es möglich, dass sie sich einfach im Anblick des Meeres verloren hatte. Ich selbst hatte mich heute schon mehr als einmal dabei ertappt, wie ich gebannt hinaus in das schier unendliche Blau geblickt hatte …

Ein plötzlicher Ausruf irgendwo auf den Straßen hinter uns nahm mir die Entscheidung ab. Wir fuhren beide vor Schreck zusammen und auch Sovine erwachte wieder aus ihrer Versunkenheit. Sie senkte den Blick, strich sich das Haar zurück und drehte sich dann auf dem Absatz herum.

Sie war ganz eindeutig nicht nur vom Anblick des Meeres gebannt gewesen. Sie sah nicht gut aus. Ganz und gar nicht. Ihre Gesichtszüge wirkten fahl, ihre Augen waren deutlich gerötet und ihre Wangen schimmerten feucht. „Mina ...“ Raue Stimme, ein einziges leise gesprochenes Wort.

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