Die Traumwanderer

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Meladon empfing mich in seiner Haupthöhle. Es sah so aus, als wollte er heute zur 'Versöhnung' ansetzen, doch dafür hatte ich weder Nerven noch Zeit. Das einzige, was ich jetzt machen wollte, war einschlafen oder mit Ades sprechen. Es war so unglaublich, sich an einen Traum zu erinnern. Urplötzlich war der Schlaf nicht mehr eine leere Zeitspanne zwischen Einschlafen und Erwachen. Auch wenn ich nicht wusste, wo ich gewesen war, war ich fasziniert von diesen neuen Erfahrungen.

„Mina? Mina, hörst du mir überhaupt zu?“ Meladon starrte mich fragend an. Ich zuckte zusammen und schaute auf. „Wie bitte?“ Wie konnte er von mir verlangen, dass ich ihm zuhörte? Ich hatte geträumt!

„Ich fragte gerade, womit du heute so deinen Tag verbracht hast“, erklärte Meladon freundlich. Ah, der Herr der Drachen wollte also wissen, was ich den ganzen Tag lang machte. Er hatte wohl Angst, dass ich mich mit Themen befasste, die ihm nicht passten.

Trotzdem Antworte ich ebenso freundlich. „Oh, nichts besonderes. Heute habe den Tag mit Fero und seinem Bruder verbracht. Kennt ihr Ades bereits, Meladon?“

„Oh ja. Den Jungen habe ich schon kennengelernt. Ein seltsamer Geselle, aber trotzdem ein sehr kluger Kopf, das muss man ihm lassen. Und sicherlich eine gefährliche Mischung.“ Er legte den Kopf schief und lachte dröhnend. „Und wenn man Tekmea glauben schenken darf, dann ist er ein rechter Sturrkopf.“

Ich erwiderte sein Lachen und wandte mich dem Mahl zu, das er vor uns ausgebreitet hatte. Fisch, verschiedene Wurzeln und Moose und die Rinde des Rejka-Baumes. Alles, was das Drachenherz begehrte. Aber auf langes Speisen hatte ich nun wirklich keine Lust. Ich wollte unbedingt wissen, was es mit meinem Traum auf sich hatte. Meladon beobachtete mich mit scharfem Blick. „Hast du heute keinen Hunger, Mina?“

Ich legte den Kopf schief. „Nein, Hunger habe ich nicht wirklich. Und außerdem bin ich irgendwie müde. Ich hatte mich bereits zur Ruhe gelegt, als euer Bote kam.“

„Ja, das hat er mir bereits berichtet. Ich hätte euch natürlich nicht holen lassen, wenn ich das gewusst hätte.“ Er kratzte sich mit der Pfote und senkte den Kopf. „Ich hoffe, du bist nicht all zu wütend, weil wir dich nicht aus der Stadt lassen wollen, aber glaub mir eins: Die Welt da draußen ist ihm Umbruch und in all den Jahren haben wir gelernt, dass man in solchen Situationen lieber den Kopf einziehen sollte.“

Diese Worte waren so feige, dass ich mich am liebsten angewidert weggedreht hätte, doch ich hielt seinem Blick stand. „Natürlich, Meladon. Das alles weiß ich. Aber ich befürchte, dass wir beide recht unterschiedliche Auffassungen von Ehre und Mut haben. Und nun entschuldigt mich.“ Ich erhob mich und verließ die Höhle. Hoffentlich hatte ich ihn nicht zu sehr vor den Kopf gestoßen. Schließlich wollte ich ja irgendwie hier raus kommen.

Doch diese Sorge war zweitrangig. Ich starrte kurz hinauf in den mittlerweile dunklen, von Sternen übersäten Himmel. Jetzt ging es nur noch um den Traum. 'Auf Widersehen' hatte der Fremde gesagt. Hoffentlich würde ich ihn wirklich wiedersehen.

Ich eilte zu meiner Höhle und rollte mich in meiner Schlafkuhle zusammen. Ich war so aufgeregt, dass ich gar nicht zur Ruhe kam. Ich wälzte mich hin und her, doch je mehr ich den Schlaf herbeisehnte, desto wacher lag ich da. Irgendwann hielt ich es nicht länger aus. Ich erhob mich und flog ein paar Meter über der Stadt ein paar Kreise. Ich sah, wie ich von alle Wachen beobachtete wurde, aber da ich keine Anstalten machte zu fliehen, blieben sie auf ihren Posten.

Irgendwann fühlte ich mich dann ruhig und müde genug und kehrte in meine Höhle zurück. Und tatsächlich wogte kurz darauf der Schlaf über mich hinweg und nahm mich mit in sein seltsame Reich.

Und wieder war es, als würde ich schweben. Ich riss die Augen auf und starrte in die Dunkelheit. Es hatte funktioniert, es hatte wirklich funktioniert. Ich befühlte mit meinen Händen meinen Körper. Wieder hatte ich meine Menschengestalt angenommen, auch wenn ich ganz sicher in meiner Drachengestalt eingeschlafen war. Und wieder war ich klein. Vielleicht sogar kleiner als bei meinem letzten Traum.

DrachenmädchenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt