Ein Plan

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Ein Plan

Den Rest des Tages verbrachte ich mit Tukiyan und Rubeen in den Gassen von Inur-Entora. Sie versuchten mich immer wieder auf mein Gespräch mit Karthek anzusprechen, aber ich konnte nicht darüber reden, erst recht nicht mit den beiden. Also gaben sie es irgendwann auf. Als ich an diesem Abend recht früh schlafen ging, überraschte das niemanden. Vielleicht dachten sie, dass mich das Gespräch mit Karthek aus der Bahn geworfen hatte, vielleicht waren sie auch einfach froh, dass ich überhaupt wieder mit ihnen gesprochen hatte. Ich aß mit den beiden bei Meladon zu Abend und verabschiedete mich dann, um in meine Höhle zu verschwinden. Dort rollte ich mich zusammen und starrte in den immer dunkler werdenden Himmel hinauf. Würde es sich lohnen, jetzt schon einzuschlafen? Ich wusste nicht, ob Ades schon zu Bett gegangen war. Wahrscheinlich war er es nicht. Andererseits konnte ich meine neuen Fähigkeiten in Tairasy erproben. Ich wusste nicht genau, wie, aber dabei konnte mir sowieso niemand anderes helfen. Irgendwann musste ich damit beginnen, warum nicht schon jetzt. Ich schloss die Augen und erwartete den Schlaf.

Diesmal wusste ich genau wo ich war. Ich hing in der Schwebe, wie schon tausende Male davor und starrte in die Dunkelheit. Es fiel mir auch schon viel leichter als zuvor, mich in der Dunkelheit nach unten zu bewegen. Es wurde heller und beim Übertreten der Grenze hörte der Schwebezustand auf und ich landete leichtfüßig in dieser Zwischenwelt. Musste ich auch diesmal wieder an Zweifel vorbei? Ich befürchtete es. Etwas widerwillig stellte ich mir einen Wächter vor und Zweifel erschien mit gelassenem Gesichtsausdruck vor mir.

Hallo Mina, wie geht es dir?“

 Ich schaute ihn fragend an. „Kann ich ins Tairasy?“

Oh, Mina, nicht so hastig. Hat sich denn dein letzter Ausflug auch gelohnt?“

 Ich nickte. „Mein Vater hat mir alles erzählt und Erinnerung hat mir meine Erinnerungen an die vergangenen Jahre zurückgegeben.“

 Zweifel zog die Brauen hoch. „Das er dir alles erzählt hat, bezweifle ich, dazu bräuchte er viele Nächte, aber nun gut … sagen wir, er hat dir alles relevante erzählt.“ Nun lächelte er wieder. „Aber warum willst du jetzt schon hinüber? Ades ist noch gar nicht da, er sitzt noch drüben in deiner Welt und hat sich noch nicht einmal annähernd zur Ruhe gelegt.“

Ich erwiderte sein Lächeln. „Woher auch immer du das weißt … Ich möchte meine Fähigkeiten ausprobieren, dazu bin ich gestern überhaupt nicht gekommen. Darf ich?“

 Der Wächter seufzte und das Lächeln verschwand von seinem Gesicht. „Dann geh, tu' was du nicht lassen kannst, ich werde dich nicht daran hindern.“ Er verblasste und seine Stimme wurde immer leiser. Das hatte ich also auch geschafft. Fehlte nur noch diese eine Grenze. Ich schaute hinunter in das gleißende Licht, auch wenn es in den Augen schmerzte und versuchte zu formulieren, was ich da unten wollte. Ich wollte dort Ades treffen und, was noch viel wichtiger war, ich wollte meine Fähigkeiten kennenlernen und verbessern, um mich gegen Solana behaupten zu können.

 Der Boden unter meinen Füßen verschwand und ich schwebte hinunter.

 Hier war alles noch so, wie ich es in Erinnerung hatte. Weiße, federnde Wolken und flackernde Flammen unter mir, bedrohliches, finsteres Wasser über mir. Ich sah mich um. Wie wollte ich anfangen? Zwei Dinge konnte ich laut meinem Vater kontrollieren. Räumliche Bewegungen und zeitliche Bewegungen. Das Räumliche hat ich bereits ausprobiert. Ich konnte hier unten ganz normal laufen. Ich wusste zwar nicht, wie man sich in dieser Ödnis orientieren sollte, aber irgendwie hatte Ades es geschafft. Dann blieb da noch die Sache mit der Zeit.Wie fühlt es sich an, die Zeit zu kontrollieren? Und wie sollte ich bemerken, ob sich etwas an der Zeit änderte, wenn hier sowieso alles gleich aussah und es kaum Bewegungen gab? Ich setzte mich im Schneidersitz in die Wolkenmasse und schloss die Augen. Wie – kann – man – Zeit – spüren? Während ich hier saß, verging Zeit, aber sie war nichts, was ich spürte. Ich versuchte mir vorzustellen, dass sie schneller verging. Was würde dann passieren?

DrachenmädchenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt