Der Neskevou

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Ich weiß, das letzte Kapitel war langweilig, aber so was musste mal eingeschoben werden ;)

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Karthek:

Ich blickte meinen Bruder fragend an und selbst seiner Menschengestalt konnte ich ansehen, dass er sehr besorgt war. Also erhob ich mich und trat zu ihm. Ich wusste, es hatte keinen Sinn Mina zum Bleiben zu bewegen. Sie würde nicht im Zimmer bleiben. Also folgte ich Rubeen schweigend durch den Gang, wohl wissend, dass Mina direkt hinter mir war.

Tukiyan stand an der Reling und schaute in das tosende Wasser. Auch die anderen Passagiere hatten sich dort versammelt. Ich sah Menschen, die Mina ähnlich sahen, also Feuermenschen und einige die aussahen wie ich und mein Bruder. Der Kapitän selbst stand dort und rief über das Tosen der Wellen den anderen Seemännern, alle samt Halbwaleen, Befehle zu. Einer von ihnen, ein Junge mit kurzem blondem Haar und dunklen Augen, stand direkt neben mir und fluchte. Ich fasste ihn am Arm: „Was ist los?“

„Ein Neskevou. Eine Wasserwesen, halb Wasserschlange halb Drache. Irgendwas hat ihn aus seinen Höhlen tief unter der Wasseroberfläche gelockt.“

Ich drehte mich um. Mina, die direkt hinter mir stand und alles mit angehört hatte, warf mir einen erschrockenen Blick zu. Der Junge war schon wieder weiter gelaufen.

„Ein Neskevou? Von solchen Wesen habe ich noch nie gehört.“, flüsterte Mina erschrocken. „Er spürt uns, oder zumindest mich.“

Tukiyan kam von der Reling aus auf uns zu gelaufen.

„Mina, was machst du hier?“

Mina nahm überhaupt keine Notiz von ihm und blickte gedankenverloren über das Wasser. Ich suchte am Horizont nach Ufern, doch wir hatten nach einem halben Tag Fahrt schon ein gutes Stück zurückgelegt und um uns herum war nur noch Wasser zu sehen.

Ein besonders heftiges Rucken durchlief das Schiff und Tukiyan wandte sich kurz um. Neben mir stellte sich Mina auf die Zehenspitzen und flüsterte mir ins Ohr: „Lenk' ihn kurz ab, nur ein paar Sekunden.“

„Mina ich kann wirklich nicht...“ - „Danke.“

Tukiyan wollte sich gerade wieder umdrehen. Ich fasste mir ein Herz und stolperte beim nächsten Rucken fest gegen ihn.

Mehr Zeit brauchte Mina nicht. „Verdammt!“, Tukiyan richtete sich fluchend auf. Mina rannte zur Reling.

„Mina, bleib hier verdammt. Mina tonea tor! Sitsha yein te keze liyetee!

Ein gewaltiges Rucken durchzuckte das Schiff und riss uns wieder von den Füßen, durch das spritzende Wasser sah ich Mina, eine kleine Gestalt, die Hände fest um das Geländer geschlossen umgeben von spritzendem, tosendem Wasser. Eine große Welle. Ich schrie ihren Namen, Wasser spritzte in meine Augen und in meinen elend kleinen Menschenmund, so dass meine viel zu leise Menschenstimme versagte. Ich blinzelte und sie war verschwunden. Wie vom Wasser verschluckt, was kein so abwegiger Gedanke war. Fassungslos starrte ich auf die Stelle, wo sie nur wenige Sekunden zuvor noch gestanden hatte.

Mina:

Ich klammerte mich an der kühlen Eisenstange fest. „Ich will mit dir reden, lass die Menschen in Ruhe! Morle hezigeja tor!“, ich schrie es mitten in die Wellen hinein.

Ein Rucken durchlief das Schiff und ich hörte erschrockene Schreie hinter mir. Das Geländer war zu rutschig. Die Wellen türmten sich über mir auf und ich konnte mich nicht länger halten. Das Wasser schloss sich um mich herum. Ich versuchte zu entkommen, als das nicht gelang versuchte ich nach meiner Waleengestalt zu greifen, doch ich konnte mich nicht verwandeln! Ich sank tiefer und tiefer. Gezogen von einer Macht, die meine Vorstellungen übertraf. Mir ging die Luft aus und das Tosen ließ nach. Ich warf einen Blick nach oben. Der Schatten eines Schiffes war zu sehen. Unseres Schiffes. Es lag ganz ruhig da, als wäre nichts gewesen. Ich schloss die Augen. Konnte ein Oldiin so sterben, konnte ich ertrinken? Wusste Eramon, der doch so viel über Oldiin herausgefunden hatte, eine Antwort darauf? Es wurde kälter und dunkler, bis ich gar nichts mehr spürte.

Karthek:

Schreie wurden über das Deck gebrüllt. „Das Biest hat ein Mädchen mitgenommen. Ein Mädchen ist da irgendwo im Wasser!“, aber ich spürte gar nichts mehr.

Mein schwacher Menschenkörper zitterte. Meine Kleider waren nass und der Wind zerrte kalt und unbarmherzig an meinen nassen Haaren. Tukiyan trat hinter mich. Sein hellrotes Haar lag nass über seinen Schultern und auch er blickte lange auf die Stelle, an der Mina verschwunden war. Einige Waleen waren aus dem Wasser an Bord geklettert und unterhielten sich in einer schnellen Lautsprache mit dem Kapitän und zwei weiteren Halbwaleen. Einer blickte mitleidig zu uns herüber.

Tukiyan griff mich energisch am Arm und zog mich hoch. Doch Rubeen musste mich gleich darauf um die Schultern packen, damit ich nicht sofort wieder zu Boden sank.

„Ist sie tot?“, flüsterte ich.

„Nein, das würden wir spüren. Ich habe allerdings keine Ahnung, was das Ding mit ihr tun wird.“

„Ist der Neskevou intelligent? Ich meine denkt er anders, als ein Tier? Schließlich ist er zur Hälfte Drache.“ - „Das hat nichts zu bedeuten.“, Tukiyan verstummte, als einer der Waleen in unsere Richtung kam. Er war groß, bestimmt drei oder vier Köpfe größer als Tukiyan und seine Haut war blassgrün. Langes, olivgrünes Haar lag offen über seinen Schultern und hier und da waren Bänder und Perlen in es hineingeflochten. Die Kiemen unter seinen dunklen, grauen Augen sahen seltsam aus. Einer der Halbwaleen hatte ihm einen Mantel aus dünnem, schwarzem Stoff gegeben, der nun seinen nackten Körper einhüllte. Als er zu sprechen begann, fielen mir sein breiter, lippenloser Mund und seine spitzen Zähne auf und seine tiefe, seltsame Stimme, aber den Sinn seiner Worte begriff ich erst einige Augenblicke später.

„Ist mit dem Jungen alles in Ordnung?“

Der Junge? Er meint mich. War mit mir alles in Ordnung?

Tukiyan hatte das Wort ergriffen, wie immer: „Ja, er... er ist nur etwas...“, seine Stimme stockte. „ ...geschockt.“ Seine Stimme schwankte, er wandte den Kopf zum Wasser.

Mir war egal, dass der Waleen dabei stand: „Spürst du jetzt etwas Tukiyan? Spürst du sie?“

Er schüttelte den Kopf. Der Waleen räusperte sich: „Ihr seid mit dem Mädchen gereist?“, Tukiyan nickte. „Ich muss wissen, wie sie heißt, wie ihr heißt und wie das Mädchen aussieht.“

„Können sie Mina zurück bringen?“

Der Waleen schwieg. Er schwieg lange. Dann begann er zögernd, als ob er jedes Wort noch einmal überdachte, bevor er es aussprach: „Sie wurde von einem Neskevou geholt. Diese Wesen leben in einem Unterwasser-Tal viele tausend Meter unter uns. Wir wissen weder welcher Neskevou sie geholt hat und es gibt mindestens 50 Stück hier im See, noch wissen wir warum er sie geholt hat. Ich habe noch nie von einem Neskevou gehört, der Menschen verschleppt.“, er fuhr sich mit der Hand durch das nasse Haar, zwischen seinen Fingern waren Schwimmhäute. „Bis heute. Außerdem kann das Mädchen unter Wasser nicht atmen. Die Neskevou haben ein seltsames Wesen, schließlich haben sie viel von Drachen. Ich weiß nicht ob wir das Mädchen finden werden. Das einzige was ihr tun könnt ist mir zu sagen, wie sie heißt und wie sie aussieht.“

Tukiyan nickte, für jeden Menschen wären das niederschmetternde Neuigkeiten gewesen und einige Menschen musterten uns auch mit mitleidigen Blicken, doch uns gaben die Worte des Waleen ein klein wenig Hoffnung.

„Mein Name ist Tukin Tortenjek und diese beiden sind Rubin und Kartho, meine Ziehsöhne. Auch das kleine Mädchen habe ich versorgt. Ihr Name ist Mina. Mina Lior, hieß sie früher. Sie ist klein, hat glattes, langes, schwarzes Haar, ein schmales Gesicht und mandelförmige braune Augen.“

Der Waleen nickte. Für ihn klangen die Namen wahrscheinlich exotisch, doch es waren einfach Wörter in Alael, der Drachensprache. Tortenjek hieß Drache und Lior Liebe.

Ich schüttelte den Arm meines Bruders ab und ging zu Reling. Ich blickte in die leicht schaukelnden Wellen und hörte dem Wellenrauschen zu. Nur für einen Moment war ich versucht, die schwache Menschenillusion abzuwerfen und als Drache in die Wellen zu springen, um nach Mina zu suchen, doch da spürte ich die Hand meines Bruders wieder auf meiner Schulter und wusste, dass sie irgendwie allein zurück finden musste.

DrachenmädchenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt