9 | »Jedes Kind braucht seinen Vater«

1.5K 144 58
                                    

Daddy Issues - The Neighbourhood

»Was macht du beruflich, Espe?«
Und schon waren die beiden Frauen in ein Gespräch vertieft.

Ja, unsere Mütter waren bereits beim Spitznamen.

Nachdem Ryder die Hälfte meines Innenlebens ausgekundschaftet hatte, hatten Mum und Esperanza das Essen serviert. Es gab viel. Sehr viel. Ich, als gebürtigte Vegetarierin, hatte viel Auswahl und aß jede Köstlickeit, die nichts mit Fleisch zu tun hatte.

»Probier doch mal das«, sagte Ryder plötzlich und zeigte auf die Schale mit den Arepas, die mit Hackfleisch gefüllt waren.

»Nein, danke. Ich esse kein Fleisch«, gab ich knapp zurück.
»Ach so, du bist eine Pflanzenfresserin.«

Ich verdrehte die Augen.
So konnte man es auch nennen.

»Ja.«

Das hätte ich lieber nicht sagen sollen, denn Ryder biss betont langsam in seine Arepa und schaute mich währenddessen unverwandt an. Seine Augen funkelten belustigt, wohingegen ich die Augen verdrehte.

Der Kerl war unmöglich.

Erst jetzt realisierte ich, dass alle still waren. Mum und Esperanza – gelegentlich auch Tia – hatten das gesamte Gespräch am Tisch geführt, wobei ich erfuhr, dass Esperanza Lateinamerikanerin war, da sie aus Monteria kam, einer großen Stadt in Venezuela.

Ich seufzte auf. Da meine Mutter mich bereits mit Blicken aufforderte, etwas beizutragen, fragte ich, wie jeder höfliche Nachbar das getan hätte, weshalb sie hierher gezogen waren.

Ich wusste nicht, warum, aber plötzlich breitete sich Stille aus. Ich merkte die plötzlich eintretende Stille, doch Zac, der neben mir saß, war zu sehr darauf konzentriert sich so viel Fleisch wie möglich in sich hineinzuschaufeln.
Sofort bereute ich es überhaupt etwas gesagt zu haben.

Ich schaute zu Mum, die wiederum zu Esperanza schaute. Esperanza nestelte an ihrer Serviette herum und wich unseren Blick aus. Ich schaute zu Tia, die zögerlich weiter aß und in ihr Essen herumstocherte, um vermutlich unseren Blicken auszuweichen. Ryder hatte sein Handy gezückt und schrieb etwas.
Und Mr. Hill?

Der entschuldigte sich, weil er auf Toilette musste.
Was war bloß los hier?

*

»Endlich«, seufzte ich und warf mich auf mein Bett.

Als Zac und ich angekündigt hatten, dass wir rübergehen würden, hatte meine Mutter mich mit einem resignierenden Blick bedacht, den ich nicht verstand. Ich meinte, sie hatte doch nicht etwa Angst, dass ich und Zac miteinander schlafen würden?

Bei dem Gedanken erschauderte ich.
Zac war mein bester Freund.
Mehr auch nicht.
Ich würde ihn nie küssen – geschweige denn mit ihm schlafen.

Der Besagte schlüpfte aus seinen Schuhen, zog sich T-Shirt und Hose aus, sodass er nur in Boxershorts vor mir stand und ich somit für einen kurzen Augenblick seine dünne Figur erhaschen konnte.
Ich stutzte. Hatte er etwa abgenommen? Zac war bereits schon immer sehr dünn gewesen, aber nun wirkte er noch schmächtiger. Bevor ich ihn darauf ansprechen konnte, warf er sich eilig auf mein Bett, vergrub sein Gesicht in meine Bettdecke und gab ein erschöpftes Stöhnen von sich.

Niemals, Mum. Zac ist und bleibt mein bester Freund.

Dafür war er mir zu vertraut – ich kannte ihn einfach zu lange.

Vielleicht hatte meine Mutter uns auch so resigniert angeschaut, weil wir früher gegangen waren.
Sorry Mum, aber länger hätte ich es da nicht ausgehalten.

Ich An Deiner Seite  Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt