55 | Endlich Klartext

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Oceans - Seafret

Epilepsie (lateinisch: Epilepsia) auch Fallsucht oder zerebrales Krampfleiden genannt, ein Krankheitsbild mit mindestens einem spontan aufgetretenen Krampfanfall, der nicht durch eine vorausgehende erkennbare Ursache (beispielsweise eine akute Entzündung, einen Stromschlag oder eine Vergiftung) hervorgerufen wurde.

So stand es jedenfalls im Internet. Wie gebannt starrte ich auf mein Laptop-Display, bis meine Augen anfingen zu tränen. Ich konnte immer noch nicht glauben, was Esperanza mir vorhin gesagt hatte. Ich klappte mein Laptop zu, stellte ihn weg und schloss meine Augen, damit ich die letzten Stunden Revue passieren lassen konnte:

»Ryder ist krank«, hatte Esparanza mir gesagt.

Zuerst erstarrte mein ganzer Körper für einen kurzen Moment, um im nächsten Moment auf Hochtouren zu funktionieren. Meine Gedanken überschlugen sich, ich erinnerte mich an jeden merkwürdigen Zwischenfall, der je passiert war. Jetzt ergab es einen Sinn. Ich hatte gewusst, dass etwas mit Ryder nicht stimmte. Ich hatte gewusst, dass er mir etwas Großes verheimlichte, aber ich hatte immer gehofft, dass er es mir selbst sagen würde.

»Seine Epilepsie fing bereits mit vier Jahren an. Zuerst hatte er sich beschwert, dass seine rechte Gesichtshälfte sich eigenartig anfühlen würde, sobald er schlafen wollte. Zuerst dachte ich, dass er sich anstellte, schließlich war Ryder als Kind – und das ist er immer noch – eine Dramaqueen.«

Ihr Blick war fest auf einen Punkt hinter mir gerichtet.

»Schließlich entschieden wir uns zum Arzt zu gehen, als seine Beschwerden immer schlimmer wurden. Zuerst war der Arzt hilflos, weshalb wir zu anderen Ärzten gegangen sind, die uns immer wieder zu anderen überwiesen. Du weißt nicht, wie zermürbend es sein kann, wenn dein kleiner Sohn jeden Abend anfängt zu weinen, weil er weiß, dass etwas nicht stimmt, aber trotzdem nicht weiß, was es ist. Uns als Eltern machte es natürlich jeden Tag glücklich, wenn wir sahen, dass er tagsüber noch Spaß daran hatte, mit seinen Sandkastenfreunden zu spielen. Doch irgendwann passierte es. Eines nachmittags, nachdem ich ihm von der Schule abgeholt hatte, sah ich wie sein Körper plötzlich anfing heftig zu zittern. Als sei–« Esperanza hielt inne und schaute nach unten. Ihre Schultern fingen an zu beben und ich wusste, dass sie weinte. Lautlos stand ich auf und umarmte sie. Ich fühlte mich nicht unwohl oder desgleichen, weil ich sie nicht besonders lange kannte, denn es zerbrach mir das Herz, Ryders Mutter weinen zu sehen. Mit stiegen ebenfalls Tränen auf, die ich allerdings sofort wegblinzelte, weil es Esperanza definitiv nicht helfen würde. Und das wollte ich.

Helfen.

Ich hatte ihr ein Taschentuch gegeben, das ich aus meiner hinteren Hosentasche zückte. Sie schnäuzte sich geräuschvoll die Nase und entschuldige sich leise deswegen. Ich lächelte nur traurig.

»Schließlich erfuhren wir später, dass Ryder Epilepsie hatte. Er litt unter der Rolando-Epilepsie.«

»Er litt?«, hakte ich nach.

Wenn er nicht mehr darunter litt, woran dann?

Esperanza räusperte sich, bevor sie anfing zu sprechen.

»Ryders Epilepsie ließ sechs Jahre später nach, bis die nächtlichen Anfälle ganz verschwanden. Der Arzt hatte uns erzählt, dass die Krankheit sich zurückentwickeln könnte. Ich hatte gehofft, dass es passieren würde, aber ich sah wie er jede Nacht darunter litt, weswegen ich jeden Tag mehr daran zweifelte. Zara, ich bin ehrlich zu dir, ich weiß nicht genau, was heute passiert ist. Könntest du mir trotzdem etwas versprechen?«
Ich schluckte, weil sich meine Kehle plötzlich trocken anfühlte. Weil ich meiner Stimme nicht zutraute, dass sie sich stabil genug anhörte, da Ryders Geschichte mich mitnahm, nickte ich bloß.

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