1 | Schöne Orte

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the broken hearts club - gnash

Ich lief bereits seit einer Weile mit meiner Kamera herum und suchte nach einer besonderen Stelle. Ich will damit nicht meinen, dass es hier in Portland keine schönen Orte gab. Nur waren sie für mich ohne Bedeutung. Ich fotografierte am liebsten Menschen. Große, kleine, dicke, dünne, Brünetten, Blondinen – alles Mögliche eben. Die Umgebung war natürlich auch wichtig für mich, aber nicht so, wie es für manch andere Fotografen war.

Schlussendlich gab ich es für heute auf und ging zurück nach Hause. Nun ja, ich wollte. Doch, als ich an meinem Lieblingscafé vorbeifuhr, beschloss ich dort einen kleinen Abstecher zu machen. Ich schloss mein Fahhrad an und ging – mit meiner Kamera natürlich – hinein.

»Ha, Zara, da bist du wieder! Du warst lange nicht mehr hier!«, begrüßte mich Giovanni, sobald er mich erblickte.

»Sorry, hatte ziemlich viel um die Ohren. Du weißt schon Schule und allerlei ... «, sagte ich ausweichend.

Er nickte und lächelte mich strahlend an –kaufte es mir ab.

Doch der wahre Grund, weshalb ich seit langer Zeit nicht mehr hier war, war mein Vater. Genau hier, an irgendeinem x-beliebigen Tisch hatte er meiner Mutter gestanden, dass er eine Affäre mit seiner Bürokollegin hatte. Vor gerade einmal zwei Wochen.

Die Ereignisse der letzten Woche schüttelte ich vehement ab und ich bestellte mir das Übliche – nämlich einen Chai Latte.

*

»Wo warst du?«, fragte mich meine Mutter, sobald ich die Haustür schloss.

»Fotografieren«, antwortete ich knapp und wich ihrem stechenden Blick aus.

Ich schlüpfte aus meinen schwarzen Doctor Martens und wollte schon in mein Zimmer flüchten, als sie sagte:

»Findest du es nicht auf Dauer langweilig ständig in eine Linse hineinzuschauen?«, fragte sie mich genervt.

Meine Mutter war seit der Beichte meines Vaters zu einer häufig genervten Frau geworden. Zum Teil lag es auch an der Scheidung, die sie bald einreichen würde.
Ich flüchtete in mein Zimmer ohne eine Antwort, knallte die Tür zu, und ließ mich langsam hinuntergleiten. Plötzlich machte sich die Erschöpfung der letzten schlaflosen Nächte bemerkbar.

Ich wollte alles vergessen, aber es ging nicht. Mein Vater war in diesem Moment wahrscheinlich im Bett seiner neuen Geliebten und vergnügte sich mit ihr.
Der Gedanke ließ mich erschaudern.

Urgh.

Ein leises Klopfen unterbrach meine unschönen Gedanken.

»Hast du schon darüber nachgedacht, Zara?«, hörte ich die Stimme meine Mutter dumpf durch meine Zimmertür.

Meine Mutter versuchte die Tür zu öffnen, doch es funktionierte nicht, da ich mich dahinter befand. Ich verdrehte die Augen. Wie oft hatte ich ihr das schon gesagt?
Ich. Wollte. Es. Nicht.

»Ich ziehe nicht um«, sagte ich ruhig und bestimmt.

»Aber –«

»Nein.«

Meine Mutter dachte, es wäre besser für uns umzuziehen, doch das war es nicht. An erster Stelle dachte sie nur an sich selbst. Das taten alle Erwachsene.
Offenbar ließ meine Mutter die Sache so stehen, denn ich hörte ihre Schritte, die sich leise entfernten und kurz darauf erklang das leise Scheppern von Geschirr. Sie räumt e vermutlich den Geschirrspüler aus.
Erleichtert Ich schloss die Augen und ließ meinen Gedanken freien Lauf.
Heute war ich noch leicht davon gekommen.

*

Ich riss die Augen auf, da der schrille Ton meines Weckers ertönte. Warum zur Hölle lag ich auf dem Boden? Dann fiel es mir ein. Ich war gestern nicht mehr von der Stelle gewichen und war dann eingeschlafen.

»Steh auf, Zara!«, rief Mum durchs ganze Haus.

Ich brummte zur Antwort. Als ich mich aufrichtete, stöhnte ich auf. Mein Nacken fühlte sich steif an, mein Hintern tat weh, und meine Beine hatten sich in der Nacht scheinbar in Steine verwandelt – so schwer fühlten sie sich an. Was für ein toller Start in die neue Schulwoche!

*

»Madame, du siehst scheiße aus!«, begrüßte mich mein Kumpel Zachariah, den so gut wie jeder Zac nannte, vor der Lincoln High School, auf die wir gingen.
Zwielichtige Gestalten, damit meinte ich den einzigen Jahrgang über uns, befanden sich ebenfalls vor dem Schulgebäude und machten krumme Dinge.

Eigentlich hatte ich nichts gegen den 12. Jahrgang, allerdings war es mehr als üblich, dass dieser Jahrgang die meisten kriminellen Tätigkeiten aufzuweisen hatte.

Fragt mich bitte nicht warum.

Zurück zum jetzigen Geschehen:
Zac hatte leider die dumme
Angewohnheit laut zu sprechen, sodass die meisten Leute in unserer Umgebung sich umdrehten und nach der Quelle Ausschau hielten. Sie sahen dann das, was ich jedes Mal sah:
Einen hageren jungen Typen mit verstrubbelten blonden Haaren, irritierenden violetten Augen, die von den gefärbten Kontaktlinsen kamen, extrem langen Beinen und mit schmuddeligen, schwarzen Nike Air Max.

So war es leider auch heute. Eine Gruppe von Jungs schauten zu uns rüber. Wobei mir auffiel, dass fast alle von der kleinen Clique hatten schwarze Kleidung an.

Black is my happy color.

»Danke, Zac«, flüsterte ich ihm zu, um nicht noch mehr Schüler auf uns aufmerksam zu machen. Ich schlug in seine ausgestreckte Hand ein und dann gingen wir ein wenig unmotiviert in den Kurs von Mrs. Hilfiger.

»Hast du schon von den Neuen gehört?«, fragte mich Zac, während wir unsere Bücher aus den Spinden holten.
Ich zuckte mit den Schultern.

»Nein«, antwortete ich gedehnt.

Wie denn auch? Ich war zuletzt vor einer Woche in der Schule gewesen wegen unseres Familiendramas.

»Es sind Zwillinge. Mädchen und Junge.« Wow. Woher wusste er das denn? Nun ja, es sollte mich eigentlich nicht mehr überraschen. Zac war die Informationsquelle.

»Wie heißen sie?«, fragte ich, um Interesse zu heucheln. Die Neuen interessierten mich nicht. Aber Zac war in seinem Element, deswegen wollte ich ihn nicht unterbrechen.

»Weiß ich nicht. Jedenfalls sind sie 18.« Ich runzelte die Stirn. Zac hatte meinen Gesichtsausdruck gesehen, denn er sagte:

»Verstehe ich auch nicht. Wenn sie noch zwei Monate gewartet hätten, hätten sie ihren Abschluss in der Tasche. So kurz vor dem Abschluss die Schule zu wechseln ist schon komisch. Dafür kann es eigentlich nur einen Grund geben«, Zac schaute mich geheimnisvoll an, »Drama«, flüsterte er.

»Genau«, pflichtete ich ihm bei. Beinahe gleichzeitig schlossen wir unsere Spinde, was Zac ein Lächeln entlockte.

»Ohh, die Neuen werde ich mir ganz besonders lange anschauen. Vielleicht gibt es paar Vögelchen, die mir etwas Interessantes zuflüstern können.«
Während Zac seinen Plan schmiedete, schaute er kaum nach vorne, sondern schaute eher zu mir, sodass es so kam, wie es kommen musste:
Er rannte in einen Schüler hinein.
Ich fluchte leise. Der Schüler sah gar nicht erfreut aus. Und er war nicht allein.
Wo waren plötzlich die anderen Schüler?

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