6 | Todessehnsucht

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Angel with a Shotgun – The Cab

»Weißt du, manchmal habe ich das Gefühl, dass du Todessehnsucht hast«, wisperte er. Da die Sonne vor einigen Minuten untergegangen war, setzte allmählich die Dunkelheit ein und die Menschen, die zuvor noch in der Innenstadt gewesen waren, machten sich auf den Nachhauseweg. Zu ihren Gunsten, aber nicht zu meinen, da ich mit einem mutmaßlichen Badboy in einer Seitengasse festsaß.

»Weißt du, manchmal habe ich das Gefühl, dass du meine Nähe suchst«, platzte es aus mir heraus.

Hatte ich das gerade wirklich gesagt? Was redete ich da für einen Mist !?

Ryder stieß ein heiseres Lachen aus. Machte einen Schritt auf mich zu. Noch einen.
Und noch einen.

Ich blieb jedoch standhaft und rührte mich nicht von der Stelle. Bald standen wir angesicht zu angesicht. Braun traf auf grünblau. Minuten verstrichen, doch wir ließen nicht voneinander los. Es war schließlich Ryder, der schnaubte, zur Seite schaute und sich wieder mit einem schiefen Lächeln zu mir drehte.

»Weißt du, unter anderen Umständen würde ich dich sogar mögen.«

Autsch. Das tat zugegebenermaßen weh. Niemand mochte es zu hören zu bekommen, dass man nicht gemocht wird.
Aber mich hätte die Aussage nicht treffen dürfen.

Ich mochte Ryder doch selbst nicht mal!

»Unter anderen Umständen würde ich dich immer noch hassen«, schoss ich – nach paar Minuten der Verzögerung – zurück.

Ryder schüttelte selbsicher den Kopf und sagte:

»Du hasst mich nicht . Du denkst, du tust es. Möchtest es sogar. Doch es gelingt dir nicht.«

Mit diesen Worten drehte er sich um und verschwand in der Dämmerung.

*

Die nächsten Tage waren die Hölle. Da es genau zwei Monate vor den Sommerferien waren, hatten die Lehrer untereinander offenbar beschlossen uns mit Arbeiten, Tests und Präsentationen zu killen. Und das gleichzeitig.
Zac und ich hatten keine Zeit mehr uns zu treffen. Ich musste pauken, pauken und nochmal pauken und er ebenfalls. Bandana-Boy – ach ja, er hatte inzwischen einen Namen: Ryder – ließ sich zwischen den ganzen Wirbel nicht blicken, was gut war.
Doch das Beste war, dass meine Mutter mich nicht mehr damit nervte, umzuziehen. In mir keimte langsam die Hoffnung auf, dass sie es endlich aufgegeben hatte.

»Hey, hast du Lust zu mir zu kommen?«, fragte mich Zac am Telefon.

Ich hatte die erste Woche des Killer-Programms bestanden und sollte eigentlich für die zweite Runde lernen, allerdings war ich zu faul, weswegen ich in meinem gemütlichen Bett lag und mit Zac telefonierte. Träge schaute ich aus dem Fenster. Vor ungefähr einer halben Stunde war die Sonne untergangen und meine Mutter war vorzeitig aufgebrochen, da es einen Notfall im Krankenhaus gab.

»Nein, Zac.«

»Warum nicht?«, fragte er, »hast du Angst vor der Dunkelheit, oder was?«, er stieß ein heiseres Lachen aus.

Zac sollte es eigentlich wissen. Kurz darauf verstummte er umd sagte betroffen:
»O, sorry, Zara. Hab ich vergessen«, hörte ich seine zerknirschte Stimme aus dem Telefon.

Ich verdrehte die Augen. Typisch Zac. Er vergaß einiges.
Vor einem Jahr hatten Zac und ich die Phase gehabt, sämtliche Horrorfilme zu schauen, die es in der Videothek gab. Zac hatten die Filme nichts ausgemacht, während ich zitternd neben ihn gesessen hatte, und mir die Augen zugehalten hatte.

»Ach komm schon, Zara. Es ist Samstag. Mir ist langweilig. Dir ist langweilig. Also kannst du zu mir kommen.«

»Warum kommst du denn nicht zu mir?«, konterte ich.

Ich wusste es bereits. Zac war einfach zu faul. Das war unser Problem. Ich war ebenfalls faul. Irgendjemand von uns beiden musste seinen Hintern aus dem Bett schwingen können, und einige Minuten später auf der Matte des anderen stehen. Ich definitiv nicht – also blieb nur Zac übrig.

»Es gab Kuchen zum Mittagessen. Und wir haben noch welchen übrig!«, versuchte er mich  damit anzulocken.

»Kuchen?«, fragte ich.

»Kuchen.«

Spätestens da hatte er mich.
Keine fünf Minuten später stand ich vor ihm und grinste ihn breit an.

»Hey, ic–«, begrüßte er mich.

»Spar es dir. Ich bin nur wegen Anns Kuchen gekommen.«

Hatte ich vergessen zu erwähnen, dass Ann hervorragend Backen konnte?

Zac lachte. »Der war gut.«

»Das war kein Witz.«

Er schaute mich perplex an und ich lächelte frech.

»Gut, dann weiß ich nun, weshalb du mit mir befreundet bist«, erwiderte er gespielt getroffen.

»Genau. Wegen Anns Kuchen«, fügte ich hinzu.

Er lächelte micht verschmitzt an und hielt mir galant die Tür zur Küche auf. Doch Zac wäre nicht Zac, wenn er sie mir kurz bevor ich die Türschwelle betreten konnte vor der Nase zuknallte. Wortwörtlich.

»Au!«, schrie ich und hielt mir die Nase.

»Musste«– lautes Lachen von Zac – »sein.« Noch lauteres Lachen.

Ich schüttelte den Kopf.

»Du bist sadistisch veranlagt«, warf ich ihm vor.

»Ich bin nicht sadistisch veranlagt!«, widersprach er vehement.

»Doch bist du«, bekräftigte ich und erdolchte ihn mit meinen Augen.

Er seufzte und beließ es dabei.

»Alles okay?«, fragte Ann, die ihren Kopf in die Küche steckte

»Ja, alles okay. Könnte ich vielleicht ein Kühlkissen haben?«

»Jaaa«, antwortete sie gedehnt, schaute ihren Sohn misstrauisch an, weil sie ahnte, dass er hinter der Sache steckte, und machte sich am Kühlschrank zu schaffen.

Zac versuchte sein Grinsen zu unterdrücken.
Was für eine Sorte Freund hatte ich denn?

»Mistkerl«, flüsterte ich Zac zu.

»Übernachtest du bei uns?«, fragte Ann, während sie mir das Kühlkissen überreichte.

»Ja, glaube schon. Mum weiß aber nichts davon. Sie ist im Krankenhaus, weil es einen Notfall gab.«

Ann nickte.

»Dann schreibe ich ihr mal gleich eine Nachricht.«

Dieses Mal war ich diejenige, die nickte.

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