NEUNUNDDREIßIG

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Zwei Wochen nach der Beerdigung flogen wir zurück nach Hause. Es war komisch in eine leere Wohnung zurück zu kehren. Niemand war da der mit hätte beistehen können, niemand war da, um mich zu unterstützen, mir zuzuhören, mit mir zu streiten oder einfach nur mit mir zu schweigen. Ich fühlte mich noch einsamer als bisher. So kann das für mich nicht weitergehen. Jeder Quadratmeter des Stockwerks, birgt Erinnerungen, die ich nicht verkraften kann. Jede Ecke, erinnert mich an ihn und sogar sein Duft, ist noch immer hier in der Wohnung. Sein Testament wurde bekanntgegeben. Seinen Besitz teilte Emir in zwei gleiche Teile. Einen Teil bekam Elvin, den anderen Teil bekam Bajazit. Er hatte alles fair aufgeteilt und doch war es nicht fair, dass er uns alleine gelassen hat und von uns gegangen ist. Ich setzte mich auf seine Seite des Bettes und strich über sein Kissen. Ich habe ihn einfach so alleine hier schlafen lassen. Hätte er von Anfang an mit offenen Karten gespielt, wäre ich eine bessere Ehefrau gewesen. Ich weiß, dass diese Worte unnütz sind und dass jeder sie sagt, aber ich bin doch kein Unmensch. Natürlich wäre es möglich gewesen, dass er von jetzt auf gleich umkippt und tot ist, auch ohne krank zu sein, aber die Tatsache, dass er krank war und dass ich anfangs so scheiße zu ihm war, machen es auch nicht besser.

Seit dem Tag, an dem ich gesehen habe, wie sie ihn in den Sarg legen, kann ich keine Träne mehr vergießen. In meiner Brust schmerzt es, aber meine Augen können diesen Schmerz nicht zeigen. Ich habe den Schmerz tief in meinem Inneren verankert, sodass sie nicht nach außen hin wiedergespiegelt werden können. Seufzend stand ich auf und lief mit Bajazit im Arm runter zu meinen Schwiegereltern. Sie schwiegen sich an, die Atmosphäre war betrübt, doch ich wollte ihnen mein Vorhaben verkünden. Wenn ich es nicht jetzt tun würde, dann wäre ich wohlmöglich nie dazu gekommen. Ich setzte den Kleinen auf seine Spieldecke ab und anschließend mich aufs Sofa. „Babo znam da sada mozda nije tacno vrijeme o tome da se prica, ali vam to moram reci. (Papa, ich weiß, dass jetzt vielleicht nicht der richtige Zeitpunkt ist, um mit dem Thema anzufangen, aber ich muss es euch sagen.)", fing ich an und meine Schwiegereltern sahen mich aufmerksam an. „Ich halte es hier nicht mehr aus, alles erinner mich an ihn. Es schmerzt und ich komme einfach nicht dagegen an. Emirs ableben hat uns alle mitgenommen und ich weiß, dass es wie Flüchten aussieht, aber ich komme dagegen nicht an. Ich habe beschlossen, nachdem wir das Gebet (Tehvid) für ihn organisiert haben und nachdem das abgeschlossen worden ist, dass ich zu meinen Großeltern fliege. Ich brauche Abstand und muss auf andere Gedanken kommen, deswegen denke ich, dass ein vorläufiges Leben in Montenegro nicht schlecht sein könnte. Bajazit würde Emirs Heimatland kennenlernen, er wäre der Presse nicht schutzlos ausgesetzt und könnte ein ruhiges Leben führen. Elena würde ich mitnehmen, sie soll mit mir kommen, sie brauch diese Abwechslung auch und somit können sich Elvin und Bajazit auch näher kommen und gemeinsam aufwachsen.", sie sahen mich zunächst schweigend an, bis mein Schwiegervater sich dazu äußerte. „Mein Kind, wenn du diese Auszeit und diesen Abstand brauchst bin ich damit einverstanden. Ich möchte aber ab und zu auch meine Enkelkinder besuchen kommen und sie sehen. Ich verstehe, dass es für dich nicht leicht ist. Naja für uns alle ist es nicht leicht, aber für dich als seine Ehefrau dürfte es noch schwieriger sein. Er war dein Lebenspartner, er war so jung und ihr hattet euer ganzes Leben noch vor euch und jetzt, jetzt ist er tot, hat dich und seine Söhne alleine gelassen und dass in so jungen Jahren. Wenn du Abstand brauchst und so wieder glücklich werden kannst, dann geh mit Elena nach Montenegro. Emir würde wollen, dass du glücklich wirst und wer weiß vielleicht irgendwann auch einen anderen Mann findest, der dich glücklich macht und Bajazit ein Vater sein kann. Aber bitte warte damit noch, du weiß wie die Presse ist, wie unsere Leute sind.", ich sah meinen Schwiegervater verständnisvoll an. „Ich kann jetzt an keinen anderen Mann denken. Wenn die Zeit gekommen ist, dann vielleicht aber in nähere Zukunft bezweifle ich das.", und meine Worte waren kein Stück gelogen. Ich denke zwar sehr Oft an Mahir, aber Mahir ist ein verheirateter Mann, Mahir ist Vater und hat seine kleine Familie und auch wenn ich noch so oft an ihn denke, kann ich Emir und unsere gemeinsame Zeit nicht vergessen. „Soll ich das für dich organisieren, oder machst du das?", fragte mich mein Schwiegervater. „Ich mach das, ich werde mit Opa sprechen und ihm mein Vorhaben erklären, er soll ein Haus kaufen, ich schicke ihm das Geld und lasse es auch einrichten, bevor wir das sind, sodass wir sofort einziehen können.", entgegnete ich und er nickte. Ich schnappte mir mein Telefon und reif zuerst Elena an.

Kampf zwischen Herz und VerstandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt