ZEHN

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„Was hat es mir der zwei auf sich?", fragte mich Mahir nun seid jeder unserer Begegnungen. „Wieso interessiert dich das? Es war einfach nur ein Kuss wie du meintest. Für mich ja nichts Besonderes.", er fragte nicht einmal weiter und schwieg. „Zunge verschluckt?", ich lachte. „Ich finde deine Aussagen gar nicht Lustig. Wann wirst du erkennen, dass ich es ernst meine?", er war ernst. „Wann soll ich das denn erkennen?", wollte ich von ihm wissen. „Du hättest es am Fluss schon erkennen müssen.", entgegnete er. „Mahir ist das dein Ernst?", er nickte. „Wie soll ich das erkennen?", er schaute kurz rüber zu mir, doch blickte wieder nach vorne zur Straße. Ich bin nun schon zwei Monate hier. Und seit knapp einem Monat treffen Mahir und ich uns alle zwei Tage. Wir sind sehr gute Freunde geworden. Doch trotz unserer Freundschaft herrsch eine gewisse Distanz zwischen uns beiden, die sowohl ich als auch er bemerkten. „Lass über etwas anderes reden Aida.", ich schwieg und schaute auf die Straße. Wieso möchte er das jetzt nicht mit mir ausdiskutieren? Wieso reden wir jetzt nicht darüber? Off, ich könnte kotzen. „Aida.", rief er mich. „Hm?", entgegnete ich. „Gibt mir deine Hand.", mit meinem Blick zur Straße gerichtet, legte ich meine Hand in seine. Ich lehnte mich an seine Schulter und verfolgte die Straße, die er gerade fuhr. Meistens trafen wir uns abends, wenn Amna und ich spazieren gingen. Doch am Wochenende, wenn er frei hat und nicht Taxifahren muss, dann fuhren wir immer zusammen in die Stadt. Ich sage meiner Familie dann, dass ich zu einer guten Freundin gehe und treffe mich dann mit Mahir. Wenn ich bei ihm bin, fühle ich mich vollkommen. Wenn er bei mir ist, dann kann ich so sein, wie ich bin. Er schafft es mich zum Lachen zu bringen und er schafft es auch mich aufzuregen. Ich kann einfach nicht beschreiben wie gut er mit tut, wie gut mir seine Anwesenheit tut. Meine Ängste hatten sich bestätigt, ich wurde schwach, doch es störte mich nicht. Es störte mich keineswegs, denn bei ihm konnte ich meine Schwächen ausleben und fürchtete mich nicht davor.

Als wir in der Stadt waren, stiegen wir aus und gingen erst einmal spazieren. „So kommen wir zurück zur zwei.", fing Mahir erneut an. Ich lachte und blieb stehen. Er drehte sich zu mir und schaute mich an. „Sag es mir, seit dem Abend kann ich es einfach nicht vergessen. Du küsst mich so mir nichts dir nichts, sagst zwei, kicherst, drehst dich um und rennst dann weg.", ich schaute ihm in die Augen und wusste nicht, wie ich handeln soll. Was soll ich ihm sagen? Verdient er jetzt die Wahrheit oder nicht? „Du wirst es eh nicht verstehen. Wahrscheinlich auch gar nicht glauben. Die Medien haben dich einfach blind gemacht, genauso wie den Rest der Menschen, die mein Leben interessiert.", entgegnete ich. „Was soll das jetzt Aida? Wieso sprichst du so in Rätseln. Ich weiß nicht, was du meinst. Erklär es mir, ich weiß nicht mehr wohin mit meinen Gedanken", er schien verzweifelt zu sein. „Komm lass uns einen Ort suchen, ich erzähl dir alles.", er nickte, nahm meine Hand in seine und wir suchten uns einen Ruhigen Ort, wo wir uns hinsetzten und uns erst einmal ein Eis bestellten. „Mahir, ich weiß nicht wo ich anfangen soll.", fing ich an. „Erzähl doch endlich, das was deine Augen mir versuchen, seid unserer ersten Begegnung zu sagen.", ich verlor mich in seinen Augen. Sprachen meine Augen denn so für sich? Ist es denn so offensichtlich, dass ich eine Vergangenheit habe, die eigentlich niemand wissen sollte?

„Seit Babo so berühmt ist, kümmert er sich nicht wirklich viel um uns. Meistens ist er auch am Wochenende weg und wenn wir ihn mal sehen, dann ist er für wenige Stunden da und anschließend widmet er sich wieder seiner Arbeit. Mama, Amar und ich haben uns drei. Als Mama sich immer mehr mit Babo der Arbeit widmete, hatte ich immer noch Amar, doch auch als Amar sich verliebte und seine Verlobte an seiner Seite hatte, blieb ich alleine. Ich versuchte diese Einsamkeit mit Partys und Alkohol zu kompensieren. Das was mir fehlte, vergaß ich durch das Feiern und trinken. Um meine Eltern zu provozieren, drängte ich mich durch bestimmte Handlungen in den Vordergrund, indem ich ein gefundenes Fressen für die Medien war. Jedes Wochenende war ich in den Nachrichten, jedes Wochenende tat ich so, als würde ich mit einem neuen Jungen die Clubs verlassen. Manchmal waren es einfach nur Jungs, die berühmt werden wollten, manchmal  waren es auch meine Cousins, die aus dem Ausland kamen. Ich mutierte zu einem Biest. Sogar den Titel der verwöhntesten Diva bekam ich verliehen. Ich wurde auch von meinen Eltern verwöhnt, alles was ich wollte bekam ich. Privatschulen wurden mir finanziert, Bedienstete, die nur für mich da waren, wurden mir zu Verfügung gestellt. All das ließ ich auch die Außenwelt wissen, doch diese ganzen Vorfälle schienen meine Eltern nicht zu interessieren, deswegen suchte ich mir Menschen, die leicht zu durchschauen waren. Freundinnen, die so schienen als seien sie welche, doch hinter meinem Rücken, das, der Presse erzählten, was ich ihnen vorlog. Und somit verbreiteten sich die Gerüchte und mein Vater wurde aufmerksam. So kam es dazu, dass ich hier gelandet bin. Eigentlich hat diese Geschichte nicht viel mit der Antwort zu tun die du hören möchtest, doch die Jungs, die zusammen mit ihr in den Nachrichten erschienen sind, waren nur Mittel zum Zweck. Sie verließen sehr wohl den Club mit mir und betraten auch dasselbe Taxi, doch kaum fuhren wir los, erklärte ich ihnen, dass das das Ende des Spiels war und unsere Wege trennten sich. Der Kuss im Saal, hat mich nicht kalt gelassen Mahir, der Kuss im Saal, war mein erster Kuss.", er richtete sich etwas auf und schaute auf seine Hände. „Es tut...", ich unterbrach ihn. „Nein, wage es ja nicht dich zu entschuldigen Mahir. Du hast dich von Vorurteilen blenden lassen, darüber sehe ich hinweg, aber bitte entschuldige dich nicht. Jeder hätte so gehandelt wie du, jeder hätte gedacht, dass ich leichte Beute bin, dass ich zu allem bereit bin, dass ich ein Mädchen ohne Scham und Moral bin.", er nahm meine Hand in seine. „Du hast recht, die Vorurteile haben etwas in mir geweckt, worauf ich nicht stolz war. Aber du hast mir erlaubt dich kennenzulernen, du hast mir erlaubt die echte Aida kennenzulernen. Ich denke nicht mehr so und auch diese Erklärung hättest du mir nicht geben müssen. Hätte ich geahnt, was diese zwei bedeuten kann, hätte ich dich nie nach einer Erklärung gefragt, bitte glaube mir.", ich entzog meine Hand. „Ich glaube dir Mahir, wirklich.", er nickte und aß sein Eis weiter. Nachdem wir das Eis gegessen hatten, fuhren wir zurück nach Hause, weil ich mich nicht gut fühlte. Auf einmal trug ich eine enorme Trauer in meinem Herzen und konnte Mahir nicht an meiner Seite ertragen. Ich musste nach Hause und er verstand es. „Danke.", entgegnete ich, stieg aus und betrat das Haus. „Wer hat dich denn hergebracht?", fragte mich Oma. „Ich habe diesen einen Jungen aus dem Laden, wie war nochmal sein Name, Mahir glaube ich, in der Stadt getroffen, als ich zurück wollte und da meinte er, dass er mich mitnimmt, da er sowieso nach Hause fährt.", log ich meine Oma an. Sie lächelte mich an: „Er ist so ein wohlerzogener und lieber Junge. Siehst du, wie sehr er uns respektiert, damit du nicht alleine nach Hause musst, fährt er dich, weil er uns kennt. Er ist wirklich ein guter Junge.", ich nickte nur und begab mich aufs Zimmer. Völlig verzweifelt, ließ ich mich auf meine Knie fallen und fing an zu weinen. Ich weinte wie ein kleines Baby. Ich kann mich wirklich nicht daran erinnern, wann ich das letzte Mal so geweint hatte. Meine Fassade fing zu bröckeln an, meine Gefühle wurden geweckt, mein Herz aus Eis schmolz und fing an zu brennen. Ich wusste nicht, wie mir geschieht. Ich wollte das alles nicht, doch steuern konnte ich dies nicht, denn es überkam mich einfach. Amna öffnete die Tür und trat ins Zimmer. „Na wie war es?", fragte sie mich und kniete sich zu mir, als sie merkte, dass ich weine, veränderte sich ihre Miene und sie nahm mich in den Arm. „Aida, was ist passiert? Was hat er gemacht?", wollte sie wissen. Sie forderte mich auf ihr in die Augen zu sehen. „Nichts, nichts ist passiert. Er hat es geschafft meine Fassade zusammenfallen zu lassen. Er weiß alles Amna, er weiß es.", ich fing noch heftiger an zu weinen und erneut drückte sie mich an sich ran. „Komm steh auf, steh auf.", sie zog mich rauf und führte mich auf mein Bett. Dort setzten wir uns drauf und sie versuchte mich zu beruhigen. Mein starkes Weinen, dimmte sich und wurde zu einem Schluchzen. „Es ist doch gut, dass er es weiß.", sagte Amna. „Er hat mein kaltes Herz schmelzen lassen und das Feuer darin entfacht. Amna, was ist nur mit mir geschehen?", sie lächelte mich an. „Die Liebe mein Schatz, die Liebe macht alles möglich.", ich verstand ihre Worte nicht. Ich verstand die komplette Welt nicht mehr. Wie ist es möglich, dass ich mich verliebe? Wie ist es möglich, dass Aida sich verliebt? Dies kann doch keine Liebe sein, dies ist doch unmöglich. So schnell und dann noch in Mahir? Amna stand kurz auf und kramte in meinen Sachen rum, sie hielt mir einen Pyjama und Unterwäsche hin und forderte mich auf eine heiße Dusche zu nehmen. Sie begleitete mich noch zum Bad und meinte, dass ich den Rest wohl alleine schaffen würde. Gedankenverloren nickte ich und betrat das Bad. Ich entledigte mich meiner Anziehsachen, stieg in die Wanne, drehte den Wasserhahn auf und ließ das heiße Wasser auf meinen Körper prasseln. Ich starrte die ganze Zeit einen Punkt an. Zwei Monate, zwei Monate und ich erkenne mich nicht wieder. Wie ist sowas möglich, was ist nur aus dem verwöhnten Mädchen geschehen?

Nachdem ich mit dem Duschen fertig war, trocknete ich mich ab, cremte mich ein, zog mich an und begab mich ins Zimmer zurück. Ich setzte mich auf den Boden und Amna flechtete mir meine langen Haare und föhnte anschließend die Zöpfe. Emotionslos schaute ich sie an. „Komm leg dich hin, du solltest schlafen gehen.", sie half mir auf. „Ich kann nicht schlafen. Wo ist mein Telefon, ich muss Albulena anrufen.", ich suchte mein Handy. Als ich es fand, nahm ich es zu mir und sah, dass sie mir schon geschrieben hatte.

„Aidaaa."

„Albulenaaaa."

„Was hast du Aida?"

„Woher?"

„Deine Stimme."

„Er weiß alles."

„Deine Geschichte?"

„Ja."

„Und was ist mit der Vorhersage?"

„Nein, davon weiß er nichts. Von der Vorhersage erzähle ich ihm auch nicht, dass muss er nicht wissen, denn daran glaube ich nicht."

„Tamam."

„Albulena, ich..."

„Du hast dich in ihn verliebt."

„Ja. Meine Fassade hat er zum Bröckeln gebracht. Wie ist sowas nur möglich? Wie? Bisher hat niemand das geschafft."

„Du hast geweint ne?"

„Ja."

„Er ist der richtige Aida. Solange du so fühlst, solltest du dich darauf einlassen."

„Aber was ist, wenn er das nicht dasselbe für mich empfindet?"

„Versuch es doch."

Erneut fing ich an zu weinen.

„Beruhige dich Aida. Hör auf zu weinen. Dein Herz verträgt das nicht."

„Mein Herz verträgt so vieles nicht."

„Lass es, hör auf, du weiß, welche Konsequenzen das hat."

„Ich weiß, ich nehme die Tabletten doch."

„Sehr gut. Ich muss auflegen, Mama braucht mich. Bis bald mein Schatz"

„Bis bald."

Ich legte auf und schmiss mein Handy neben mich. Ich schloss meine Augen und atmete tief ein uns aus. Meine Hände zitterten, mein Herz raste. Mein Blutdruck spielte verrückt. Sie hat recht, ich muss mich beruhigen. Ich muss es für mich tun, für uns. Amna setzte sich neben mich und nahm meine Hand in ihre. Sie reichte mir meine Tablette und ein Glas Wasser: „Sie hat recht, du musst an dich denken. Mahir ist kein schlechter Junge, rede mit ihm, erkläre es ihm, dann sehen wir weiter. Albulena hat sehr großen Einfluss auf dich, ich bin froh, dass du in dieser Verlogenen Welt so ein Mädchen wie sie an deiner Seite hast." „Ich bin auch sehr froh diesen Engel an meiner Seite zu haben.", entgegnete ich. „Aida, aber was meintest du vorhin mit Vorhersage?"


Meinungen?

Viel Spaß beim Lesen :D

Kampf zwischen Herz und VerstandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt