Kapitel 2

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"Hey Mom!", schrie Melanie, rannte auf unsere Mom zu und umarmte sie.
"Hallo mein Schatz. Wie geht es dir?", antwortete Mom fröhlich.
Sie umarmte sie zurück. Dann löste sich Melanie von ihr und drehte sich um.
"Das ist Samuel. Sammy, das ist meine Mom.", stellte sie die beiden einander vor, ohne mich zu beachten. Ich drehte mich um, um Samuel zu sehen und war keinerlei überrascht. Er passte genau in Melanies Beuteschema. Braune Haare, braune Augen, groß und gutaussehend. Er trug eine braune Stoffhose und ein weißes T-Shirt. Um seinen Hals war ein weißer Ralph Lauren Pulli geknotet. Er sah aus wie einer dieser Einzelkinder reicher Geschäftsleute. Er ging höflich auf meine Mom zu und schüttelte ihre Hand. Beim Vorbeigehen lächelte er mich schüchtern an.
„Und das ist meine Schwester.", sagte Melanie in ihrem arroganten Ton. Sie packte seinen Arm und drehte sich um in Richtung Esszimmer. Er winkte mir noch schnell zu und sagte: "Hi. Ich bin Sam. Schön, dich kennenzulernen." "Ana. Freut mich auch.", antwortete ich schüchtern. Ich wusste nicht, ob er nur höflich sein und sich einschleimen wollte oder ob er es ernsthaft meinte. Wahrscheinlich das Erste. Die beiden verschwanden im Esszimmer, Mom lief hinterher und ich blieb verwurzelt im Flur stehen.

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"Mel, reichst du mir die Kartoffeln?", fragte mein Dad.
"Selbstverständlich.", sagte sie mit einem gekünzelten Lächeln.
Wir saßen mittlerweile schon seit einer knappen Stunde beim Essen und natürlich drehte sich wieder alles nur um Melanie und ihr Studium. Sam hatte nicht viel geredet. Er hatte einige Fragen meiner Eltern beantwortet und auch einige zurückgestellt. Er schien sehr schüchtern zu sein. Sam hatte erzählt, dass er einen älteren Bruder hat. Sam war 21, wie meine Schwester und studierte Medizin. In seiner Freizeit spielte er Fußball und das sogar auch noch im Team seiner Universität. Er schien der perfekte Kandidat für meine Eltern. Melanie hatte immer solche perfekten Kerle. Es klappte aber nie und sie trennten sich nach kurzer Zeit von ihr. Wie das sein konnte? Naja, mit Mel hielt man es nicht lange aus, aber obwohl sie so nervig war, konnte man netter Schluss machen. Sie wurde immer wirklich mies abserviert und heulte dann wochenlang bis sie einen Neuen kennenlernte.

"Entschuldigt mich, ich muss mal auf's Klo.", sagte ich.
"Anabelle! Das heißt, 'auf die Toilette'. Und außerdem sagt man das nicht. Es reicht, wenn du dich nur entschuldigst!", schnauzte Mom mich an.
Ich verdrehte nur die Augen und ging. Ich hörte sie sich bei Sam entschuldigen und sagen, ich hätte keine Manieren. Es war wirklich anstrengend, in so einer Familie zu leben. Warum sollte ich nicht erwähnen, dass ich auf die Toilette muss? Es ist ein natürliches Bedürfnis zu pinkeln. Ich ging ins Bad und schaute in den Spiegel. Ich hatte leichte Augenringe und einen hässlichen Pickel auf der Stirn, den ich vorher versucht hatte, so gut wie möglich abzudecken. Ich musste nicht auf die Toilette, ich brauchte nur eine kleine Verschnaufpause. Ich schloss die Augen und atmete mehrere Male tief ein und aus. Dann checkte ich mein Handy und ließ Alice wissen, wie es bisher lief. Bevor ich wieder ins Esszimmer ging, sprühte ich mir etwas Deo unter die Achseln. Es war so anstrengend mit meiner Familie, dass ich die ganze Zeit über unglaublich schwitzte.

Ich setzte mich wieder an den Tisch, wobei mein Kleid aus Versehen etwas hochrutschte. Sam schaute auf mein Tattoo. Es war ein Ausschnitt eines Waldes und bedeckte meinen halben, rechten Oberschenkel. Man konnte etwas Gras und einige Bäume sehen. Im Hintergrund war ein kleines Rehkitz und der Wald war erleuchtet von einem Vollmond und vielen Sternen. Es war wunderschön und eine eigene Idee von mir. Ich liebte die Natur und fühlte mich ihr sehr verbunden, also wollte ich ein Teil von ihr immer bei mir haben.

„Dein Tattoo ist wirklich cool!", sagte Sam mit Begeisterung.
Meinte er das ernst?
„Danke.", antwortete ich verlegen. „Kann ich es mir mal genauer anschauen?", ich war verunsichert und sah, wie Melanie ihre Augen verdrehte. Das war Grund genug, um ihm es zu zeigen. Ich wollte sie ein bisschen verärgern, also schob ich meinen Stuhl zurück und zeigte Sam mein Tattoo. „Darf ich?", fragte er schüchtern. Ich nickte und genehmigte ihm, mein Kleid etwas weiter hochzuschieben, um das Tattoo vollkommen zu sehen. Er musterte es genau und fuhr eine Linie mit seinem Zeigefinger entlang. Als er mich berührte, bekam ich eine Gänsehaut.
„Es ist wirklich wunderschön, wo hast du es machen lassen?" Er schien wirklich interessiert zu sein. "In Ravewood beim Tätowierer neben der Spielhalle."
„Ist nicht wahr! Da hab ich meins auch machen lassen!", sagte er begeistert. Ich war genauso begeistert. Dass er ein Tattoo hat, hätte ich nicht erwartet.

„Du hast ein Tattoo? Kann ich es mal sehen?", fragte ich. Keine Ahnung, was mich gerade ritt.
„Anabelle!", fauchte Mel mich an. Ich schaute sie verwirrt an. Meine Eltern starrten Sam und mich geschockt an. Was hatten sie denn? Er hatte sich nur mein Tattoo angeschaut! Sam lachte. "Ich glaube, das ist keine gute Idee. Ich habe es auf den Rippen, es wäre unangebracht, mich hier auszuziehen." Ich fing an, rot zu werden. Ich konnte ja nicht ahnen, dass es an der Stelle war.
„Oh. Entschuldigung, das wusste ich nicht.", sagte ich verlegen.
„Nicht schlimm, ich kann es dir ja ein anderes Mal zeigen.", flüsterte er, sodass nur ich es hören konnte.
„Samuel will es sich entfernen lassen. Es war ein dummer Fehler aus der Vergangenheit. Nicht wahr, Schatz?", sagte Melanie.
Er nickte und lächelte meine Eltern an. Es war kein echtes Lächeln, sondern ein trauriges. Ich hatte das Gefühl, dass er es nicht unbedingt als Fehler ansah, aber was wusste ich schon.

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Nach dem Essen ging Dad mit Sam nach draußen, um das typische „Männergespräch" zu führen. Währenddessen halfen Mel und ich Mom, die Teller und das Geschirr wegzuräumen.
"Lass die Finger von Sam!", fauchte Mel mich an, als Mom nicht da war.
"Was?", entgegnete ich entsetzt. 
"Du weißt ganz genau was!", fauchte sie erneut.
"Ich habe nichts getan!"
"Ach nein?", schrie sie mich an, "Er hat dein verdammtes Tattoo angefasst und dir über's Bein gestrichen! Was ist das überhaupt für ein dummes Tattoo? Es sieht total bescheuert aus und du bist erst 17! Du bist viel zu jung dafür. Wann hast du es dir machen lassen? Damit will dich doch gar kein Kerl haben!"
Wow, Mom hatte ihr nichts von dem Tattoo erzählt ? Das wunderte mich.
"Das ist mir egal! Ich muss mir selbst gefallen. Ich bilde mein Selbstbewusstsein nicht darauf auf, dass ich jemanden habe, der mir sagt, dass er mich hübsch findet! Ich bin nicht wie du, Melanie."
Sie verpasste mir eine Ohrfeige. Dass ich geschockt war, ist eine Untertreibung. Wie konnte sie es wagen? Erst besaß sie die Frechheit, mir zu unterstellen, ich würde mich an ihren Freund ranmachen, den ich vor gerade einmal zwei Stunden kennengelernt hatte und nun verpasste sie mir auch noch eine Ohrfeige?
"Melanie!", rief mein Vater entsetzt. Sie schaute mit weit aufgerissenen Augen zur Tür, in der Dad und Sam standen und alles mit angesehen hatten.
"Sie hat gesagt, ich sei fett und hätte Sam nicht verdient!", log sie und fing an, zu weinen. Wow, sie hatte wirklich einen Oscar für ihre schauspielerische Leistung verdient. Ich konnte gewiss nicht auf Anhieb weinen.
"Das stimmt gar nicht!", wehrte ich mich.
"Ana, wieso sagst du so etwas?", mischte sich Mom ein, die mittlerweile auch wieder da war und einiges aus dem Nebenzimmer gehört hatte. Natürlich glaubte sie Melanie.
"Mom, es stimmt nicht!"
"Lass dich nicht beeinflussen, Liebling", sagte Mom und nahm Mel in den Arm, die noch immer lautstark schluchzte.
Ich sah Mom entsetzt an und stürmte aus der Küche. Ich war so wütend. Wie konnte sie wieder Melanie glauben. Jeder Blinde hätte gesehen, dass Melanies Weinen gespielt war. Nichts von alledem war echt. Ich ging die Treppen hoch in mein Zimmer und knallte die Tür hinter mir zu. Ich rief Alice an und erzählte ihr, was gerade vorgefallen war. Sie war die einzige, die mich jetzt beruhigen konnte.

Love Triangle-Verliebt in den Freund meiner SchwesterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt