Kapitel 42

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Nach dem Essen erklärten Nils und ich uns bereit, den Tisch abzuräumen.
Als wir fertig waren, holte er noch sein Handy aus meinem Zimmer und zog dann seine Schuhe an. Es war schon etwas spät und er musste nach Hause gehen.
Wir alberten noch ein wenig und umarmten uns zum Abschied. Ich wartete auf der Veranda bis er aus der Einfahrt fuhr und dann Richtung Süden verschwand und winkte ihm hinterher.

Als ich mich umdrehte stand Sam vor mir. Ich schreckte auf und hielt mir die Hand auf die Brust.
"Du hast mich aber erschreckt! Warum sagst du nichts?"
Er zuckte nur mit den Schultern und musterte mein Gesicht.
Ich schaute ihn verlegen an und versuchte, so viel Augenkontakt wie möglich zu vermeiden. Er schwieg nur und stand da. Er sah mal wieder wie ein Gott aus. Haare leicht nach hinten gegelt, enges Oberteil an, in dem seine ganzen Bauchmuskeln zum Vorschein kommen, strahlend schöne Augen. Ich wollte nicht so denken, aber ich konnte nicht anders.
Ich räusperte mich: "Ich werd' dann mal hochgehen."

Ich ging an ihm vorbei und gerade als ich ihn passiert hatte, packte er mich am Arm. Er drehte mich zu sich, griff mit seiner anderen Hand mein Haar und küsste mich.
Es überraschte mich total, aber ich schmolz sofort dahin und küsste zurück. Ich konnte ihm nicht widerstehen. Er war wie eine Droge, die mich magisch anzog und von der ich nicht loskommen konnte.
Ich schlang meine Arme um ihn und drückte meinen Körper an seinen.
Nach einigen Minuten ließen wir schweratmend voneinander los.

Sofort bereute ich, was gerade geschah.
Ich hielt meine Hand vor meinen Mund und schaute ihn mit weit aufgerissenen Augen an.
"Sam, wir können das nicht tun. Bitte. Wir müssen aufhören. Du bist mit Melanie zusammen. Sie ist meine Schwester."
"Aber ich will dich."
"Du willst was?"
Ich war erstarrt. Was hatte er eben gesagt? Er wollte mich? Die kleine, dumme, kindische Ana? Nicht die wunderschöne, intelligente, reife Melanie?
"Ich- ich muss immerzu an dich denken. Du bist der letzte Gedanke, bevor ich schlafen gehe und der erste, wenn ich aufwache. Ich will dich. Nur dich. Und niemanden sonst."
"Aber du bist mit Melanie zusammen."
"Na und? Dann mache ich eben mit ihr Schluss. Ich habe es sogar schon geplant. Ich muss nur den richtigen Zeitpunkt abwarten."
"Und wie stellst du dir das vor? Danach sind wir beide dann zusammen? Wie sollen wir das meinen Eltern beibringen? Oder Melanie? Meinst du ich kann eine Beziehung mit dir vor meiner Familie verheimlichen?!"
"Wir werden schon einen Weg finden? Sie müssen es akzeptieren?"

Er machte einen Schritt auf mich zu und wollte meinen Arm packen, aber ich zog ihn weg.
"Nein, Sam. So geht das nicht. Ich habe schon genug Stress und Ärger mit Melanie und meiner Mom. Melanie hat sowieso schon eine Ahnung, dass ich dich mag und wenn sie rausfindet, dass du mit ihr Schluss machst, damit ich mit dir zusammen sein kann, wird sie mich umbringen. Und meine Mom wird stockwütend und mein Dad total enttäuscht von mir sein. Das können wir nicht tun. Wir müssen uns zurückhalten. Ihretwillen."
"Ist das dein Ernst?"
Ich nickte und ging.

"Ist es wegen ihm?!"
Sam folgte mir in den Flur. Er packte mich am Arm und drehte mich um.
"Hm? Sag schon! Willst du mit ihm zusammen sein? Wechselst du so schnell die Typen?"
"Wen meinst du?"
"Du weißt schon ganz genau, wen ich meine! Dieser Typ, den du gerade umarmt und so liebevoll verabschiedet hast."
"Du meinst Nils?"
"Genau! Nils! Ist es deswegen? Stehst du auf ihn?"
Er drückte so fest zu, dass er schon praktisch meinen Arm zerquetschte. Seine Augen waren weit aufgerissen und er sah sehr wütend aus. So hatte ich ihn noch nie gesehen und ich hätte nie damit gerechnet, ihn eines Tages in so einer Verfassung zu sehen. Das war nicht er. Das war jemand anderes. Jemand Gruseliges. Jemand, der mir Angst machte. Sam machte mir in diesem Moment Angst.

"Lass mich los."
Er drückte noch fester zu. "Antworte mir!"
Ich zuckte zusammen als er schrie.
"Du tust mir weh.", flüsterte ich als sich langsam Tränen in meinen Augen bildeten.
Ich begann, mich zu drehen und zu wenden, um meinen Arm von ihm loszureißen, aber er war zu stark. Nichts half.
"Antworte mir.", sagte er nun in einem leisen, aber bedrohlichen Ton.
Er machte mir nun wirklich Angst.
Was war los mit ihm?
Er hatte kein Recht, mich so zu behandeln. Wir waren kein Paar. Er konnte nicht eifersüchtig sein und von mir verlangen, dass ich nur mit ihm abhänge. Das könnte er nicht einmal, wenn wir ein Paar wären, aber so erst recht nicht.
"Nils ist nur ein Freund und wir verbringen so viel Zeit miteinander, weil wir ein Bioreferat zusammen gemacht haben und dann haben wir festgestellt, dass wir uns sehr ähnlich sind und gerne Zeit miteinander verbringen. Und jetzt lass mich gehen."
"Nur ein Freund. Schon klar." Er ließ mich los und schaute mich mit einem verachtenden Blick an. Von oben bis unten.
"Und ich dachte, du wärst anders als deine Schwester. Ich dachte, du empfindest etwas für mich. Ich dachte, du lässt dich auf mich ein, aber da habe ich mich wohl getäuscht."
Er rückte immer näher mit seinem Gesicht zu mir bis er nur wenige Millimeter von meinem Gesicht entfernt war.

"Was ist denn hier los?", sagte eine Stimme von links. Wir drehten uns beide um und sahen meiner Mutter ins Gesicht. Sie schaute von Sam zu mir und wieder zu Sam. Dann schaute sie auf meinen Arm, den ich mit meiner Hand festhielt. Sie sah etwas verwundert und leicht erschrocken aus, aber vermutlich hat sie nichts von alledem gehört. Ich hoffte es zumindest.
"Nichts. Ich wollte gerade gehen."
Damit machte ich auf dem Absatz kehrt und lief die Treppen hoch zu meinem Zimmer.

Love Triangle-Verliebt in den Freund meiner SchwesterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt