Kapitel 44

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"Du hast es noch immer drauf Tante Lucy!", sagte ich lachend als sie mir Vanillepudding auf die Nase schmierte.
Wir waren einkaufen gegangen nachdem sie fertig ausgepackt hatte. Mom und Dad waren bei einem Date und Tante Lucy wollte für uns kochen. Melanie war nicht begeistert und verkroch sich mit Sam in ihrem Zimmer, aber ich half meiner Tante. Es machte immer riesigen Spaß mit ihr zu kochen.
Das witzige an Tante Lucy war, dass sie nicht wirklich kochen konnte und es immer auf gut Glück versuchte.
Es war zwar kein Fünf-Sterne-Essen, aber es war in Ordnung. Es war etwas Essbares, von dem man satt wurde.
Aber ihren Vanillepudding konnte keiner übertrumpfen. Es war zwar eine Fertigmischung, der man nur Milch unterrührten musste, aber bei keinem schmeckte er so gut wie bei ihr.

"Und wie läuft es so bei dir? Wir haben schon so lange nicht mehr miteinander geredet."
"Ja. Das letzte Mal war, glaube ich, an Ostern."
"Mhm." Wir lachten beide los.
"Oh man. Das ist ja schon so lange her!"
"Du willst dir ja kein Handy besorgen."
"Ich brauche kein Handy. Dann werde ich hinterher noch genauso abhängig wie ihr Teenies. Als ich in deinem Alter war, gab es keine Handys und das war auch gut so. Man hat mehr kommuniziert als heutzutage. Ich bin in der Schule und sehe alle meine Schüler am Handy. Sie sind praktisch süchtig danach. Ihre Augen kleben an den Bildschirmen. Das ist nicht gesund."
"Ach Tante Luce, ich weiß, ich weiß. Diese Generation wird noch eine elektronische Katastrophe erleben.", wiederholte ich die Worte, die sie schon seit Jahren zu mir sagte.
Sie lachte und schüttelte ihren Kopf.
"Ich weiß, du hälst mich für eine alte Schachtel, aber ich bin überzeugt davon, dass die Menschheit ohne Handys besser dran ist."
"Ich halte dich gar nicht für eine alte Schachtel. Du bist gerade einmal 40 Jahre alt."
"42.", sagte sie seufzend.
Ich drückte sie. "Mir ist egal, wie alt du bist. Du bist und bleibst meine junge, frische, peppe Tante."
"Pepp? Benutzt man dieses Wort noch heutzutage? Und ich dachte, ich wäre out."
"Hey!", rief ich und schlug ihr spielerisch auf den Arm.
Sie lachte nur und wedelte mit der Hand.

"Ich schau mal nach dem Fisch."
"Mhm. Ich rühre solange den Pudding weiter um."
Ich probierte ein wenig und schmolz dahin. Dieser Pudding war köstlich.
"Er ist noch nicht angebrannt.", gab Tante Lucy bekannt.
"Sehr gut."
"Also. Wie sieht es momentan aus? Wie läuft die Schule, Liebes?"
"Achja, ganz gut. Ich habe die üblichen Noten. In Bio habe ich eine 1+ für mein Referat mit Nils bekommen! Das war Wahnsinn."
"Eine 1+ ?"
Ich nickte.
"Wow! Ich bin ja so stolz auf dich!"
Sie umarmte mich.
"Und wer ist Nils?", fragte sie mit einem Augenbrauenwackeln.
"Mein Biopartner. Wir sitzen nebeneinander. Wir hatten eigentlich nie wirklich viel miteinander zu tun. Ich habe mich ab und zu mit ihm unterhalten - man kann echt gut mit ihm über alles reden - aber das war's auch schon. Aber dieses Schuljahr war es irgendwie anders. Wir haben mehr miteinander gesprochen und haben uns auf einer Party getroffen und durch das Bioreferat sind wir uns auch näher gekommen und jetzt verbringen wir ab und zu Zeit miteinander."
"Uh. Läuft da irgendetwas?", hakte sie nach.
"Nein! Um Gottes Willen!"
"Ach tu doch nicht so. Als ob es so unwahrscheinlich wäre."
"Tante Lucy, wir sprechen hier von mir. Der Person, die nie und ich betone nie auch nur ansatzweise irgendeine Art von Freund haben wird."
Tante Lucy verdrehte die Augen.
"Hör mir zu, Kleine. Ich war genauso wie du. Ja, man glaubt es kaum, aber ich hatte die ganzen Jahre in der High School nicht einen Freund. Nicht einmal ein Date. Kaum war ich auf dem College haben die Jungs sich um mich geprügelt. Ich war im zweiten Semester und hatte endlich mein allererstes Date und es war eine Katastrophe. Der Junge war so schüchtern und stotterte die ganze Zeit und schwitzte übertrieben. Dann wollte er mir etwas Wein einschenken und stieß dabei ausversehen das Glas um. Mein ganzes Kleid war ruiniert, aber ich blieb bis zum Schluss. Ich wollte ihm eine Chance geben. Es stellte sich heraus, dass wir nicht zueinanderpassten und das war auch okay so. Aber die Jungs kamen in Schwarmen. Ich hatte so viele Dates und irgendwann nach zehn oder zwanzig Dates fand ich endlich meinen ersten Freund. Ich war damals 19 Jahre alt. Du hast noch Zeit. Die College-Zeit wird deine Zeit. Die Mädels, die jetzt schon alle einen Freund haben und Sex und all das Zeug, die werden nicht glücklich. Diese Beziehungen halten nicht lange. Sie werden irgendwann auseinanderbrechen. Und ehe sich sich's versehen sind sie 40 mit zwei Kindern und alleinstehend, weil sie verlassen wurden. Aber die wenigen Mädchen wie du, die werden einen Freund finden, der sie gut behandelt und eine lange und schöne Beziehung führen und wenn es nicht direkt mit dem ersten klappt, dann kommt der zweite und der wird geheiratet und diese Mädchen, die sind mit 40 nicht alleine. Sie sind glücklich und kriegen Unterstützung. Also mach dich nicht verrückt, meine Hübsche. Der richtige wird noch kommen. Das weiß ich."
"Wow. Danke Tante Lucy."
Sie lächelte mich an und legte eine Strähne hinter mein Ohr.

"Warum riecht es hier so verbrannt?", fragte Sam, der gerade in die Küche kam.
Tante Lucy schaute mich mit aufgerissenen Augen an.
"Der Fisch!", schrien wir gleichzeitig.
Sie machte den Backofen aus und eine dicke Rauchwolke kam heraus. Sie holte den Fisch heraus und schmiss das Backblech in die Spüle als sie sich daran verbrannte.
Ich machte schnell alle Fenster auf, damit der Geruch verschwinden konnte.
Der Fisch war nicht komplett schwarz, aber so gut wie. Viel konnte man daran nicht mehr essen.
Tante Lucy lutschte an ihrem Finger und sah traurig aus.
"Zeig mal her."
Ich schaute mir ihren Finger an und gab ihr etwas Eis zum Kühlen.
Ich schmiss den Fisch weg und säuberte das Backblech.
Tante Lucy stellte den Kochtopf mit dem Pudding zur Seite, damit dieser nicht auch noch verbrennen konnte.

"Sieht wohl so aus, als würden wir heute nur Beilagen essen.", sagte Sam.
Ich warf ihm einen bösen Blick zu und sofort entging ihm sein dämliches Grinsen.
Er räusperte sich und sagte, dass er Mel holen würde.
Ich putzte erleichtert weiter das Backblech und half danach Tante Lucy, den Tisch zu decken.

"Was passierte eigentlich mit deinem ersten Freund? Habt ihr euch getrennt?"
Tante Lucy lächelte mich an.
"Ja, wir haben uns getrennt. Es gab einige Differenzen. Und wir waren beide so sehr auf unser Studium fixiert."
Ich gab ihr ein mitfühlendes Lächeln.
"Danach lernte ich einige Monate später jemand anderes kennen. Wir waren 18 Jahre zusammen.", sagte sie lächelnd.
Meine Augen weiteten sich. "Onkel Steve?"
Sie nickte.
"Oh wow! Er war bereits dein zweiter Freund?"
"Mhm."
"Wie romantisch!"
"Ja, das ist es."
"Ich vermisse ihn." Plötzlich überkam mich eine Welle der Trauer.
"Ich auch, mein Schatz. Es ist schwer ohne ihn, aber wir schaffen es. Wir haben es doch schon zwei Jahre geschafft, wir schaffen es auch weitere Jahre.", sagte sie aufmunternd.
"Ich weiß, nur ist es sehr schwer."
Ich vergoss eine Träne, aber sie wischte sie mir weg und umarmte mich. Sie streichelte mein Haar und drückte mich ganz fest.

Dann kam Melanie und zerstörte die ganze Stimmung.
"Was ist denn hier los?", fragte sie mit einem höhnischen Lachen.
Wir ließen voneinander los und ich wischte mir die anderen Tränen weg.
"Wir haben über Onkel Steve gesprochen.", antwortete meine Tante.
"Gott möge ihn beschützen.", sagte Melanie. Dann setzte sie sich an den Tisch und betrachtete das Essen.

Melanie sprach nicht gerne über Onkel Steves Tod. Er war ihr sehr wichtig, auch wenn sie das nie richtig zugeben wollte. Sie verstand sich gut mit ihm. Besser als mit Tante Lucy. Sie und Onkel Steve teilten viele gemeinsame Interessen.
Immer, wenn wir in Chicago waren, verbrachte sie viel Zeit mit unserem Onkel und ich mit unserer Tante.

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Wir aßen alle und unterhielten uns über verschiedene Dinge, oder eher gesagt Melanie und Tante Lucy. Komischerweise fingen die beiden eine Diskussion über Überfischung an. Sam und ich schwiegen eher und stocherten in unserem Essen herum.
Es gab Brokkoli und Kartoffeln, ohne Fisch. Der lag im Mülleimer.
Danach gab es den leckeren Vanillepudding. Es war wie ein Tanz der Geschmacksknospen auf meiner Zunge. Einfach himmlisch.
Als wir fertig waren, räumten wir alles ab.

Mom und Dad kamen kurze Zeit später nach Hause und berichteten, wie ihr Date lief. Wir saßen alle im Wohnzimmer beisammen und hörten den beiden gespannt zu. Ich lehnte mich auf der Couch zurück und entspannte. Endlich konnte ich nach langer Zeit wieder einmal einen ganz normalen Abend verbringen. Ohne irgendwelches Drama oder Chaos. Wenn Sam nur endlich seine Augen von mir abwenden und mich nicht die ganze Zeit über beobachten würde.

Love Triangle-Verliebt in den Freund meiner SchwesterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt