Kapitel 43

111 5 0
                                    

"Au!"
Ich zog meine Hand von meinem Arm weg und betrachtete den leichten Bluterguss, der sich seit gestern Abend um mein Handgelenk gebildet hatte. Wie konnte Sam mir soetwas antun? Das hätte ich nie von ihm erwartet.

Ich wollte in die Küche, um etwas Eis zu holen und es auf mein Handgelenk zu legen, aber ich traute mich nicht. Was würde ich tun, wenn ich Sam begegnen würde?
Er und Melanie wollten noch einige Tage bleiben bevor sie wieder gingen und ich wusste nicht, wie ich diese Zeit überbrücken sollte, ohne Sam zu begegnen.
Ich lauschte an meiner Tür, um zu hören, ob jemand draußen war. Ich hörte nichts, also öffnete ich langsam meine Tür und schaute in den Flur. Ich ging einen Schritt nach draußen und schaute mich um. Alles leer. Sehr gut. Ich ging langsam die Treppen hinunter und vermied die eine knartschende Stufe. Als ich unten angekommen war und nichts hörte, flitzte ich schnell in die Küche und öffnete den Gefrierschrank. Ich holte etwas Eis heraus und wickelte es in ein Geschirrtuch. Dann flitzte ich schnell wieder in mein Zimmer, naja ich war gerade im Begriff, das zu tun, aber dann hörte ich die Stimme meiner Mutter.

Sie fragte: "Ana? Was ist los? Warum rennst du so?"
"Hey Mom.", antwortete ich, "Ich muss nur- äh.. ich muss ganz dringend Pipi."
Was besseres fiel mir auf die Schnelle nicht ein.
"Und wozu das Eis?"
"Oh..äh... naja es ist so heiß heute und da brauchte ich eine Abkühlung."
Sie schaute mich ungläubig an. Es waren heute gerade einmal 25 Grad, das war leicht zu ertragen. Ich hopste von einem Bein auf das andere, um ihr zu signalisieren, dass ich dringend auf die Toilette musste.
"Na dann."
Das war mein Zeichen, zu gehen. Ich rannte schnell hoch und in mein Zimmer. Als ich die Tür hinter mir zuknallte, ließ ich mich zu Boden sinken und ließ einen tiefen Seufzer aus.
Ich schloss meine Tür ab und legte mich ins Bett.
Ich könnte den Tag mit Alice oder Nils verbringen, aber ich ignorierte Alice noch immer und Nils war heute leider anderweitig beschäftigt und hatte somit keine Zeit für mich.

Ich machte also meinen Laptop an und ging auf Netflix. Ich klickte meine Lieblingsserie "New Girl" an und schaute mir irgendeine zufällige Folge an. Ich hatte die Serie bereits vier Mal komplett gesehen.
Ich legte das Eis auf meinen Arm und machte es mir gemütlich.

Fünf Folgen später klopfte es an meiner Tür.
Ich ignorierte es einfach, aber es klopfte wieder.
"Wer ist da?"
"Drei Mal darfst du raten."
"Oh mein Gott!"
Ich sprang sofort auf und rannte zur Tür. Ich riss sie auf und fing an zu kreischen. Ihre rauchige Stimme erkannte ich sofort.
"Tante Lucy!"
Ich schmiss mich ihr um den Hals und küsste ihre Wange.
"Was- was machst du denn hier?"
"Ich dachte, ich komme mal zu einem Überraschungsbesuch vorbei. Es sind doch schließlich noch Ferien."
"Warum hast du nichts gesagt?"
"Warum sollte ich etwas sagen? Das wäre dann doch gar keine Überraschung."
Ich lachte und bemerkte erst, dass ich weinte, als Tante Lucy meine Freudentränen wegwischte.
Sie küsste mich auf den Mund, so wie wir es immer taten, und drückte mich noch einmal ganz fest.

Von rechts ging plötzlich eine Tür auf. Melanies Tür.
Sie kam auf uns zu, gefolgt von Sam.
"Tante Lucy, was führt dich denn hier her?"
Sie sah nicht sehr begeistert aus.

Melanie und Tante Lucy haben sich noch nie so richtig verstanden. Im Gegensatz zu mir hatte Melanie immer ein distanziertes Verhältnis zu ihr.
Tante Lucy war sehr locker und ein wenig verrückt. Sie war das komplette Gegenteil ihrer Schwester - meiner Mom.
Melanie konnte nie viel damit anfangen.
Wenn Tante Lucy und ich uns gegenseitig die Haare flochten und uns Stickertattoos auf die Haut klebten, las Melanie lieber ein Politikbuch oder blätterte durch die Vogue.

"Ich wollte meine beiden Nichten besuchen kommen.", antwortete sie mit einem Lächeln und zwinkerte mir zu.
Sie umarmte Melanie kurz und wendete dann ihren Blick zu Sam.
"Und wer ist dieser junge, gutaussehende Bursche?"
"Das ist mein Freund Samuel.", stellte Mel ihn vor.
"Oh, Samuel. Ich bin Lucy. Ich bin Louises Schwester. Ich war schon seit einigen Monaten nicht mehr hier, deswegen wollte ich mal meine beiden Süßen hier besuchen. Weißt du, ich komme aus Chicago und da das natürlich ein weiter Weg ist, kann ich nicht allzu oft hier sein. Aber da ich als Lehrerin jetzt auch drei Monate frei habe, dachte ich, dass ich Mal zu Besuch komme."
"Es freut mich sehr, Sie kennen zu lernen."
"Mich freut es ebenfalls, aber du kannst auch Du sagen.", sagte sie und zwinkerte ihm zu als sie seine Hand schüttelte.

"Nun gut! Ich werde mich ins Gästezimmer begeben und meinen Koffer auspacken. Und dann müssen wir uns alle mal zusammensetzen und uns austauschen. Ich habe euch so lange nicht mehr gesehen. Es gibt eine Menge zu erzählen.", sagte Tante Lucy.
Sie strich mir über die Wange und küsste mein Haar. Dann drückte sie Melanies Schulter.
Sie ging nach unten, um ihren Koffer zu holen.

Melanie ging wieder in ihr Zimmer und ich wollte gerade dasselbe tun, als Sam mich ansprach. "Ana. Bitte hör mir zu. Das mit gestern tut mir so unendlich leid. Das war nicht ich. Bitte, du musst mir glauben. Ich.. ich weiß nicht, was mit mir los war. Bitte verzeih mir."
Ich schaute ihn an.
"Weißt du Sam, ich bin ganz schön enttäuscht von dir. Sowas hätte ich nie von dir erwartet. Du warst immer so nett und zuvorkommend und dann sowas? Und das noch ohne Berechtigung? Du hast nicht einen Grund, eifersüchtig zu sein. Erstens läuft da nichts zwischen Nils und mir und zweitens hättest du keinen Grund sauer zu sein, wenn da etwas laufen würde. Du bist derjenige von uns beiden, der vergeben ist, nicht ich. Wenn ich will, kann ich etwas mit Nils anfangen."
Seine Augen blitzten und er packte mich am Arm. Ich zuckte sofort zusammen, denn es war der Arm mit dem Bluterguss. Es tat höllisch weh.
Er schaute erschrocken herunter und riss seine Augen weit auf als er mein Handgelenk sah.
Dann überkam ihn eine Welle von Unverständnis und schließlich Trauer. Er hatte soeben realisiert, dass das das Ergebnis seiner gestrigen Tat war.
"Ana.. ich.. es- es tut mir so leid. War- war ich das?"
"Ja.", flüsterte ich.
"Wie. Ich- es- ich hätte das nicht tun dürfen. Bitte verzeih mir. Es tut mir wahnsinnig leid. Das musst du mir glauben.
"Dafür ist es leider zu spät."

Love Triangle-Verliebt in den Freund meiner SchwesterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt