Kapitel 8: Fremd

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Lucia (p.o.v)

Die Sonne strahlte durch die offene Dachklappe und blendete Lucia.
Normalerweise wäre es jetzt noch stockdunkel. Der Frühling stand schon vor der Tür.
Lucia setzte sich auf und sah sich um. Vor dem Fenster strahlte ein wundervoller blauer Himmel. Die Vögel zwitscherten bereits in den Bäumen, der Schnee begann zu schmelzen und selbst der Wolf schlief friedlich unter dem Fensterbrett...
WAS?!!!
Erschrocken rieb Lucia sich die Augen und sah erneut hin. Und tatsächlich. Unter der geöffneten Dachklappe lag ein riesiger, schwarzer Wolf.
Vorsichtig ging sie zu dem Wolf und kniete sich nieder. Seine Augen waren geschlossen und seine Brust hob und senkte sich gleichmäßig und ruhig.
Er schlief.
Langsam ging Lucia zurück zu ihrem Bett und setzte sich. Wie war das möglich? Werwölfe verwandelten sich doch nur bei Vollmond. Oder etwa nicht?
Ein leises Schnauben riss sie aus ihren Gedanken und sie sah zu der dunklen Gestalt die gerade aufwachte. Der Werwolf streckte seine langen Beine und gähnte. Verschlafen öffnete er die Augen. Als er Lucia erblickte riss er die Augen schockiert auf.

"Oh man!!! Ich bin am Arsch"

Die Stimme erklang erneut in Lucias Kopf und diesmal war sie zu hundert Prozent sicher, dass der Werwolf sie irgendwie verzaubert hatte.
Lucia holte tief Luft und war kurz davor zu schreien als sich plötzlich eine Hand auf ihren Mund legte.
Eine Hand?
Sie blinzelte gefühlte hundert mal und sah nochmal genauer hin.
Vor ihr stand nicht weiter ein Wolf sondern ein junger Mann. Er drückte seine in einem Handschuh gekleidete Hand gegen ihren Mund und hinderte sie am sprechen.
"Bitte. Nicht. Schreien" sagte der junge Mann und Lucia nickte nur.
Vorsichtig nahm er die Hand von ihrem Mund. Lucia konnte nicht fassen wie schnell er sich von einem Werwolf in einen Menschen verwandelt hatte. Vor ein paar Sekunden war er noch ein riesiges Ungeheuer gewesen und jetzt stand ein Mann im braunen Gewand vor ihr. Das Gesicht verbarg er unter einer Kapuze, doch Lucia konnte sehr deutlich seine glühenden Augen erkennen.
"Gäbe es eine Möglichkeit wie ich ungesehen aus dem Dorf komme?" Fragte er und holte sie in die Realität zurück.
Mit einem Kopfschütteln verneinte sie. Er seufzte und ging quer durch den Raum. Er schien frustriert.
"Dürfte ich nach eurem Namen fragen?" Fragte Lucia den jungen Mann.
"Nein" entgegnete dieser nur und sah aus dem Fenster.
"Ihr seid ziemlich unhöflich" setzte sie fort und bereute es sofort wieder.
Schneller als sie das Wort Wolf hätte buchstabieren können lag sie mit dem Rücken auf dem weichen Bett. Er drückte sie an den Schultern nach unten und so wie er über ihr stand sah er selbst als Mensch bedrohlich aus.
"Natürlich bin ich unhöflich. Schon mal einen höflichen Werwolf gesehen? Ein Werwolf der Katzen vom Baum holt und den Holzfällern hilft die Karren zu ziehen? Wie lächerlich" spottete er.
Lucia betrachtete ihn nur und zeigte keine Regung, auch wenn ihr die Angst durch Mark und Bein ging. Er sollte nicht merken, dass sie Angst hatte.
Die glühenden Augen unter seiner Kapuze waren voller Wut, doch plötzlich wurde sein Blick weich und liebevoll. Dann riss er die Augen auf und entfernte sich schnell von ihr als hätte er sich verbrannt.
Lucia stemmte sich hoch und stand auf. Selbst jetzt war sie nicht mal annähernd auf Augenhöhe mir dem Werwolf der vor ihr stand.
"Ihr habt Recht. Ich kannte keinen höflichen Werwolf. Aber das liegt wahrscheinlich daran, dass ich bis jetzt noch nie mit einem gesprochen habe" antwortete sie auf seine Frage.
Der junge Mann sah sie nur an.
Was war denn plötzlich mit ihm los?
"Ähm... Hallo? Lucia an Werwolf könnt ihr mich hören?" Fragte sie.
"Ihr seid... Mond und Sterne" entgegnete er.
"Wie bitte was?" Fragte Lucia verwirrt.
Weiter kam sie nicht. Schon lag sie wieder auf ihr Bett gedrückt und der Fremde schwebte regelrecht über ihr, beide Hände neben ihrem Kopf abgestützt.
Lucia starrte ihn an. Seine Augen glühten nicht länger, dafür aber waren sie pechschwarz und unheimlich.
Und ehe sie sich versah, lagen seine Lippen auf ihren.

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