Kapitel 32

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POV: Stegi
Jetzt erblickte ich auch Raphael, der gerade einem anderen, aus Chris' "Gang", eine reinschlug. Ich glaubte mich daran zu erinnern, dass er Viktor hieß. Konnte mich aber auch geirrt haben. Raphael hatte genau den gleichen Blick drauf wie Tim. Was wohl passiert war? Konnte mir das nicht egal sein?

Ein ersticktes Keuchen holte mich aus den Gedanken. Der Typ, den Raphael geschlagen hatte, stand an einer Wand gelehnt und spuckte gerade sein Frühstück aus. Er hatte wohl seinen Magen getroffen. Dieser Anblick trieb mir die Tränen in die Augen. Wie oft hatten sie das mit mir gemacht? Wie oft stand ich so da?

Wie oft hab ich mit Tränen in den Augen um Hilfe gebeten? Ich wusste es nicht mehr. Das Zählen hatte ich schon lange aufgehört. ,,Stegi!", holte mich Tobi's aufgebrachte Stimme zurück in die Realität. ,,Komm, wir müssen wieder rein", erklärte er mir. Mein kompletter Körper fühlte sich taub an und bevor ich es verhindern konnte, beugte sich mein Körper nach vorne und beförderte meinen Magen Inhalt auf den Schulhof.

,,Hey, alles ok?", fragte Lina besorgt und strich mir über den Rücken. Noch ein wenig mulmig zu mute, nickte ich. ,,Tobi, bring ihn lieber zur Krankenschwester", forderte Lina ihn auf. ,,Ja klar", sagte er schnell und half mir, dorthin zu kommen. Ich musste wohl einen Kreislaufzusmmenbruch erlitten haben. Davon hatte ich früher schon öfter welche gehabt.

Zum Glück war dieser wohl nicht so schlimm. Ob es daran lag, dass ich kaum was in der letzten Zeit gegessen hatte? Seit Tim da war, wurde es noch weniger, als sonst schon. ,,Was kann ich für sie tun?", fragte die Schulkrankenschwester, die sogar relativ nett aussah.

Sie war noch relativ jung, wahrscheinlich war sie noch nicht lange hier. ,,Er hat gerade gekotzt", erklärte Tobi, wenn auch etwas kindisch. Aber so war Tobi halt irgendwie. Direkt und kindisch. ,,Dann lass mich mal sehen", forderte sie auf und zeigte auf die Liege, die mitten im Raum stand. Hier drinne war alles in weiß gehalten.

Man könnte glauben, es wäre ein richtiges Krankenhauszimmer und keins der Schule. Mit Tobi's Hilfe schwankte ich zur Liege, auf die ich mich legte. Ohne Vorwarnung zog die Frau mir das Oberteil hoch, was mich Keuchen ließ. Sie war eindeutig noch nicht lange in diesem Beruf. Konnte sie mich nicht verwarnen oder so?!

Mein Gesichtsausdruck entglitt mir, als ich die Situation verstand. Tobi und die Krankenschwester, deren Namen ich immer noch nicht kannte, standen beide mit vor Schock geweiteten Mündern da und starrten auf meinen Oberkörper. Wie konnte ich bloß so dumm sein? Sie hatten den perfekten Ausblick auf die unzähligen Narben auf meinem, unterernährten Körper.

So schnell es mir möglich war, riss ich ihre Hand von meinem Pullover und zog ihn wieder runter. ,,D-as tut mir leid, das wollte ich nicht", stammelte sie und sah perplex auf ihre Hände runter. Tobi schien es auch die Sprache verschlagen zu haben. ,,Mir geht's wieder gut, danke", zischte ich, packte Tobi am Ärmel und schleifte ihn, bevor sie noch etwas sagen konnte, aus dem Raum.

Vor der Tür blieb ich dann stehen und holte erst mal tief Luft, ließ Tobi los und stützte meine Hände auf die Knie. Dieser Stress in den letzten Tagen war auf jeden Fall zu viel, für meine ohnehin schon kaputten Nerven. ,,Stegi", hörte ich Tobi von der Seite flüstern. ,,Hm", machte ich nur. ,,Wir müssen in den Unterricht", sagte er mit so viel Mitleid in der Stimme, das man glauben könnte, er wäre der, wegen dem das alles war.

Seufzend nickte ich und folgte ihm bis zu meinem Klassenraum. Den Schmerz in meinem Magen und die Übelkeit hatte ich dank des Schocks gerade verdrängt. ,,Bye", verabschiedete ich mich von Tobi, schulterte meine Tasche, die er getragen hatte und drehte mich um, um in den Klassenraum zu gelangen.

Doch mein Plan wurde von zwei Armen, die sich um meinen Oberkörper schlangen, verhindert. ,,Pass auf dich auf", flüsterte er noch, bevor er auch verschwand. Leicht grinsend öffnete ich jetzt doch die Tür, hinter der mich eine wütende Lehrerin und ein paar Schüler erwarteten.

,,Ach, der liebe Stegi hatte sich wohl doch noch dazu entscheiden, zum Unterricht zu erscheinen", sagte die Frau streng und stemmte ihre Hände in ihre Seiten. ,,Tut mir leid, ich hab verschlafen", nuschelte ich und senkte meinen Kopf. Meine Mitschüler lachten missgünstig, wofür ich sie am liebsten angeschrien hätte.

Aber der Feigling der ich nun einmal war, traute sich das nicht. Wahrscheinlich hatte ich deswegen noch nie eine Freundin oder einen Freund gehabt. An mir war nun mal aber auch nichts, was man lieben könnte. Ich war ein Nichts, ein Niemand. Hatte es wohl auch verdient, gemobbt zu werden.

,,Nun setzten sie sich schon", seufzte die Lehrerin genervt. Mit immer noch mulmigem Gefühl im Magen und gesenktem Kopf schlenderte ich zu meinem Platz. Der Platz neben mir war schon seit dem das Mobbing begonnen hatte, leer geblieben. Niemand wollte sich neben eine Schwuchtel setzen, oder Chris auf sich aufmerksam machen.

Wie gerne ich jetzt Tobi oder Lina bei mir hätte. Die beiden waren mir in den letzten Tagen echt ans Herz gewachsen. Tobi hatte mittlerweile auch ein neues Handy, mit dem er mir regelmäßig schrieb. Nach Lina's Nummer hatte ich noch nicht gefragt, da ich zu schüchtern war. ,,Holt bitte eure Hausaufgaben raus", forderte die Frau, die ich bis jetzt erfolgreich ignoriert hatte.

Mist, das hatte ich ja ganz vergessen. Frustriert legte ich meinen Kopf auf meinem Tisch ab und verfolgte die Frau, wie sie nach und nach durch die Reihen ging, mit meinen Augen. ,,Marie?", fragte sie, worauf sie ein ,,Gemacht", und ein Heft entgegengehalten bekam.

,,Stegi", rief sie und blieb vor meinem Tisch stehen. Ein kurzes Kopfschütteln meinerseits. ,,Dann darfst du heute nachsitzen", seufzte sie und notierte meinen Namen. Erschrocken sah ich sie an. Ich hatte noch nie nachsitzen müssen. Zwar hatte ich meine Hausaufgaben schon öfter vergessen, aber noch nie folgten Konsequenzen.

,,Tut mir leid", sagte sie noch, bevor sie weiter ging. Verzweifelt sah ich ihr hinterher. Wie sollte ich das meiner Mutter erklären? In letzter Zeit war schon genug los. Zwischen meinen Sorgen darüber, die Nachricht meiner Mutter zu berichten, überhöhte ich die Klingel fast. Zügig stand ich auf, räumte alles bis auf die Sachen, die ich für die nächsten Stunden brauchen würde, wieder ein und machte mich auf den Weg zu Tobi und Lina.

Ohne auf den Weg zu achten, schlenderte ich zu ihrem Raum, in der Hoffnung sie würden noch nicht nach draussen gegangen sein. Ich schreckte auf, als ich gegen irgendetwas hartes lief und riss meinen Kopf hoch, nur um in Tim's, vor Wut leuchtende Augen zu blicken und ihn sofort wieder zu senken. Schwer schluckte ich und wartete auf seine Reaktion.

Stexpert~ Du bist ein WOLF?!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt