Kapitel 1

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"Alle Fluggäste der Airline London-Stuttgart, bitte an Gate 2. Die geplante Abflugzeit ist 17:00 Uhr."

Mein Herz schlägt schneller.
Ich stehe auf und meine Finger bohren sich in den Schaumstoffgriff meines Rucksackes.
Erst jetzt bemerke ich, wie sehr ich Angst habe.
Meine Eltern erheben sich ebenfalls.
Sie begleiten mich noch bis zum eben genannten Gate 2. Meine Koffer haben wir vorher schon abgegeben.
Jetzt stehen wir vor dem Tunnel, der in das Flugzeug führt.

"Mia?"

"Ja Mum?"

"Versprich mir dass du auf dich aufpasst!"

"Mach ich."

Ich habe diesen Spruch zwar noch nie verstanden, aber egal.
Meiner Mum laufen Tränen über die Wangen und sie holt umständlich ein Taschentuch aus ihrer Handtasche.
Mein Vater verkneift sich das Weinen, aber seine Augen sind glasig und ich sehe die Traurigkeit in ihnen.

Meinen Eltern gehört eine eigene Firma, die schon seit Generationen erfolgreich von uns geführt wird. Meine Mum und mein Dad gehen für ein Jahr auf Geschäftsreise und bereisen die ganze Welt, da würde ihre Tochter nur stören, so ungefähr haben sie es mir vor zwei Monaten mitgeteilt.
Natürlich haben sie meinen Vorschlag, sie zu begleiten abgelehnt und jetzt werde ich voraussichtlich für ein Jahr ein Internat in Deutschland besuchen, in der Nähe von Stuttgart. Eigentlich hätte ich auch zu meiner Tante Edna aus Schottland gehen können, aber wir haben wegen einem Familienstreit seit ungefähr einem Jahr keinen Kontakt mehr zu ihr, darum waren meine Mum und mein Dad auch dagegen.

Mein Dad ist Engländer, meine Mum Deutsche. Sie haben sich bei einem Schüleraustausch, als beide in der zehnten Klasse waren kennen gelernt und seitdem sind sie ein Paar. Vor achtzehn Jahren haben sie geheiratet und drei Jahre später kam dann ich zur Welt.

"Entschuldigung! Sie müssen jetzt in das Flugzeug, wenn sie den Flug nicht verpassen wollen."

Es hört sich zwar mehr wie eine Drohung der Stewardess an, aber jetzt muss ich mich wohl von meinem Eltern verabschieden.

Zuerst umarme ich meinen Dad, dann meine Mum, jetzt muss sogar ich noch weinen.
Im Gegenteil zu manch anderen Teenagern in meinem Alter habe ich ein sehr gutes Verhältnis zu meinem Eltern.

Natürlich gibt es auch einmal Streit, aber wir haben uns alle trotzdem lieb, so kitschig sich das auch anhören mag. Vielleicht liegt das auch daran, dass ich ein Einzelkind bin, obwohl ich alles dafür geben würde Geschwister zu haben.
Ich stelle es mir total lustig vor mit jemandem in meinem Alter zu wohnen und wenn es doch einmal Streit zwischen mir und meinen Eltern gibt jemanden zu haben, der sich auf meine Seite stellt.

"Bis nächsten Sommer."

"Wir werden dich vermissen Mia. Take care of yourself!"

Meine Eltern und ich sprechen eigentlich immer eine Mischung aus Englisch und Deutsch miteinander. Für meinen Dad, der aus England kommt war es selbstverständlich, dass ich immer Englisch sprechen sollte. Ich bin auch auf eine öffentliche englische Schule gegangen.
Meine Mum hingegen hat darauf bestanden, dass ich auf jeden Fall auch Deutsch können muss, was sich jetzt für sehr nützlich herausstellt. So haben sie mich also zweisprachig erzogen. Bis zu meinem fünften Lebensjahr hat meine Mum nur Deutsch mit mir gesprochen und mein Dad mit mir nur Englisch. Ich bin auch froh darüber. Jetzt spreche ich beide Sprachen fließend.

"Bye."

Das sind meine letzten Worte, dann laufe ich durch den Tunnel in das Flugzeug.
Ich suche meinen Platz und lasse mich in meinen Sitz fallen. Leider nicht am Fenster, aber das ist mir jetzt egal.
Neben mich setzt sich ein etwa 50 jähriger Mann und schlägt seine Zeitung auf.
Am Fenster sitzt eine Frau mit einem kleinen Jungen, wohl Mutter und Sohn.

Mittlerweile ist es kurz vor 17 Uhr. Zwischen Deutschland und England herrscht eine Stunde Zeitverschiebung. In Deutschland ist jetzt schon 18 Uhr.
Die Sonne scheint durch das Fenster in das Flugzeug. Es ist Anfang September und mein Geburtstag liegt erst eine Woche zurück. Der 28. August, da bin ich 16 geworden.

Die Sicherheitsanweisung, an einem kleinen Bildschirm, etwa fünf Meter von mir entfernt, verfolge ich nur mit wenig Interesse.
Meine Gedanken schweifen zu meinen Koffern ab. Habe ich denn auch wirklich alles eingepackt? Im Kopf gehe ich meine Packliste noch einmal durch. Selbst wenn ich etwas vergessen hätte, dann wäre es jetzt sowieso schon zu spät und ich könnte nichts mehr daran ändern. Was ist wenn mein Gepäck anstatt nach Stuttgart nach New York, Washington oder Madrid fliegt?
Ich versuche mich abzulenken, um mir nicht mehr darüber meinen Kopf zerbrechen zu müssen.
Gerade startet das Flugzeug.
Ich liebe es zu Fliegen, aber am meisten liebe ich vom Fliegen den Start, wenn das Flugzeug zuerst langsam anfährt, immer schneller wird und schließlich abhebt.
Im Auto und im Bus wird mir immer schlecht.
Mit der Bahn fahre ich nur selten und auf dem Schiff werde ich seekrank.

Ich seufze.

"Na. Flugangst?"

Der Mann neben mir mustert mich freundlich.

"Nein."

Er schaut mich nur fragend an und schenkt dann seine volle Aufmerksamkeit wieder seiner Zeitung.

Ich bin schon oft geflogen, aber es ist das erste Mal, dass ich ohne meine Eltern fliege.
Mit ihnen war ich schon drei Mal in der Türkei und auch schon in Spanien, den USA, Brasilien und in Kanada, da dort auch Verwandtschaft von uns wohnt. Aber noch nie in Deutschland.

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Forbidden LoveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt