Kapitel 65

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Er schaut mich verlegen an und ich nicke nur still. Im Nachhinein bereue ich, ihn danach gefragt zu haben. Wie viele es wohl waren? Ich will eigentlich gar nicht darüber nachdenken.

"Ey Mia komm schon, ich bin auch schon ein paar Jahre älter als du. Als ich so alt war wie du, da war alles nicht so einfach."

"Nicht so einfach? Ich war gerade erst auf der Beerdigung meiner Eltern, das soll also nicht kompliziert für mich sein?"

"So war das nicht gemeint."

Sammy blickt auf die Bettdecke.

"Wie meinst du's dann?"

"Ich hatte zur falschen Zeit die falschen Freunde. Bitte, ich will jetzt nicht darüber reden."

"Du weißt so viel über mich, ich weiß aber kaum was über dich und deine Familie."

"Bitte Mia. Irgendwann anders, aber nicht jetzt."

Ich nicke nur und schaue nachdenklich aus dem Fenster. Es hat für einen Moment aufgehört zu schneien.

"Was sollen wir eigentlich morgen machen."

"Keine Ahnung."

"Sollen wir nochmal zum Grab?"

"Können wir."

"Wir können auch was anderes machen."

"Keine Ahnung."

Ich kriege einfach den Gedanken nicht aus meinem Kopf dass Sammy mit so vielen Frauen geschlafen hat.

"Ey Mia hör mal zu."

"Was?"

Ich klinge ungewollt genervt.

"Kannst du dir eigentlich vorstellen wie das ist?"

"Wie was ist? Du erzählst mir doch nichts."

"Okay, okay Mia. Ist ja gut. Sorry. Ich hasse es nur darüber zu reden weil..."

Sammy bricht ab und schaut mich bedrückt an.

"Ich will nicht dass du jetzt Mitleid oder so mit mir hast, okay? Es ist alles eben kompliziert. Ich hatte drei Brüder, alle drei älter als ich. Meine Eltern lebten getrennt und waren nie verheiratet. Mein Vater ist gestorben also ich so alt war, wie du jetzt bist, meine Mutter war seit ich 13 war alkoholabhängig und sie war davor auch keine der Mütter, die ihren Kindern jeden Morgen ein Pausenbrot geschmiert hat. Ich kann mich an keinen einzigen Moment erinnern als sie mich in den Arm genommen hat oder mich auch nur getröstet hat. Wenn ich Probleme hatte, dann waren das eben meine eigenen Probleme und ich musste mich selbst darum kümmern, egal ob ich acht oder zwölf war. Mein einer Bruder ist mit 24 wegen einer Überdosis gestorben, mein anderer Bruder mit 27. Ich habe in ihnen nicht direkt ein Vorbild gesehen, aber sie haben mir eben gezeigt, dass Suchtmittel auch Vorteile haben."

"Und welche?"

"Naja, klar gibt es viel mehr Nachteile, aber ich habe selbst Drogen genommen, geraucht, getrunken und so weiter um eben für eine kurze Zeit glücklich zu werden, so ging es allen meiner Brüder. Es hat nicht lange gehalten, aber immerhin."

"Was ist mit deiner Mutter? Lebt sie noch?"

"Sie ist vor 2 Jahren gestorben."

Sammy fährt sich gedankenverloren durch die Haare.

"Und ich dachte ich hätte es schwierig weil meine Eltern tot sind."

"Nur weil ich sowas erlebt habe solltest du deine Situation nicht runter spielen Mia, natürlich ist das schlimm."

"Aber im Gegenteil zu dir nichts."

"Denk nicht so. Sowas kann man nicht vergleichen."

"Was ist mit deinem anderen Bruder?"

Ein leichtes Lächeln breitet sich über Sammys Gesicht aus.

"Der lebt mittlerweile mit seiner Verlobten in Bayern, arbeitet als Polizist und ist komplett frei von Suchtmitteln. Wir sind die einzigen zwei aus dem näheren Familienkreis, die aus ihrem Leben etwas gemacht haben. Wir haben nur etwas gebraucht um zu merken dass, obwohl wir mit so einer Familie geboren worden sind, wir alles selbst ändern können. Ich weiß Mia, das hört sich jetzt nach so einer Standardmitleidgeschichte an, ist es aber nicht."

Sammy schaut mich nachdenklich an.

"So jetzt weißt du mehr über mich."

Er atmet hörbar erleichtert aus.

"Ich hätte niemals gedacht dass du sowas miterlebt hast."

Ich schaue Sammy verunsichert an.

"Seh es mal so Mia. Wenn du ein Glas runter wirfst, dann zerbricht es. Du kannst es nicht mehr so machen, wie es davor war. Klar, du kannst die Scherben aufsammeln, dir dabei deine Finger blutig kratzen und das Glas wieder zusammen kleben. Aber man wird es immer sehen und es wird auch nie wieder so stabil sein wie davor und viel schneller als ein anderes Glas zerbrechen, das noch komplett ganz ist. Und so ist das auch mit Menschen. Seine Vergangenheit kann man nicht einfach vergessen oder rückgängig machen, aber du kannst das beste daraus machen.

Sammys Stimme versagt und er bricht ab.

Ich habe noch nie in meinem Leben so einen Vergleich gehört aber Sammy hat recht.

"Es ist diese Standardmitleidsgeschichte, aber in meinem Fall stimmt sie eben."

Wie so oft nicke ich nur still. Ich weiß einfach nicht was ich darauf antworten sollte.

"Mia, wir sollten langsam mal schlafen. Es ist halb eins."

Zur Bestätigung gähne ich und lege mich neben Sammy. Ich liege noch lange wach und starre die Decke an und ich merke auch dass Sammy neben mir hellwach ist.

Irgendwann schlafe ich dann doch ein aber habe einen unruhigen Schlaf.

{814 Wörter}

Forbidden LoveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt