Kapitel 5

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Nachts werde ich von Schritten wach.
Ich öffne meine Augen und sehe wie sich ein Mädchen leise in das Zimmer schiebt. Das kann dann ja wohl nur Alice sein.
Ich greife nach meinem Handy, das auf dem Nachttisch liegt.
Beinahe erblinde ich, als ich auf das Display schaue, da die Bildschirmhelligkeit auf 86 Prozent eingestellt ist.
Es ist kurz nach drei Uhr.

Alice ist mittlerweile im Badezimmer verschwunden. Ich stöhne auf. Jetzt kann ich bestimmt nicht mehr schlafen.
Schnell ziehe ich mir noch einen knallpinken BH unter das weiße Top, den ersten, den ich aus meinem Koffer greifen kann, falls mich doch jemand sehen könnte, dann verlasse ich mit dem Zimmerschlüssel in der Hand das Zimmer.
Vielleicht kann man das Internat ja nachts auch ganz gut erkunden. Gestern war ich einfach noch zu erschöpft dafür und jetzt ist es totenstill.
Ich bin mir sicher, dass mir um diese Uhrzeit niemand über den Weg laufen wird.

Von allen Tageszeiten mag ich die Nacht am liebsten. Tagsüber ist es stressig und man kann meistens nicht wirklich zur Ruhe kommen. Nachts hingegen schlafen die meisten Menschen und man kann gut nachdenken, ohne dabei gestört zu werden. In London habe ich mich nachts oft auf die Festerbank in meinem Zimmer gesetzt und auf die Straße hinunter geblickt.
Meine Eltern und ich haben dort in einem Mehrfamilienhaus gewohnt, ziemlich zentral in der Stadt. Sogar nachts war immer starker Verkehr auf den Straßen.

Es ist das erste Mal, seit ich hier bin, dass ich an meine Eltern denken muss. Heimweh habe ich nicht. Schon als ich noch ganz klein war waren meine Mum und mein Dad oft auf Geschäftsreisen unterwegs in allen möglichen Ländern und dies auch oft über mehrere Wochen. Ich war dann meistens immer bei meiner Tante Edna in Schottland, der Schwester von meinem Dad. Als vor etwa einem Jahr meine Grandma völlig unerwartet an einem Herzinfarkt gestorben ist hat sich beinahe die ganze Familie darum gestritten wer das Haus von ihr erbt, da sie noch kein Testament geschrieben hatte. Meine Eltern haben sich eigentlich ziemlich aus dem Familienstreit heraus gehalten, aber trotzdem herrscht seit dieser Sache Krieg in unserer Familie und man redet so wenig, wie möglich miteinander.
Darum war es für uns auch keine Option, dass ich für ein ganzes Jahr zu meiner Tante nach Schottland ziehen sollte.

Ich setze mich im Hof des Internats auf eine Bank und beobachte die Sterne.
Irgendwo höre ich eine Kirchenuhr einmal schlagen. Da Anfang September ist sind die Nächte noch angenehm warm, ich schätze so auf cirka 20 Grad.
Der Vorgarten ist sehr schön angelegt. Der Rasen ist frisch gemäht und überall sind Bäume, Büsche und Blumen eingepflanzt. Der Garten wird von hellen Laternen erleuchtet, die alle im ganzen Park verteilt sind. Plötzlich fällt mir das Glitzern von Wasser in der Ferne auf und ich entdecke einen Teich ungefähr 200 Meter weiter.

Langsam stehe ich auf und laufe in Richtung des Teiches. Er ist etwa zehn Meter breit und lang.
Ein kleiner Holzsteg führt fast bis in die Mitte.
Ich laufe den Steg entlang und setze mich an das Ende des Stegs. Meine Zehenspitzen berühren die Wasseroberfläche.
Lange sitze ich so da und genieße einfach nur die Ruhe. Hier ist es so viel entspannender, als in der Stadt. Ich höre weit und breit kein Auto fahren, man kann die Stille beinahe schon hören.

"Na?"

Erschrocken fahre ich zusammen und drehe mich um.

Hinter mir steht ein gutaussehender junger Mann. Er ist groß und hat einen muskulösen Körper. Er trägt eine Jogginghose und ein weißes T-Shirt, durch das man seinen nicht gerade kleinen Sixpack erkennen kann. Es ist zu dunkel, um seine Gesichtszüge zu erkennen.

Langsam kommt er auf mich zu.
Ich bin immer noch sprachlos.

"Kannst du auch nicht schlafen?"

Ich nicke stumm.

Er lässt sich neben mich auf den Steg fallen, dieser ist gerade einmal so breit, dass zwei Personen nebeneinander darauf Platz nehmen können. Unsere Beine berühren sich.
Vielleicht ist er ja Schüler hier und kommt jetzt in die Jahrgangstufe 2, dann würde er dieses Schuljahr sein Abitur machen, aber dafür sieht er zu alt aus, selbst wenn er schon sitzen geblieben wäre.

"Wie heißt du?"

"Mia. Du?"

"Sammy. Ich unterrichte Sport, Physik und Mathe hier."

"Sie sind Lehrer?"

"Ja. Aber du kannst ruhig Du sagen. Ist ja kein Unterricht, oder?"

Er grinst mich an und ich grinse zurück.

"Also Sammy?"

"Genau."

"Redest du so mit allen deinen Schülern wenn gerade kein Unterricht ist?"

"Sitzt du immer nachts in pinken BH's an einem Teich?"

"Keine Gegenfrage! Und ich habe darüber noch ein weißes Top an!"

Ich lache und Sammy zuckt die Schultern.

"Und wie stehst du so zu deiner Unterhose?"

"Ähm."

Ich trage eine knappe himmelblaue Unterhose. Ich habe nicht daran gedacht mir noch eine Hose anzuziehen, da ich davon ausgegangen bin, mich würde sowieso niemand sehen.

"Seh sie einfach als Bikinihose."

Sammy lacht.

Er hat die selben grünen Augen wie ich. Seine dunkelbraunen Haare hat er neben kurz und oben länger, wie fast jeder Junge und seinen Bart hat er weg rasiert.

"Ich hab dich hier noch nie gesehen. Bist du neu hier?"

"Ja. Ich komme aus England und bin erst seit gestern Abend hier."

Plötzlich bemerke ich im Augenwinkel eine Sternschnuppe am Himmel.
Sammy und ich heben unsere Köpfe gleichzeitig um zum Himmel auf zu schauen.

"Du musst dir was wünschen!"

Nur was?
Wir sitzen schweigend neben einander.
Als ich das letzte Mal eine Sternschnuppe gesehen habe war ich acht Jahre alt und habe mir ein eigenes Pegasus gewünscht.

Ich wünsche mir dass alles hier so perfekt wird, wie ich es mir vorgestellt habe.

"Jetzt erzähl Mal was von dir! Was macht man in England denn den ganzen Tag?"

"Naja. Eigentlich ist es nicht viel anderst als hier. Nach der Schule bin ich jeden zweiten Tag Turnen gegangen."

"Du turnst also?"

"Ja."

Zusammen mit meiner besten Freundin aus England, Jette, habe ich jeden zweiten Tag mehrere Stunden in der Turnhalle verbracht.
Jette war meine Nachbarin und wir kennen uns schon seit wir geboren sind.
Seit der Grundschule sind wir immer im Unterricht nebeneinander gesessen und haben an Arbeiten unsere Blätter ausgetauscht, um voneinander abzuschreiben. Ich war fast jeden Nachmittag bei ihr und uns ist nie langweilig geworden.

"Ich leite nächstes Schuljahr eine Turn-AG."

"Cool. Also ich komme."

Die Kirchenuhr schlägt zum zweiten Mal.

Ich gähne.

"Mia."

Sammy gähnt ebenfalls.

"Du solltest jetzt denke ich lieber ins Bett gehen. Es ist halb vier."

Er steht auf und hält mir die Hand hin, um mir auf zu helfen. Ich ergreife sie und er zieht mich hoch.
Nebeneinander laufen wir bis zum Wohngebäude des Internats.

In der Eingangshalle verabschiedet sich Sammy von mir und ich laufe in Richtung der Treppen. In meinem Rücken spüre ich seinen Blick und als ich mich auf der letzten Treppenstufe noch einmal umdrehe zwinkert er mir zu.
Glücklich laufe ich bis in mein Zimmer und lege mich wieder ins Bett.
Minuten später bin ich auch schon eingeschlafen.

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Forbidden LoveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt