Mommy! (Teil 33)

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„Nicht dein ernst!", eine entrüstete Stimme dringt an meine Ohren.

Müde richte ich mich im Bett auf.

„Das ist doch...", höre ich Lena energisch sagen.

Warum ist sie denn so verärgert? Ist etwas passiert? Was ist überhaupt los?

Entschlossen das herauszufinden, rutsche ich vom Bett und gehe tapsend im Stockdunklen in Richtung Tür. Der Holzboden unter meinen nackten Füßen ist glatt und sauber. Vorsichtig, ganz vorsichtig öffne ich die Tür einen Spalt und luge hindurch.

Ich entdecke Lena. Ihre Hand leicht ausgestreckt, steht sie ihrer Schwester gegenüber.

„Gib mir die Packung", verlangt sie mit scharfem Ton.

Keine Reaktion ihrer Schwester.

„Ella", mahnt Lena mit Nachdruck in der Stimme.

„Du verstehst das nicht", entgegnet diese, „ich brauche sie...."

„Du hast Recht, das verstehe ich wirklich nicht", jetzt wird Lena sauer.

„Bitte..."

„Nichts bitte, das ist die Sucht, die da aus dir spricht."

„Ich brauch sie!"

„Warum genau?", Lena wird noch saurer als sie ohnehin schon ist, „um dich zu vergiften, dein Leben zu verkürzen, DICH kaputt zu machen?", den letzten Teil ihres Satzes zischt sie nur noch wütend.

„Lass mich erklären, bitte. Lass es mich erklären."

Einige Sekunden ist es still. Lena scheint wohl zu überlegen.

Letztlich nickt sie.

„Gut, aber die Packung legst du auf den Stuhl da."

Ohne noch etwas Weiteres zu sagen, geht Lena Richtung Couch.

Zögerlich wird die rechteckige Schachtel abgelegt.

Als Lena auf dem Sofa sitzt, klopft sie einladend neben sich.

Ihre Schwester gesellt sich zu ihr, wenn auch mit langsamen Schritten.


„Du bist zwar meine ältere Schwester", höre ich Lena irgendwann sagen, „aber manchmal brauchen selbst ältere Geschwister Hilfe, Ella."

Die braunhaarige Frau nickt und sagt nichts.

„Ich sehe doch, dass es dir nicht gut geht. Wenn du dir nicht von mir helfen lassen willst, dann hol bitte wo anders Hilfe, aber bitte, bitte mach nicht so weiter, hörst du."

Sie nickt.

Dann ist es wieder einen Moment lang still.

Aus Sekunden werden Minuten.

Aus Minuten glücklicherweise keine Stunden.

„Ich glaube", beginnt ihre Schwester zögerlich, „ich könnte doch etwas Hilfe gebrauchen."

„Nur etwas?"

„Hilfst du mir?", zögernd und leise dringen die Worte über ihre Lippen.

„Natürlich", Lena muss lächeln. Scheint sie doch erleichtert darüber zu sein, ihrer Schwester helfen zu dürfen.

„Ich vermisse unseren Zwerg", sagt Ella auf einmal, ehe sie gähnen muss.

„Weißt du, wie es ihr geht?", spricht sie weiter.

„Janina geht's bestens. Sie studiert übrigens. Kunst."

Ella muss lachen.

„Prima." Das ist alles, was sie erwidert. Als sie Lena jedoch erneut flüsternd nach der Packung Zigaretten fragt, wird diese sofort wieder sauer.

„Bist du völlig meschugge!", entgegnet sie aufgebracht.

„Du bist schwanger", redet Lena einfach mit mahnendem Tonfall weiter, „Rauchen in dieser Zeit ist ein No-Go. Also Finger weg davon."

Erneut herrscht Stille.

„Verstanden?", fragt Lena mit Nachdruck in der Stimme.

„Ob du mich verstanden hast, will ich wissen, Ella!"

„Ja doch", mault sie, leicht eingeschnappt.

„Ich werde aufpassen, dass das auch so bleibt."

Langsam nickt Ella. Wenn auch geknickt.

„Schön", murmelt sie, „du bist der Boss."

„Schon besser", lacht Lena, jedoch wirkt es gezwungen.


Kitty-Blue, die auf einmal um meine nackten Beine streift, erlangt meine Aufmerksamkeit. Ich blicke zu ihr. Schnurrend sieht sie mich an. Mit ihren großen blauen Augen. Ganz so als wolle sie gestreichelt werden. Oder hat sie vielleicht doch Hunger? Ehe ich noch weiter darüber nachdenken kann, wird mein Gedankengang unterbrochen.

„Elliot", diesmal ist es Lena, die mich entdeckt, „was machst du denn hier?"

„Aufgewacht", erkläre ich kurz und knapp.

Lena erhebt sich und kommt auf mich zu. Ich werde hochgenommen und dann geht es auch schon zurück Richtung Sofa, wo noch immer ihre Schwester sitzt.

Kitty-Blue springt auf die Couch und macht es sich an der linken Seite von Lenas Schoß bequem. Rechts von Lena sitzt wiederum ihre Schwester. Sie sieht mich nur kurz an und blickt dann wieder geradeaus. Ihre Augen wandern wohl zu der Packung am Holzstuhl.

Und so sitze ich mit den beiden braunhaarigen Frauen, die sich schon sehr ähnlich sehen, auf dem Sofa.

Irgendwann blicke ich zu Kitty-Blue. Mit halb geschlossenen Augen liegt sie da. Schnurren tut sie nicht. Nicht hier in diesem Raum. Schade, aber zumindest macht sie dies im Zimmer wo ich schlafe. Ihr Schnurren hilft mir oft dabei einzuschlafen. In eine andere, bessere Welt abzutauchen. In eine Welt, in der es noch Mommy und Daddy gibt. In eine Welt, in der ich Omas Geschichten lausche, in der Seth lacht und ja, auch eine Welt, in der Melissa manchmal zu Besuch zu Oma kommt und wir dann alle am Tisch sitzen und einen leckeren Kuchen verspeisen.

„Soll ich dir noch eine heiße Milch machen?", Lenas freundliche Stimme erlangt meine Aufmerksamkeit. Liebevoll blickt sie auf mich herab.

Ich schaue sie an. Ihre dunkelbraunen Haare sind leicht zerzaust. So, als hätte sie vorhin schon geschlafen.

Wahrheitsgemäß schüttle ich meinen Kopf.

Prompt muss ich gähnen.

Behutsam streicht mir Lena über den Rücken. Zeichnet unsichtbare Muster darauf und scheint nachzudenken. Was würde ich nur dafür geben, in ihren Kopf hineinschauen zu können. Was sie jetzt wohl gerade denkt?

Noch immer spüre ich ihre Fingerkuppen, die sachte und sanft über meine Schulter niemals endende Muster malen.

Müde schließe ich die Augen.

Unwissend, dass ich es in diesem Zimmer das letzte Mal tue.



Fortsetzung folgt...

Fifty Shades of Elliot (Band 1) #wingaward2019 #traumtaenzerawards2019Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt